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  • Klaus Meitinger

Die (un)heilige Allianz.

(Geschätzte Lesezeit: 5 - 9 Minuten)

Lerbach DSF1784 2Wirtschaftspolitik. Fiskal- und Geldpolitik wachsen immer stärker zusammen. Ist das ein Fluch? Oder ein Segen? Und was bedeutet es für die Zukunft der Wirtschaft, die Wachstumsperspektiven und die Aussichten in den verschiedenen Anlageklassen?

In den Sozialwissenschaften gibt es das Konzept der Pfadabhängigkeit. Ganz grob beschreibt es den typischen Verlauf von Prozessen. Am Anfang ist die Zukunft offen, es gibt viele mögliche Abzweigungen. An unzähligen Kreuzungen stehen Alternativen zur Verfügung. Ein kleiner Einfluss kann große Effekte haben und die Richtung des Prozesses verändern.

Irgendwann kommt dann aber der Punkt, an dem der Pfad festgelegt scheint. Eine Richtungsänderung ist nun kaum mehr möglich, bewusstes Umschwenken extrem aufwendig und teuer. Deshalb wird an diesem Pfad festgehalten, selbst wenn sich später herausstellt, dass eine Alternative überlegen gewesen wäre. Pfadabhängige Prozesse, sagen die Wissenschaftler, seien nicht selbstkorrigierend, sondern würden sich verfestigen.

„Genau das geschieht derzeit im Zusammenspiel zwischen Geld- und Fiskalpolitik“, nickt Ralf Bringmann, DZ Privatbank, „die Notenbanken galten immer als unabhängig. Seit der Finanzkrise 2008 werden Geld- und Fiskalpolitik jedoch zunehmend miteinander verzahnt.“ „Mittlerweile kann die Unabhängigkeit der Geldpolitik getrost infrage gestellt werden. Denn heute sind alle Industriestaaten davon abhängig, dass ihre Notenbanken einen großen Teil der von ihnen begebenen Anleihen aufkaufen“, verdeutlicht Carsten Mumm, Donner &  Reuschel. „Im Frühjahr hat die EZB zum Beispiel für 1,35 Billionen Euro Anleihen erworben“, informiert Johann Roßgoderer, MFI Asset Management, „das entsprach nicht zufällig fast exakt der Summe, die von den einzelnen Ländern am Markt aufgenommen wurde. Die Notenbank verhinderte so, dass dieses gigantische Volumen zu massiv steigenden Renditen führt. Denn höhere Zinsen können sich die Staaten nicht mehr leisten.“

Ein kleiner Exkurs. In den entwickelten Ländern hatte die Staatsverschuldung in Relation zum Sozialprodukt nach dem Zweiten Weltkrieg mit knapp 125 Prozent ihren bisherigen Höhepunkt erreicht. Dann begann dank des Rückenwinds hoher Wachstumsraten beim Wiederaufbau eine 30-jährige Entschuldungsphase. Die Quote sank auf 25 Prozent. Seitdem steigt sie wieder. Zunächst auf 75 Prozent. Dann auf 100 Prozent, als die Wirtschaft in der Finanzkrise mit Staatsgeld unterstützt werden musste. Und nun – aufgrund der Rettungsmaßnahmen im Rahmen der Covid-Pandemie – sogar auf mehr als 125 Prozent. Das ist ein neuer Rekordstand. Aktuell sind die Industrieländer stärker verschuldet als am Ende des Zweiten Weltkriegs.

„Und die Ansprüche an die Staatshaushalte werden weiter steigen“, ist Timo Steinbusch, Deutsche Apotheker- und Ärztebank, überzeugt. „Die Corona-Hilfsmaßnahmen werden in den nächsten Monaten weitere Milliarden verschlingen. Dazu kommt die Herausforderung des Umbaus der Wirtschaft in Richtung Digitalisierung und Klimaneutralität. Und in wenigen Jahren werden die Altersvorsorgesysteme demografiebedingt in Schwierigkeiten geraten“, zählt Daniel Oyen, VPC Family Office, auf, „all das wird eine Menge Geld kosten.“

„Wir leben schon in einer verrückten neuen Welt“, schüttelt Axel Angermann, FERI, den Kopf, „je mehr Schulden wir machen, desto klarer ist es, dass die Zinsen gar nicht mehr steigen dürfen. Und die Einzigen, die dafür sorgen können, sind eben die Notenbanken.“

