Jede soll schön sein.
Gaby Aghion revolutionierte mit sechs Kleidern in den 1950er-Jahren die französische Modewelt. Ihre Firma Chloé wird zur Mode-Institution. Und ihr Konzept der tragfertigen Mode zum bezahlbaren Preis – Prêt-à-porter – wird zum Leitmotiv einer ganzen Branche.
Geldnot ist sicherlich nicht der Grund, warum Gaby Aghion Unternehmerin wird. Als jüngste von sieben Töchtern des erfolgreichen Tabakproduzenten Hanoka und als Ehefrau des vermögenden Baumwollsprösslings Raymond Aghion hätte sie ein bequemes Leben in Alexandria führen können. Doch als die Situation 1945 für die jüdischen Bewohner dort schwieriger wird, überlegt das Ehepaar nicht lange: Der Weltkrieg ist vorbei und Paris, die Stadt der Eleganz, soll das neue Zuhause der beiden 24-Jährigen werden. Dort macht es „Klick“. „Damals gab es in Frankreich viele Dinge nicht, alles musste erfunden werden. Das begeisterte mich“, erinnert sich Gaby Aghion. Das Lebensgefühl des jungen Paares, das sich mit anderen linken Intellektuellen in Cafés trifft, und zu deren Freunden der Autor Louis Aragon, der Maler Pablo Picasso und der Dichter Paul Èluard zählen, hat sie nie vergessen: „Es war wie ein Tornado.“ Gleichzeitig ist sie erstaunt, wie wenig die französische Nachkriegsmode bietet: Haute Couture können sich nur Wenige leisten. Schlecht sitzende Kleider sind der Alltag. Gaby hatte die französische Mode der Vorkriegszeit geliebt. Im Elternhaus war sogar eine Schneiderin angestellt gewesen, die Kleider aus Modemagazinen für die Familie nähte. In Aghion reift 1952 die Idee, mehr aus ihrer Leidenschaft zu machen. „Ich muss einfach arbeiten gehen, es reicht mir nicht mehr, mich zum Mittagessen zu verabreden.“
Ehemann und Familie sind erstaunt. Selbst ihre Freunde geben ihr nur zwei Wochen. Doch Gaby hat ein gutes Gespür für die Bedürfnisse der modernen Frau, die weder die Zeit noch das Geld hat, sich maßgeschneiderte Kleider anpassen zu lassen, sondern lieber unkompliziert, chic und bezahlbar gekleidet zur Arbeit gehen möchte.
Sie entwirft sechs schlichte Kleider aus Baumwollstoffen und lässt sie im Dienstmädchenzimmer ihrer Pariser Wohnung nähen. Ihre Freundin Chloé Huysmans wird zur Namenspatronin des Labels. Die Mode soll sportlich, unkompliziert und feminin sein – so wie Gaby Aghion. „Ich bin ein freier Geist und löse Dinge auf meine eigene Art.“ Mode auf ihre Art zu verkaufen geht so: Aghion besucht ihre Lieblingsboutiquen und bietet ihre Kleider an – unter ihrem eigenen Label, nicht wie üblich unter dem Label des Geschäfts. Sie nennt die Modelle „luxuriös und fertig anzuziehen“ – und prägt den Begriff „Prêt-à-porter“. Die sechs Chloé-Kleider werden ein bahnbrechender Erfolg, die Schneiderinnen in der Wohnung kommen kaum mit der Produktion nach.
Bereits ein Jahr später schließt sich Gaby mit Jacques Lenoir zusammen. Der Geschäftsmann übernimmt 1953 die operativen Arbeiten, damit sie sich ganz auf die kreative Seite konzentrieren kann. Die erste Chloé-Modenschau ist bis heute legendär: 1956 präsentiert die Designerin die neue Kollektion im Café de Flore auf dem Boulevard Saint-Germain. Nicht auf Laufstegen, sondern zwischen Tischen und Stühlen zeigen die Modelle auf Augenhöhe der Besucher die neuen Kleider, die sofort erworben und angezogen werden können. 1957 ist Chloé regelmäßig in der Vogue Paris vertreten. Bald tragen Brigitte Bardot, Maria Callas, Jackie Kennedy und Grace Kelly Chloé-Kleider.
„Mode sollte frisch wie knackiger Salat sein“, findet Gaby Aghion. Damit ihre Mode frisch bleibt, beginnt sie, mit anderen Designern zusammenzuarbeiten. Und obwohl sie den Deutschen „einen zweifelhaften Geschmack in Sachen Mode“ unterstellt, gibt sie dem jungen Karl Lagerfeld 1965 eine Chance. Zwanzig Jahre bleibt er und begeistert mit bis zu zwanzig Entwürfen pro Tag.
Während Chloé für fließende Chiffon-Kleider und weich umspielende Hosenanzüge berühmt wird, bleibt Gaby Aghion ihrem eigenen Stil treu: Ihr Trademark-Outfit ist eine schwarze Tunika über einem weißen Shirt. „Ich habe mich immer schlicht angezogen. Ich gehöre nicht zu denen, die gerne auf dem gesellschaftlichen Parkett glitzern.“
1985 zieht sich die 64-Jährige aus dem laufenden Geschäft zurück und verkauft ihre Anteile an Dunhull, das heute zur Luxusgruppe Richemont gehört. Für wie viel? Privatsache. Es war für beide sicher ein guter Deal. ®
Autorin: Jennifer Bligh