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  • Klaus Meitinger

Auf dem Gipfel.

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Konjunktur. Nach dem starken Aufschwung der vergangenen beiden Jahre scheint das globale Wirtschaftswachstum seinen Höhepunkt erreicht zu haben. Folgt nun der Absturz? Wie wahrscheinlich ist eine Rezession? Und wie entwickeln sich die Inflationsraten, die als entscheidende Einflussgröße für die Notenbankpolitik gelten? Die Lerbacher Runde nimmt die Welt der Wirtschaft aus Anlegersicht unter die Lupe.

„Auch das schönste Konjunktursommerlüftchen geht irgendwann zu Ende. Dann muss man für den Herbst gewappnet sein.“ (Wolfgang Brüderle, Politiker der FDP)

Im Lehrbuch liest sich das so einfach. Der Konjunkturzyklus beschreibt eine wellenförmig verlaufende Kurve um den langfristigen Wachstumstrend. In der Hochkonjunktur herrscht eine überdurchschnittlich hohe Güternachfrage, die Produktionskapazitäten der Unternehmungen sind ausgelastet, es besteht Vollbeschäftigung. Löhne und Gehälter der Arbeitnehmer steigen nun an. Inflation wird ein Thema. Und die Zinsen klettern. Unternehmer verdienen deshalb weniger. Sie werden pessimistischer und stellen Investitionen zurück. Der Abschwung beginnt. Und endet in einer Rezession.

In der Realität ist dieser Ablauf nicht so zwingend. Und vor allem nicht so vorhersehbar.

„Die letzten Jahre waren zunächst durch einen langsamen, aber spannungsfreien Aufschwung gekennzeichnet. Der Konjunkturzyklus schien besiegt“, überlegt Kai Röhrl, Head of Third Party Distribution bei Robeco. Seit Anfang 2016 erlebte die Weltwirtschaft dann eine deutliche Beschleunigung der Wachstumsraten. Überall auf der Welt herrschte Aufschwung. In einigen Ländern – zum Beispiel in Deutschland – diagnostizierten die Ökonomen 2017 dann einen echten Boom. Doch seit einigen Monaten zeigt nun eine Reihe von Frühindikatoren nach unten. „Deshalb werden Anleger nervös“, erklärt Röhrl: „Kommt der klassische Konjunkturzyklus nun zurück? Und droht bald der nächste gravierende Abschwung inklusive fallender Börsenkurse?“

In der Vergangenheit hatten sich die Ergebnisse der Umfragen des Münchner ifo Instituts zu den Geschäftserwartungen in der deutschen Industrie als besonders aussagefähig erwiesen. Aufgrund der Exportlastigkeit der Firmen gelten sie auch als sensibles Barometer für Veränderungen in der Weltwirtschaft. Von Dezember 2017 bis April 2018 fiel dieser Indikator nun fünfmal in Folge. Eine solche Serie gibt es in der Statistik seit 1969 – so lange führt das ifo Institut diese Umfrage durch – nur 13 Mal. Neun Mal folgte darauf eine mehr oder weniger schwere Rezession, also einige Quartale von Minuswachstum oder Nullwachstum. Drei Mal kam es zu einer Wachstumsabschwächung. Nur im Herbst 2014 vollzog der ifo-Indikator rasch wieder eine Trendwende nach oben und die Wirtschaft wuchs weiter. Signalisiert der ifo-Indikator nun wieder Unheil? Oder ist diesmal alles anders?

// 01. Deutet der Absturz der ifo-Geschäftserwartungen auf eine ernsthafte Rezessionsgefahr hin?