Mittlerweile ist die deshalb unausweichliche enge Verbindung zwischen Geld- und Fiskalpolitik sogar offiziell in der „Modern Monetary Theory“ verankert, die in Amerika bei Teilen der demokratischen Linken ernsthaft diskutiert wird. „Der Kern dieser Theorie ist es, dass die Notenbanken den Staaten alles überweisen, was diese zur Bedienung ihrer Ausgaben brauchen“, erklärt Mumm und folgert: „Weder die FED noch die EZB werden auf absehbare Zeit aus den Anleihekäufen wieder herauskommen.“ „Und das ist noch nicht alles“, prognostiziert Bringmann: „In Japan, dem am höchsten verschuldeten Industrieland der Welt, kontrolliert die Notenbank schon seit geraumer Zeit ganz offiziell die Zinskurve und setzt den Anleihemarkt komplett außer Kraft. Das könnte die Blaupause für die USA und für Europa sein.“

Tatsächlich wäre dies die ultimative Lösung aller ökonomischen Probleme. Niemand müsste sich mehr Gedanken darüber machen, wie viel Schulden sich ein Land erlauben kann. Und der Staat hätte ein Werkzeug in der Hand, um Nachfrage und damit Wachstum nach Wunsch zu stimulieren.

Willkommen im Paradies. „Oder in der Hölle“, überlegt Johann Roßgoderer, „eine Fiskalpolitik ohne Budgetrestriktion kann auch brandgefährlich werden. Ein Politiker, der wiedergewählt werden möchte, wird in so einer Welt Wünsche, die an ihn herangetragen werden, niemals abschlagen können.“ Ist das ein Fluch? Oder ein Segen?

„Zunächst einmal hängt die Antwort davon ab, was mit dem Kapital geschieht“, analysiert Ralf Bringmann, „es fehlt ja tatsächlich schon lange an Investitionen, um die dringend nötigen Veränderungsprozesse einzuleiten. Das wären dann gute Schulden.“ „Schlecht wäre es dagegen, wenn das Geld in den Konsum fließen würde“, ergänzt Timo Steinbusch.

Aktuell sehen die Profis in diesem Punkt durchaus positive Ansätze: „In den USA werden nun Billionen in die Infrastruktur fließen. Und auch bei uns sind in den Konjunkturmilliarden Posten enthalten, an die vor einem Jahr nicht zu denken gewesen wäre – zum Beispiel 50 Milliarden für Wasserstofftechnologie. So kann der Strukturwandel angeschoben und neue Wachstumsdynamik erzeugt werden“, hofft Angermann.

„Auch das 750-Milliarden-Programm der EU geht in die richtige Richtung“, ergänzt Mumm, „Wachstum allein kann ja nicht das Ziel sein. Der Fokus muss auf qualitativen Verbesserungen liegen, auf dem effizienteren Einsatz von Ressourcen und der Reduzierung negativer Umwelteinflüsse. So könnte verträgliches, anders gesagt: ,gutes‘ Wachstum entstehen.“

„Das optimistische Szenario sähe dann so aus“, skizziert Oyen: „Die Produktivität beschleunigt sich durch die Digitalisierung. Neue Wachstumsfelder tun sich auf. Wir bekommen einen Konjunkturschub. Und der hilft, den Schuldenberg in Relation zum stark steigenden Sozialprodukt abzutragen.“

Denkbar, meinen die Experten, wäre das. Aber ist es auch wahrscheinlich? „Es kann auf jeden Fall nur funktionieren, solange die Inflationsrate unter Kontrolle bleibt“, sagt Mumm. „Andernfalls müssten sich die Notenbanken irgendwann entscheiden – Inflation laufen lassen und so die Wirtschaft ruinieren oder Zinsen anheben und eine Finanzkrise riskieren – beides keine schönen Perspektiven“, macht Roßgoderer klar.

Mit Blick auf das Jahr 2021 ist dies zwar noch kein Thema. „In der aktuellen Wirtschaftskrise gibt es keinen Spielraum für Lohn- und Preiserhöhungen“, sagt Steinbusch. Längerfristig könnte sich das aber ändern. „Vor 90 Jahren, in den Goldenen 20ern, gab es auch eine große Erleichterung in der Gesellschaft nach dem Weltkrieg und dem Überstehen der Spanischen Grippe. Es wurde gefeiert und konsumiert. Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass sich dies – wenn Corona in ein bis zwei Jahren besiegt ist – wiederholt“, meint Oyen.

„Zusätzlich zu den Nachholeffekten bei Konsum und Investitionen wirkt die Fiskalpolitik ja noch lange expansiv. Wenn dann die Globalisierung nachlässt, Kapazitäten fehlen – das könnte durchaus zu einem Anstieg der Inflation in bestimmten Bereichen der Wirtschaft führen“, stimmt Angermann zu.

„Solange das im Bereich zwischen zwei und vier Prozent bleibt, wäre es ja gar nicht schlecht“, meint Bringmann, „das nominale Wachstum fällt dann höher aus, die Entschuldung funktioniert noch besser.“ Die Mehrzahl der Ökonomen sieht auch keinen Grund, warum die Inflationsrate stärker steigen sollte. Digitalisierung und Demografie – eine alternde Bevölkerung gibt weniger aus – sprächen dagegen.

