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  • Sonderveröffentlichung: B. Metzler seel. Sohn & Co. AG

Die Rechnung kommt.

(Geschätzte Lesezeit: 5 - 9 Minuten)

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Geldpolitik. Die Notenpresse wurde in den vergangenen Jahren zum Mittel der Wahl, um Wirtschaftskrisen zu bekämpfen. Die Zentralbanken kauften mit „frisch gedrucktem Geld“ Anleihen, um das Bankensystem in der Finanzkrise 2008 zu stabilisieren und die Folgen der aktuellen Pandemie abzufedern. Mittlerweile sind die Bilanzen der FED und der EZB auf fast zweistellige Billionen-Beträge angewachsen. Wer zahlt die Zeche?

Immer wenn Unheil droht, kommt die Kavallerie. In der Wirtschaft übernehmen seit Jahren die Notenbanken diesen Job. „Und auch, wenn die Rettungspolitik der vergangenen Jahre immer wieder Kritik ausgesetzt war, sprechen die bisherigen Erfolge für sich: Trotz schwerer Turbulenzen konnte die Wirtschaft jedes Mal wieder auf einen Wachstumskurs einschwenken und die Wohlstandsverlus­te aufholen“, erklärt Carolin Schulze Palstring, Leiterin Kapitalmarktanalyse Metzler Private Banking.

Trotzdem bleibt ein Unbehagen. Die Vorstellung, dass Geld aus dem Nichts geschaffen wird, um damit alle (finanziellen) Probleme zu lösen, wirkt zu schön, um wahr zu sein. Lang anhaltende Krisen würden der Vergangenheit angehören, und niemand müsste die Kos­ten dafür tragen. „Es drängen sich unweigerlich Fragen auf“, macht Schulze Palstring klar: „Was ist der Preis für diese ,moderne‘ Art der Krisenbewältigung? Und wer muss ihn am Ende zahlen?“

Um möglichen Antworten auf diese Fragen auf die Spur zu kommen, lohnt zunächst ein genauer Blick auf die vergangenen zwei Jahre. Um die Ausbreitung des Coronavirus zu begrenzen, wurde wirtschaftlich mehrfach die Notbremse gezogen. Nie zuvor verordneten die Regierungen weltweit der eigenen Wirtschaft gleichzeitig eine Zwangspause. Ökonomische Prozesse kamen aus dem Tritt, Menschen verloren ihren Arbeitsplatz, Lieferketten sind noch immer gestört, und das Preisgefüge ist stark verzerrt. Die Folge: Die Weltwirtschaft schrumpfte im Jahr 2020 um mehr als drei Prozent im Vergleich zum Vorjahr – ein Negativ­rekord in der Nachkriegsgeschichte.

Ebenfalls rekordverdächtig ist allerdings die Geschwindigkeit, mit der die Wohlstandsverluste wieder aufgeholt wurden. In der Volksrepublik China waren sie bereits ein Quartal nach Ausbruch der Pandemie, im Frühjahr 2020, wieder ausgeglichen. Die Vereinigten Staaten hatten zwar länger mit Lockdowns zu kämpfen, konnten aber dank einer frühen Impfkampagne die Corona-Fallzahlen ab Januar 2021 signifikant reduzieren. Das Vorkrisenniveau erreichte das US-Bruttoinlandsprodukt dann etwa ein Jahr nach Ausbruch der Pandemie, im zweiten Quartal 2021. Und Europa ist voraussichtlich Anfang 2022 so weit.

Im Vergleich zum schleppenden Konjunkturverlauf nach der Finanzkrise 2008 vollzog sich der Post-Corona-Konjunkturaufschwung also im Eiltempo. „Unseres Erachtens dürfte die Erholung im kommenden Jahr anhalten. Zwar sind temporäre Rücksetzer – je nach weiterem Pandemiegeschehen – nicht auszuschließen, diese dürften aber nicht mehr so heftig ausfallen wie der initiale Wirtschaftseinbruch im Jahr 2020“, prognostiziert Schulze Palstring, „die akute Phase der Wirtschaftskrise ist also überwunden – auch wenn das Virus noch immer weite Teile des gesellschaftlichen Lebens beeinflusst.“

Die schnelle Konjunkturerholung haben wir dem beherzten Eingreifen der Notenbanken und Regierungen zu verdanken. Denn dadurch wurde ein Teufelskreis aus sinkender Nachfrage, weniger Produktion, steigender Arbeitslosigkeit und weiter rückläufiger Nachfrage durchbrochen. Die Regierungen glichen Einnahmeausfälle im Privatsektor ganz oder teilweise aus und vermieden eine Massenarbeitslosigkeit. Die Notenbanken sorgten durch ihre aufgestockten Anleihekaufprogramme dafür, dass die Finanzierungskosten trotz Schuldenzunahme auf neue Tiefststände fielen.

Fest steht aber auch: Die Rettungsaktionen haben ihren Preis. Die Staatsschuldenquote in den Industrieländern schoss binnen eines Jahres um mehr als 20 Prozentpunkte in die Höhe. Viele Beobachter machen sich daher Sorgen, dass die Schuldenlast für viele Länder irgendwann nicht mehr tragbar sein könnte.