„Die vier Worte ,Diesmal ist alles andersʻ gehören zu den teuersten Börsenweisheiten. Für mich sind die Umfrageergebnisse des ifo Instituts ein ernsthaftes Warnsignal“, macht Helmut Neumaier, FOCUS Asset Management, klar: „Wenn sich die Erwartungen laufend verschlechtern, werden Unternehmer offensichtlich vorsichtiger. Und stellen dann wohl Investitionen zurück. Das wiederum hätte Folgeeffekte, die sich selbst verstärken könnten. Konjunktur ist eben zu 50 Prozent Psychologie. Irgend etwas passiert – und Leute, die gestern noch alles positiv gesehen haben, schwenken nun ins Negative.“

„Potenzielle Auslöser dafür gibt es ja heute mehr als genug“, ergänzt Daniel Oyen vom Family Office Plettenberg,  Conradt & Cie.: „Der Handelsstreit, der Ausstieg der USA aus dem Atomabkommen mit dem Iran, die Konflikte im Nahen Osten, die Tatsache, dass der US-Aufschwung schon extrem lange läuft, eine hohe Verschuldung, die jetzt auf tendenziell steigende Zinsen trifft … – da kann viel passieren.“

„Das Risiko eines Abschwungs gibt es natürlich immer“, überlegt Reinhard Pfingsten, Bethmann Bank, „unser Basisszenario ist das aber nicht. Das ist weiter positiv.“ „Bei der Betrachtung von Frühindikatoren ist immer zu berücksichtigen, wie sie erhoben werden“, erläutert Marc Vits, Bankhaus Metzler: „Das ifo Institut fragt, schätzen Sie die Geschäftserwartung auf sechs Monate günstiger, gleich bleibend oder ungünstiger ein? Ende vergangenen Jahres gab es da extrem hohe Werte. Sehr viele Unternehmer hatten gemeldet, es würde besser. Wenn nun ein paar von ihnen sagen: ,Es bleibt super, noch besser kann es kaum werden‘, dann fällt dieser Indikator. Das ist pure Mathematik. Ich sehe nicht, warum das globale Wachstum nicht trotzdem im nächsten Jahr solide bleiben sollte.“

„Ein entscheidender Faktor ist wahrscheinlich, wie es mit dem Thema Handelskrieg weitergeht“, fährt Carsten Mumm, Donner & Reuschel, fort: „Donald Trump weiß genau, dass in einem Handelskrieg alle verlieren – auch seine Wähler. Ich gehe deshalb davon aus, dass es zu einer Verhandlungslösung kommen wird.“ „In diesem Fall sehen wir beim ifo-Index sofort wieder eine Gegenbewegung“, vermutet Reinhard Pfingsten, „denn die Auftragsbücher sind ja voll, die zugrundeliegenden Wachstumskräfte intakt. Die Schwellenländer haben ihre Schwächephase der Jahre 2014 bis 2016 überwunden – dort ist der Aufschwung übrigens noch jung. China wächst stabil. Japans Wirtschaft gibt wieder mehr Gas. Und in Europa ist eine Beschleunigung bei Kreditvergabe und Investitionen sichtbar. Das bricht nicht so schnell ab.“

Mehr Sorgen bereitet den Experten – immer vorausgesetzt, die geopolitischen Spannungen lösen sich auf – ein ganz anderer Punkt. „Klassisch fehlt ja im aktuellen Zyklus noch die Euphoriephase. Nun gibt Donald Trump mit seiner Steuerreform noch einmal richtig Gas, obwohl das Wachstum in den USA jetzt schon so weit über dem langfristigen Trend liegt wie lange nicht. Das ist eigentlich wirtschaftspolitischer Wahnsinn. Ich bin gespannt, ob daraus nicht eine richtige Überhitzung wird. Die dann 2019 oder 2020 in die nächste Rezession führt“, überlegt Daniel Oyen.

„Der größte Risikofaktor ist aus meiner Sicht ein Anstieg der Inflationserwartungen, verbunden mit einem Zinsschub bei Anleihen mit längerer Laufzeit“, erläutert Mumm. „Tatsächlich ist die Verschuldung im Unternehmenssektor vor allem in den USA in den letzten ein bis zwei Jahren deutlich angestiegen“, bestätigt Neumaier, „das könnte dann bei der Refinanzierung Probleme geben.“ Nach der extrem langen Niedrigzinsphase seien heute viele Zombie-Unternehmen unterwegs – Firmen, die in einem normalen Zinsumfeld nicht mehr existieren würden. „Mit jedem Basispunkt, den es am Anleihemarkt nach oben geht, wird eines dieser Unternehmen ausscheiden“, prognostiziert Mumm. „Geht der Zinsanstieg schneller, werden in kürzerer Zeit mehr Unternehmen schließen müssen. Wenn das zu schnell passiert, wäre das ein ziemliches Problem für die Konjunktur und die Kapitalmärkte.“

In der Lerbacher Runde wird deshalb ein zweiter Aspekt mindestens genauso heiß diskutiert wie die Frage nach der globalen Wachstumsperspektive. Was passiert in den kommenden Monaten eigentlich in Sachen Inflation?

