Möve schreibt man mit „v“.
Der Schweizer Ueli Prager brachte als Erster Luxus auf die Teller ganz normaler Leute. Innerhalb von viereinhalb Jahrzehnten wurde aus Mövenpick so ein weltweiter Konzern mit über 106 Restaurants, 33 Hotels, Eis- sowie Weinhandel. Und einem sehr starken Markennamen.
Es ist eine fast schon schicksalhafte Mittagspause, die der 30- jährige Offizier Ueli Prager, genannt UP, im Sommer 1946 in der Kaserne Aargau verbringt. In der Mittagsausgabe der „Neuen Zürcher Zeitung“ liest er die Bauankündigung des Bürohauses Claridenhof hinter dem Zürcher Kongresshaus. „2500 Menschen in einem Block“, überlegt er, „die werden Hunger haben.“ Wäre das nicht eine ideale Lage für ein neues Restaurant – als Zielgruppe den eiligen Stadtmenschen, der quasi im Vorübergehen gut essen möchte?
UP überzeugt mit diesem Gedanken zunächst den Bauherrn Ernst Göhner. Dann leiht er sich 125000 Schweizer Franken von zwei Freunden. Jetzt fehlt nur noch ein Name. Bei einem Spaziergang über die Zürcher Quaibrücke sieht er, wie die Möwen Brotkrumen im Flug aufpicken. Dass er sein Mövenpick mit „v“ schreibt, ist ein Kniff, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen. Zunächst hagelt es allerdings Kritik. „Meine Mutter meinte, ich könne ihr ein Restaurant mit diesem dummen Namen nicht antun.“ Freunde reimen anständige und weniger anständige Verse. Aber je mehr über „Mövenpick“ gesprochen wurde, desto sicherer sei er sich seiner Sache gewesen. „Dann habe ich es gemacht.“ Das Restaurant eröffnet am 19. Juli 1948.
Seins Credo lautet: „Die teuren Sachen billiger, die billigen Sachen teurer.“ Erstklassige Weine gibt es im Offenausschank, Hummer, Lachs oder Meeresfrüchte in kleinen, bezahlbaren Portionen. Damit trifft er den Zeitgeist. „Ich glaube, ich hatte einen sechsten Sinn für das, was ganz einfach in der Luft lag“, erzählt er später seinem guten Freund Kasimir Magyar, der zum 100. Geburtstag von UP eine Hommage herausbringt.
Mövenpick expandiert nun schnell innerhalb der Schweiz. Den privaten Kredit bei seinen Freunden hat er da schon mit einem Aufschlag von 20 Prozent zurückbezahlt. Bei einer Amerikareise überzeugt ihn das Fast-Food-Konzept. Prompt eröffnet er 1962 die Restaurantkette Silberkugel nach US-Vorbild. Ab 1966 gibt es die ersten Mövenpick-Hotels, 1968 kommen Autobahnraststätten wie der berühmte „Fressbalken“ über der A1 in Würenlos dazu. Dann folgen die Selbstbedienungsrestaurants Marché, Caveau-Weinbars und ab 1969 Mövenpick Ice Cream. Innerhalb weniger Jahre verantwortet UP 106 Restaurants und 33 Hotels.
„Mövenpick hatte meine Liebe, meine Treue, meine Zuwendung“, sagt er einmal. Für die Ehe mit seiner zweiten Ehefrau Leonie war da wohl wenig Platz. Sie geht in die Brüche, und auch die drei Mädchen sehen den Vater selten. Als sich die über 20 Jahre jüngere Jutta Begus bei Prager als Sekretärin bewirbt, funkt es zwischen den beiden. Sie heiraten 1970 und bekommen ebenfalls drei Kinder.
Als Prager sich 1989 im Alter von 73 Jahren auf den Posten des Verwaltungsrats zurückzieht, übernimmt Jutta Prager die Zügel. Sie will den jüngeren Kindern Zeit verschaffen, um eventuell später in das börsennotierte Familienunternehmen mit 110 Restaurants, 21 Hotels und einer Milliarde Mark Umsatz einzusteigen. Doch deren Interesse bleibt gering. Und Jutta Prager sieht sich immer öfter der Kritik aus den eigenen Reihen ausgesetzt. Der „Spiegel“ berichtet 1989 fast schon gehässig, ein enger Mitarbeiter charakterisiere sie als ,Mischung aus Herbergsmutter und Domina‘.“
Ende 1991 entscheiden sich die Pragers, ihre Familienfirma Carlton Holding, die 25 Prozent der Aktien und die Stimmenmehrheit besitzt, zu verkaufen. Für 135 Millionen Schweizer Franken, heißt es inoffiziell. Neuer Besitzer ist der Münchner Investor Baron August von Finck. Für die Familie war das kein schlechtes Geschäft. Denn zu dieser Zeit liegt der Börsenwert der gesamten Firma bei rund 400 Millionen Franken. 2003 wird die erfolgreiche Eissparte an Nestlé verkauft. 2007 kauft die Carlton Holding die restlichen Mövenpick-Aktien auf und nimmt das Unternehmen von der Börse. „Mövenpick zu verkaufen, war schon eine Amputation“, gibt Ueli Prager kurz vor seinem Tod am 15. Oktober 2011 zu. Wie erfolgreich sein Lebenswerk war, hat er seit Ende der 1980er-Jahre schwarz auf weiß. In einem Test hatten 86 Prozent der Schweizer Kinder Möwe mit „v“ geschrieben. ®
Autorin: Jennifer Holleis