„Zugegeben: Eine hohe Verschuldung kann sehr gefährlich werden“, analysiert Schulze Palstring, „unter den aktuellen Umständen ist sie jedoch kein akutes Problem.“ Zahlungsunfähigkeit liege dann vor, wenn der Schuldner nicht mehr in der Lage sei, seine fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. „Paradoxerweise ist aber der Rückzahlungsdruck nach der Corona-Krise nicht viel größer geworden – trotz der Schuldenzunahme“, erklärt die Expertin. Denn ein Großteil der ausgegebenen Staatsschulden verschwinde in den Bilanzen der Notenbanken.

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Was die wenigsten wissen: Die meisten Notenbanken schütten ihre Gewinne – darunter auch Zinserträge – jährlich an die nationale Regierung aus. Mit anderen Worten: Die Kuponzahlungen auf die im Besitz der Notenbank befindlichen Anleihen leisten die Staaten größtenteils an sich selbst. Bei Abzug der bei der jeweiligen Notenbank liegenden Verbindlichkeiten von den Staatsschulden sieht die Lage nicht mehr ganz so dramatisch aus (siehe gestrichelte Linie).

Auch die Frage der Rückzahlung ist für diese Schuldverschreibungen nicht akut, da die Notenbanken fällig werdende Bestände bis auf weiteres reinvestieren. Darüber hinaus sorgen die Währungshüter mit ihren umfangreichen Käufen für so viel zusätzliche Nachfrage nach Anleihen, dass der Marktzins künstlich niedrig gehalten wird. „Unter diesen Umständen schätzen wir die akute Gefahr einer Schuldenkrise – zumindest in den Industrieländern – als gering ein“, resümiert Carolin Schulze Palstring.

Trotzdem kann eine hohe Staatsverschuldung mittel- bis langfristig schwerwiegende Folgen haben: Die Notenbanken sind in ihrer lockeren Geldpolitik gefangen, der Spielraum, in zukünftigen Krisen fiskalisch gegenzusteuern, hat sich eingeengt, und die heutige Gesellschaft lebt auf Kosten nachfolgender Generationen.

Wie könnten also perspektivisch Schulden abgebaut werden? Die intuitive Antwort lautet: weniger Geld ausgeben, als eingenommen wird. Bezogen auf den Staatshaushalt, wäre damit entweder ein harter Sparkurs in Form von Ausgabenkürzungen verbunden oder ein Anstieg der Einnahmen über Steuererhöhungen.

„Beide Wege sind in einer Demokratie zwar durchsetzbar, kosten aber Wählerstimmen“, überlegt Schulze Palstring. Davon abgesehen laufen Regierungen Gefahr, die Konjunktur abzuwürgen und damit die Lage noch zu verschärfen, sollten sie es mit der Haushaltskonsolidierung übertreiben.

Ein Blick in die Historie zeigt, dass es noch einen anderen Weg gibt. In den vergangenen 150 Jahren haben schon viele Staaten hohe Schulden gemacht. Einigen gelang es, ihre Schuldenquote wieder zu reduzieren. Andere, die Schuldenexpandierer, scheiterten (Grafik unten). Die spannende Frage in diesem Zusammenhang lautet: Wodurch unterschieden sich beide Gruppen?

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„Ausschlaggebend waren die gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen“, analysiert Schulze Palstring. In den Fällen, in denen die Verschuldungsquote wieder gesunken war, lagen die Zinsen (Finanzierungskosten) unter dem Wirtschaftswachstum. Dadurch stieg die Verschuldung in den Folgejahren weniger schnell als das Bruttoinlandsprodukt (BIP). Die Staatsschuldenquote – Verschuldung im Verhältnis zum BIP – wurde gesenkt, die Länder konnten bequem aus den Schulden „herauswachsen“.

In der Gruppe der Schuldenexpandierer lag der Zins hingegen deutlich über dem Wirtschaftswachstum, wodurch sich die Verschuldungslage weiter verschärfte. „Es gilt also, das Wachstum hoch und die Zinsen niedrig zu halten, wenn es funktionieren soll, Schuldenkrisen abzuwenden“, folgert Carolin Schulze Palstring. Wie stehen heute die Chancen?

„Die Wachstumsperspektiven hängen derzeit stark von politischen Entscheidungen ab“, erklärt die Strategin. Bislang wurde der Konjunkturaufschwung maßgeblich über Staatsschulden erkauft. Wichtig ist nun, dass die Wirtschaft wieder auf eigenen Beinen stehen kann und aus sich heraus wächst. Großzügige Staatshilfen erhöhen das Risiko, dass Insolvenzen verschleppt werden und überschuldete Unternehmen Ressourcen für unproduktive Zwecke binden.

