Vor dem Showdown.
Irgendwann zwischen dem 21. Juli und dem 25. Juli dürften die Wartungsarbeiten an der Gaspipeline NordStream 1 beendet sein. Danach kommt es zum Showdown: Fließt wieder Gas oder schneidet Putin Deutschland von der Versorgung mit russischem Gas ab?
Um Orientierung in dieser schwierigen Situation zu geben, hat Bhanu Baweja, Chefstratege der UBS, mit seinen Kollegen die Größenordnung des Gas-Problems und die Auswirkungen auf Wirtschaft und Inflation diskutiert. Um Ihnen, liebe Leser*innen, eine Orientierung zu geben, möchte ich ein paar Zahlen des UBS-Research mit Ihnen teilen.
In früheren Schätzungen gingen die Experten davon aus, dass Europa 2022 497 Milliarden Kubikmeter Gas verbrauchen würde – Deutschland allein 79 Milliarden. Davon sollten 127 Milliarden aus Russland kommen (Deutschland importiert normalerweise 50 bis 55 Milliarden, also rund zwei Drittel seiner Gasnachfrage, aus Russland).
Bis zur Wartungspause lieferte Russland nur in etwa die Hälfte der üblichen Menge – auf Jahresbasis hochgerechnet wären das rund 65 bis 70 Milliarden Kubikmeter.
Allein das hat schon tiefe Spuren in der deutschen Energiewirtschaft hinterlassen. Sollte nach der Wartung noch weniger oder gar kein Gas mehr fließen, hätte Deutschland ein riesiges Problem. Gas müsste zwingend rationiert werden.
40 Prozent des deutschen Gasverbrauchs fallen bei den privaten Haushalten an, 23 Prozent im Service- und Transportbereich. Diese Sektoren sollen – so die Politik – zumindest teilweise geschützt werden.
Am stärksten wäre deshalb die Industrie betroffen – Chemie, Auto, Metall, Glas, Lebensmittelverarbeitung –, die für 37 Prozent des Gasverbrauchs steht. Sie müsste nicht nur mit höheren Preisen, sondern gleichzeitig auch mit drastischen Mengeneinschränkungen rechnen. Produktionsausfälle und massive Ertragseinbußen wären die unausweichliche Folge. In der zweiten Runde träfe es dann deren Zulieferer. Und dass die Zuversicht von Konsumenten und Unternehmern in dieser Situation ebenfalls einen Schlag bekommen dürfte, verschärft den Abschwung der Konjunktur dann natürlich weiter.
Die Europäische Union, so die UBS, würde in diesem Fall unweigerlich in die Rezession schliddern. Die Bankexperten sprechen von drei Prozentpunkten weniger Wachstum, wobei der größte Teil des Rückgangs wohl 2023 stattfinden würde. Für Deutschland nennt die UBS keine Zahlen, aber angesichts der größeren Abhängigkeit vom russischen Gas dürfte der Konjunktureinbruch hierzulande noch deutlich stärker ausfallen.
Eine Zahl hat mich besonders überrascht. Sollten die aktuell hohen Marktpreise für Gas in voller Höhe von den Versorgern an die Nachfrager weitergegeben werden, würde allein dies für Deutschland einen Anstieg der Inflationsrate um weitere acht Prozentpunkte bedeuten! Was macht die EZB dann? Das, betonen die UBS-Experten, sei natürlich eine extreme Annahme. Aber es unterstreicht, wie kritisch die Situation ist.
Auch die Hoffnung, den Rückgang der Gaslieferungen durch Kohle und den Aufbau neuer Kapazitäten zur Nutzung von LNG (Liquid Natural Gas) auffangen zu können, teilt die UBS nicht. Bei der möglichen Substitution von Gas durch Kohle sei das meiste mittlerweile schon umgesetzt. Sehr viel mehr gehe nicht. Und bis neue LNG-Kapazitäten eine Größenordnung von 50 Milliarden Kubikmeter erreicht haben, soll es laut UBS bis 2026 dauern. Der Gasmarkt, so die Experten, bleibe deshalb noch lange angespannt.