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// 02. Wie groß ist die Inflationsgefahr wirklich?

„Das Wort Gefahr impliziert ja, dass Inflation etwas Böses ist. Wenn ich die Diskussion der letzten vier, fünf Jahre Revue passieren lasse, hatte ich eher das Gefühl, dass moderate Preissteigerungen angesichts von Deflationsängsten herbeigesehnt wurden. Dass die disinflationären Tendenzen mittlerweile abgeklungen sind, ist zunächst einmal positiv“, sagt Marc Vits.

Derzeit sieht die Lerbacher Runde sowohl in den USA als auch in Europa einen anhaltenden Trend zu höheren Preisen. Die Rohstoffpreise klettern und in vielen Industrienationen – allen voran die USA und Deutschland – gibt es mittlerweile massive Knappheiten am Arbeitsmarkt. Das treibt die Löhne. „Zudem ist nun auch der Konsum in China angesprungen. Was es für Rohstoff- und Güterpreise bedeutet, wenn alle 1,3 Milliarden Menschen dort auch noch Teil am weltweiten Wachstum haben, kann sich jeder vorstellen“, meint Röhrl: „Jahrzehntelang hat China als billiger Lieferant für die Welt Deflation exportiert. Künftig wird es Inflation exportieren.“

Die spannende Frage bleibt: Wie schnell steigen die Preise – und in ihrem Schlepptau die Anleihezinsen? „Ein nennenswert höheres Zinsniveau – sagen wir, drei bis fünf Prozent bei US-Anleihen mit zehn Jahren Laufzeit – würde vieles auf den Kopf stellen“, meint Mumm, „dann stünden die Bewertungen von Aktien und Immobilien genauso infrage wie die Refinanzierungen im Unternehmenssektor.“ Dass die US-Zinsen aktuell schon bei drei Prozent notieren, unterstreicht die Brisanz. „Viel darf da nicht mehr kommen“, sagt Neumaier.

„Kommt auch nicht“, beruhigt Marc Vits, „die vielen gegenläufigen Kräfte – Digitalisierung, Roboterisierung, Globalisierung – werden auch weiterhin auf der Inflationsentwicklung las­ten. Zwar dürfte die gute Situation am Arbeitsmarkt in vielen Industrieländern über kurz oder lang zu Lohnsteigerungen führen, ein übermäßig starker, beziehungsweise schneller Anstieg der Inflationsraten ist gleichwohl nicht zu erwarten.“ „Lohnerhöhungen gehen nicht eins zu eins in die Inflationsrate ein“, erklärt Pfingsten, „das kann auch durch Produktivität aufgefangen werden. Oder zulasten der Margen gehen.“

// 03. Ist Inflation gut oder schlecht für die Firmenerträge?

„Entscheidend ist letzten Endes immer, ob die Firmen Preiserhöhungsspielräume haben“, erklärt Helmut Neumaier: „Eine moderate Inflation dürfte sich zunächst positiv auf die Erträge auswirken. Erst wenn die Inputkosten zu stark klettern und deshalb Investitionen zurückgefahren werden, wird es kontraproduktiv.“ „Dabei ist auch zu beachten, wie stark die Firmen dem internationalen Wettbewerb ausgesetzt sind“, ergänzt Pfingsten. „US-Firmen mit ihrem großen konsumorientierten Binnenmarkt im Rücken haben es da wohl leichter als die Europäer – besonders wenn jetzt noch protektionistische Tendenzen dazukommen“, meint Mumm. „Und natürlich gibt es auch auf der Rohstoffseite positive und negative Effekte“, fügt Daniel Oyen an, „rohstofffördernde Unternehmen gewinnen. Wer viele Rohstoffe braucht, verliert.“