Ganz offensichtlich bereiten sich auch die Geldpolitiker schon auf dieses Szenario vor. „Die US-Notenbank FED hat gerade ihre Spielregeln geändert“, erklärt Mumm, „sie will ihr Inflationsziel von zwei Prozent nun nur noch im Durchschnitt erreichen. De facto könnte sie so die nächsten fünf Jahre drei Prozent Inflation zulassen, um das Unterschießen der letzten Jahre aufzuholen.“ „Das spiegelt einfach die Notwendigkeiten wider. Wenn eine Notenbank ihr eigenes System nicht durch steigende Zinsen in Gefahr bringen will, braucht sie Spielräume“, sagt Roßgoderer. „Ich bin sicher, dass die EZB bald einen ähnlichen Schritt machen und ihre Strategie aus dem Jahr 2003 nun flexibler gestalten wird“, ergänzt Bringmann.

Die Welt der Zukunft, so wie sie die Experten sehen, ist geprägt durch größere Toleranz für mehr Schulden und höhere Inflationsraten. Und weil die Notenbanken keine höheren Zinsen zulassen werden, dürften diese trotzdem sehr lange extrem niedrig bleiben. Ist das ein Fluch für Anleger? Oder ein Segen?

„Das kommt darauf an. Für alle, die Nominalwerte besitzen – Bargeld, Anleihen, Lebensversicherungen –, ist es ganz klar ein Fluch. Denn die Realzinsen – also der Zins abzüglich der Inflationsrate – werden negativ bleiben oder sogar noch negativer. Und die finanzielle Repression, der Kaufkraftverlust von Nominalwerten, verschärft sich“, erklärt Timo Steinbusch.

„Für die Besitzer von Sachwerten – vor allem von Aktien – könnte es sich, sobald wir die Corona-Pandemie im Griff haben, dagegen als Segen erweisen“, fährt Axel Angermann fort. Liquidität bleibt reichlich, die Fiskalpolitik facht kurzfristig ein Strohfeuer bei der Konjunktur an, die Unternehmensergebnisse steigen. In der Nullzinsära werden künftige Gewinne wertvoller und Aktienbewertungen nehmen zu. Wenn nun immer mehr Privatanleger und Versicherer dies erkennen, ändern sie ihre Anlagepolitik. Und deren Nachfrage treibt die Kurse weiter. „Das sind klassische Voraussetzungen für eine Phase massiver Übertreibungen“, konstatiert Roßgoderer, „sie wird aber mit extremen Kursschwankungen einhergehen. Weil Anlegergruppen an den Markt kommen, die das Aktienrisiko eigentlich nicht akzeptieren möchten. Das wird aufregend.“

Irgendwann allerdings werde die Rechnung fällig. „Weil nicht alle Menschen Sachwerte besitzen, geht die Schere zwischen Arm und Reich noch weiter auseinander“, überlegt Carsten Mumm. „Deshalb wird der Staat dann korrigierend eingreifen. Sollte es zu massiven Steuererhöhungen kommen, wäre das perspektivisch natürlich negativ“, macht Oyen klar.

Das größte Risiko sieht er aber darin, dass sich in Sachen Inflation wieder einmal alle täuschen. „Nach der Finanzkrise hat jeder gedacht, angesichts der expansiven Geldpolitik müssten die Preise steigen. Das war falsch“, erinnert Oyen, „wenn aber nun die Geldpolitik ein immer höheres Volumen von Staatsausgaben direkt finanziert, ist das ein anderes Spiel. Meine Sorge ist, dass wir dann irgendwann nicht mehr über das Wohlfühlszenario von zwei bis vier Prozent sprechen.“

Dann würde sich tatsächlich die Frage nach dem Vertrauen in unser Geldsystem stellen. „Das letzte Mal, dass Papiergeld in ähnlicher Weise auf den Markt geworfen wurde, war im Frankreich des 18. Jahrhunderts. Die Konsequenz war die Zerrüttung der Währung“, erinnert Roßgoderer.

Es muss nicht wieder so kommen. „Aber falls doch, würden Sachwerte zwar keinen perfekten Schutz bieten. Sie würden aber wahrscheinlich viel weniger verlieren als Nominalwerte“, verdeutlicht Steinbusch. „Breit in diesem Bereich aufgestellt zu sein, ist dann die einzig sinnvolle Lösung“, schließt Oyen.

Für Investoren sei es wichtig, sich jetzt schon auf diesen Weg zu begeben. Die (un)heilige Allianz zwischen Geld- und Fiskalpolitik ist geschmiedet, der Pfad für eine lange Zeit extrem niedriger Zinsen und negativer Realzinsen festgelegt. „Da ist doch klar, wohin die Reise langfristig geht. Wir raten dazu, jede Korrektur zu nutzen, um den Anteil von Sachwerten im Vermögen weiter aufzustocken“, schließt Axel Angermann.    ®

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