Die politischen Verantwortungsträger dürfen daher den Zeitpunkt nicht verpassen, sich wieder zurückzuziehen. „Ein Krisenmanagement nach dem Gießkannenprinzip ist aktuell nicht mehr nötig“, ist Schulze Palstring überzeugt: „Nun ist es an der Zeit, die Aufmerksamkeit auf die Investitionen zu richten, um das Wachstumspotenzial der Volkswirtschaft dauerhaft zu erhöhen.“ Das neue Infrastrukturpaket in den USA und der europäische Wiederaufbaufonds können dabei wichtige Anstöße geben. Nähme dann der private Kredit- und Investitionszyklus Fahrt auf, wäre viel gewonnen. 

Doch selbst wenn die realen Wachstumsraten dann geringer bleiben als erhofft, ist die Chance auf Entschuldung nicht vertan. Denn zum nominalen Wirtschaftswachstum zählen nicht nur die Menge an produzierten Gütern, sondern auch die Preise, zu denen diese Güter verkauft werden – und hier ist die Inflationsentwicklung entscheidend.

Aktuell erleben die USA und Europa einen Inflationsschub. Wirtschaftsexperten sind sich jedoch weitgehend einig, dass die außergewöhnlich hohen Inflationsraten nur temporär sein werden. Sobald sich die Pandemielage entspannt, so die Mehrheitsmeinung, dürfte/n auch die genannten Sondereffekte an Wirkung verlieren und die Inflation zu moderaten Niveaus zurückkehren.

„Trotzdem werden wir wohl nicht zu den Inflationsniveaus der letzten Dekade zurückkommen. Vielmehr ist zu erwarten, dass die Inflationsraten die Marke von zwei Prozent dauerhaft erreichen oder auch überschreiten werden“, vermutet Schulze Palstring. Dafür verantwortlich seien das hohe Geldmengenwachstum (Grafik unten), massive staatliche Haushaltsdefizite und ein voraussichtlich knapperes Angebot an Arbeitskräften. „Hinzu kommen langfristige Trends wie die Demografie und die Globalisierung, die einen Wendepunkt erreichen oder zumindest eine Pause einlegen. Sie dämpfen die Preise weniger als zuvor.“

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Von höheren Inflationsraten profitieren in erster Linie Schuldner. Da Verbindlichkeiten eine nominale Größe sind, muss jedes Jahr – in Kaufkraft gerechnet – weniger zurückgezahlt werden. Für die Staatsfinanzen wäre eine sukzessive Geldentwertung also eine gute Nachricht, ließe sich der Schuldenberg doch so abtragen, ohne dass jemand explizit zur Kasse gebeten werden müsste.

„Die Zeche zahlen dann jedoch die Sparer, die über negative Realzinsen – nominale Zinsen unterhalb der Inflationsrate – schleichend enteignet werden“, verdeutlicht Schulze Palstring. Die verheerenden Auswirkungen zeigt ein Beispiel: Eine vermeintlich sichere Geldanlage in eine zehnjährige deutsche Bundesanleihe im Wert von 100000 Euro führt beim aktuellen Zinsniveau am Ende der Laufzeit zu einem realen Vermögensverlust von über 18000 Euro – unter der Vo­raussetzung, dass die Marktteilnehmer mit ihren Inflationserwartungen von rund zwei Prozent per anno recht behalten. Die Strategie der Finanzrepression geht aber nur auf, solange die Inflation nicht außer Kontrolle gerät. Zwar verlören die Schulden dann schneller an Wert, im Gegenzug wären die Notenbanken aber gezwungen, die Zinsen schnell und stark anzuheben. „Das wäre nicht zu machen, ohne eine Systemkrise zu riskieren“, erklärt Schulze Palstring, „die Staaten sind mehr denn je auf niedrige Zinsen angewiesen. Und die Anleger am Aktien- und Immobilienmarkt würden empfindlich auf Zinsänderungen reagieren.“

Zum Glück, so die Expertin, seien unkontrollierte Preisanstiege heute noch nicht absehbar. „Wir gehen aber trotzdem davon aus, dass die Realzinsen noch viele Jahre negativ bleiben. Die Schlüsselfrage für Anleger lautet deshalb, wie sich ein Vermögen in diesem Umfeld erhalten lässt.“

Ihre Antwort ist eindeutig: „Mit Nominalwerten wird auf überschaubare Zeit kein Geld zu verdienen sein. Ganz im Gegenteil: Oft droht sogar ein sicherer Verlust. In diesem Umfeld ist es ratsam, ein Übergewicht in Substanzvermögen zu halten, zum Beispiel in Aktien.“

Selbst im Fall einer – aus heutiger Sicht äußerst unwahrscheinlichen – inflationär bedingten Systemkrise wären Privatanleger mit Substanzvermögen besser aufgehoben. „Aktien verbriefen immerhin einen Anteil am Produktivvermögen einer Volkswirtschaft. Nominalvermögen hingegen ist nur ein reines Geldversprechen, das sich auch in entwerteter Kaufkraft zurückzahlen lässt“, erklärt Carolin Schulze Palstring und schließt: „Nicht umsonst heißt es, Inflation sei eine Methode, einen Geldschein zu halbieren, ohne das Papier zu verletzen.“

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