Per saldo sieht die Runde diesen Aspekt allerdings entspannt. „Es kommt auf die zeitliche Komponente an. Wenn diese Änderungen moderat und vorhersehbar erfolgen, können die Firmen reagieren“, schließt Vits, „dann ist der Effekt insgesamt auf die Unternehmensgewinne nicht schlecht.“

Das Fazit der Lerbacher Runde: Die aktuelle Konjunkturschwäche wird mehrheitlich als Delle im Aufwärtstrend betrachtet. Im nächsten Jahr werde das reale Wachstum vermutlich ein bisschen schwächer ausfallen. Weil die Preise stärker steigen, sollten die nominalen Raten dann aber in etwa ähnlich bleiben. Die Rezessionsgefahr taxieren die Experten insgesamt auf zehn bis 15 Prozent. Helmut Neumaier weist allerdings darauf hin, dass jeder Abschwung mit einer Delle beginnt.

// 04. Was bedeutet dieses realwirtschaftliche Weltbild für die Anlagestrategie vermögender Privatpersonen?

„Mehr Cash, weniger Anleihen, weiter auf Aktien setzen und ein paar ,Alternatives‘ aufbauen“, bringt es Kai Röhrl auf den Punkt. „Investoren sollten dabei aber immer bedenken, dass wir uns in der späten Phase des Konjunktur- und Aktienmarktzyklus befinden“, ergänzt Helmut Neumaier. „Es gilt, die Frühindikatoren, Geopolitik und das Thema Protektionismus genau zu beobachten und den Finger am Abzug zu haben. Sollte sich die Situation dort weiter verschlechtern, würde ich relativ schnell mehrere Gänge runterschalten.“

Daniel Oyen weist auf einen weiteren Indikator hin, der Anlegern in der Vergangenheit gute Dienste geleistet hat: „Die Entwicklung der Zinsstruktur – das Verhältnis der Renditen von Anleihen mit zwei Jahren Restlaufzeit im Vergleich zu zehnjährigen Papieren. Rentieren die Kurzläufer höher, wir sprechen dann von inverser Zinsstruktur, folgt mit sechs bis zwölf Monaten Verzögerung in der Regel eine Rezession. Im Moment ist die Zinsstruktur noch nicht invers, aber es geht mit großen Schritten in diese Richtung.“ Wichtig, so Oyen, sei es deshalb, flexibel zu bleiben, um im Fall des Falles schnell handeln zu können. „Wenn es um illiquide Anlagen geht, die sich nur schwer veräußern lassen, bin ich zunehmend vorsichtig.“

„Auch deshalb gilt derzeit weiterhin: Aktien sind die attraktivste Anlageklasse“, macht Carsten Mumm klar, „das ist besonders für risikosensitive Anleger wichtig. Nur mit Aktien haben Investoren die Chance, eine positive Realrendite zu generieren. Im Zinsbereich fällt die mit Sicherheit negativ aus.“

„In der späten Phase des Konjunkturzyklus ist es aber auch da wichtig, ganz genau hinzuschauen“, ergänzt Marc Vits: „Die Zeit, als es ausreichend war, einfach den Index zu kaufen, ist definitiv vorbei. Der Gleichlauf von einzelnen europäischen Aktien mit dem Gesamtindex ist in den vergangenen 18 Monaten schon merklich gesunken. Die Wertentwicklung von Aktie A hängt also nicht mehr so stark von der Wertentwicklung der Aktien B bis Z ab. Titelspezifische Kriterien werden künftig einen größeren Einfluss auf den Anlageerfolg haben.“

„Ich rate Anlegern dazu, doppelt umzudenken“, schließt Reinhard Pfingsten: „Erstens: Leicht steigende Zinsen – die werden wir definitiv sehen – sind nicht schlecht, sondern gut für Aktien. Und zweitens: Volatilität ist kein Risiko, sondern eine Chance. Die Märkte dürften im nächsten Jahr immer wieder zwischen den Extremen Rezessionsangst und Inflationsangst hin- und herpendeln. Das lässt sich nutzen.“     ®

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Autor: Klaus Meitinger

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