Für kurzfristige Erleichterung könnten die Niederlande sorgen. Sie wollten die Förderung auf dem Groningen-Gasfeld aufgrund der Erdbebengefahr eigentlich Ende dieses Jahres stoppen. Würden sie nun weitermachen, wären, so die UBS, Fördermengen in der Größenordnung um zehn Milliarden Kubikmeter annualisiert möglich.
Ich selbst bin gespannt, wie weit die europäische Solidarität im Falle eines russischen Gas-Stopps trägt. Schließlich wären vor allem Deutschland und Österreich betroffen – Spanien und Portugal zum Beispiel fast gar nicht. Werden die anderen EU-Länder ihre knappen Gasreserven dann mit uns teilen – so wie Deutschland vor zwei Jahren zugestimmt hat, gemeinsame europäische Anleihen für den 750-Milliarden-Corona-Wiederaufbaufonds zu begeben?
Für Anleger ist dies eine knifflige Ausgangslage. Fließt nach der Wartung wieder Gas, sollten sich die Börsen erholen. Bleibt es aus, drohen weitere, deutliche Kursverluste.
Da wir bei private wealth unsere vorrangige Aufgabe darin sehen, Vermögen zu bewahren, raten wir weiter zu einer sehr defensiven Anlagepolitik.
Diese Positionierung fällt umso leichter, da sie durch den Kapitalmarktseismografen gestützt wird. Wie sie wissen, kombiniert der Seismograf verschiedene ökonomische Variablen – Konjunkturfrühindikatoren, Zinsentwicklungen oder auch die Kursschwankungen an den Aktienmärkten. Daraus werden die Wahrscheinlichkeiten für drei Marktzuständen im nächsten Monat destilliert. Grün steht für die Erwartung eines ruhigen, positiven Marktes. Gelb bezeichnet die Wahrscheinlichkeit für einen turbulent-positiven Markt. Und Rot zeigt die Wahrscheinlichkeit für einen turbulent-negativen Markt.
„Das sich zunehmend eintrübende konjunkturelle Umfeld, die höheren kurzfristige Zinsen und die steigenden Risikoaufschläge am Markt für Unternehmensanleihen sorgen dafür, dass die Wahrscheinlichkeit für negative Turbulenzen weiter zunimmt. Sie liegt nun fast auf dem gleichen Niveau wie am Höhepunkt der Corona-Krise. In einer solchen Gemengelage ist es sinnvoll, in Deckung zu bleiben“, erklärt Secaro-Geschäftsführer Oliver Schlick, der die Ergebnisse des Seismografen in Allokationsvorschläge übersetzt.
Das Fazit:
Weil die Konjunkturampel auf Rot steht, sieht der private wealth-Börsenindikator einen Korridor für die empfohlene Aktienquote zwischen 45 und 75 Prozent des individuell vorgesehenen Aktienanteils vor. Und da der Kapitalmarktseismograf zu maximaler Defensive rät, liegt die konkret vom private-wealth-Börsenindikators vorgeschlagene Aktienquote nur bei 45 Prozent. Mehr als die Hälfte des für Aktien zur Verfügung stehenden Kapitals ist also in Cash geparkt und wartet auf den Wiedereinstieg.
Voraussetzung dafür wäre, dass beim Seismografen die Wahrscheinlichkeit für einen positiv turbulenten Markt (Gelb) deutlich zu Lasten der roten Wahrscheinlichkeit zunimmt. Oder dass der Markt im Vergleich zu seinem Fair-Value noch deutlich günstiger wird.
Damit wir Ihnen in diesem Fall einen „private-wealth-alert” schicken können, hinterlegen Sie bitte Ihre mail-Adresse auf www.private-wealth.de oder registrieren Sie sich mit Ihrer mail-Adresse für ein kostenloses, sechsmonatiges Probe-Abo.
Herzlichst,
Ihr
Klaus Meitinger
Hinweis: Trotz sorgfältiger Auswahl der Quellen kann für die Richtigkeit des Inhalts keine Haftung übernommen werden. Die in private wealth gemachten Angaben dienen der Unterrichtung und sind keine Aufforderung zum Kauf oder Verkauf von Wertpapieren.