Hoffnung auf ein Déjà vu.
Die Ergebnisse des ifo-Geschäftsklimas für den Monat Januar waren ernüchternd. Die Stimmung in der Industrie ist zum Jahresanfang ähnlich schlecht wie zum Ausklang des letzten Jahres. Der für das private-wealth-Börsenindikator so wichtige Index der Geschäftserwartungen im Verarbeitenden Gewerbe ging sogar noch einmal zurück – von Minus 23,0 auf minus 26,0 Punkte.
Wir hatten uns – ehrlich gesagt – mehr versprochen. Mittlerweile muss jedem Politiker klar sein, dass eine grundlegende, wirtschaftspolitische Wirtschaftspolitik nötig ists, soll der Industriestandort Deutschland erhalten bleiben. Es bestand darum durchaus die Hoffnung, dass sich die Perspektive einer Wende positiv in den Geschäftserwartungen für die kommenden sechs Monate niederschlagen würde.
Zwei Mal in den letzte 50 Jahren ist ein ähnlicher Kraftakt schon gelungen. Warum sollte dies nicht ein drittes Mal möglich sein?
Anfang der 1980er Jahre steckte Deutschland nach zwei Ölkrisen und einer Zeit hoher Inflationsraten in der Rezession. Am 17. September 1982 traten dann die vier FDP-Minister aufgrund von Differenzen in der Wirtschaftspolitik aus der SPD/FDP-Regierung aus. Am 1. Oktober wurde SPD-Kanzler Helmut Schmidt mit den Stimmen der Unionsparteien und einer Mehrheit der FDP-Abgeordneten vom Bundestag durch ein konstruktives Misstrauensvotum des Amtes enthoben und Helmut Kohl zu seinem Nachfolger gewählt. In der Wahl vom März 1983 erhielt die CDU/CSU mit 48,8 Prozent einen klaren Regierungsauftrag für ihr Programm der wirtschaftlichen Konsolidierung und koalierte danach mit der FDP.
Anfang der 2000er Jahre hatte Deutschland massiv an Wettbewerbsfähigkeit verloren und galt als kranker Mann Europas. Gleichzeitig waren am Arbeitsmarkt noch die Folgen des Platzens der Internetblase zu spüren. Am 14. März 2003 versprach Bundeskanzler Gerhard Schröder unter dem Slogan „Mut zum Frieden – Mut zur Veränderung“ den Reformstau in Deutschland zu beenden. In Zeiten wirtschaftlicher Stagnation wollte der Sozialdemokrat mithilfe der Agenda 2010 Deutschland wieder konkurrenzfähig machen.
Sowohl 1982 unter der CDU/CSU als auch 2003 unter Rot/Grün gelang die Wende. Und für Anleger in deutschen Aktien brach eine sehr lukrative Zeit an. In den folgenden vier Jahren verdreifachte sich der DAX jeweils – ausgehend von einem, zugegeben, sehr niedrigen Krisenniveau. Eine mutige Wende hin zu einer angebotsorientierten Wirtschaftspolitik, zu weniger Staat, mehr Markt, weniger Bürokratie, niedrigeren Steuern und Abgaben wäre wohl auch diesmal wieder eine Initialzündung für den Standort. Vor allem die Aktien der Unternehmen aus der zweiten und dritten Reihe würden davon profitieren.
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass eben der Entwurf zu einem Strategiepapier der EU bekannt wurde. Darin wird ein vehementes Vorgehen gegen Bürokratie angekündigt. Die EU-Kommission werde eine beispiellose Anstrengung für mehr Vereinfachung leisten. Gleichzeitig soll ein neuer Wettbewerbsfähigkeits-Check neue Initiativen stärker unter die Lupe nehmen. Dabei gehe es etwa darum, die erwarteten Auswirkungen von EU-Vorhaben auf die Kostenunterschiede im Vergleich zu anderen internationalen Wettbewerbern zu bewerten.
Gelingt es in Europa endlich, Verkrustungen aufzubrechen und zeichnet sich nach der Wahl am 23. Februar eine handlungsfähige, wirtschaftsfreundliche und reformwillige Regierung in Deutschland ab, würde sich dies wohl mit hoher Wahrscheinlichkeit in einer Verbesserung der Geschäftserwartungen in der Industrie und der Börsenstimmung niederschlagen.
Wir sind gespannt. Der aktuelle Geschäftsklimaindex zeigt, dass die Unternehmenslenker daran offenbar noch nicht so recht glauben. Deshalb bleibt auch der private-wealth-Börsenindikator weiter vorsichtig.
Das Fazit für Anleger:
Die Konjunktur, speziell die Geschäftserwartungen der deutschen Industrie, und die Marktbewertung des DAX definieren den strategischen Korridor für die Aktienallokation des private-wealth-Börsenindikators.
Da die Konjunkturkomponente weiter auf „Rot“ steht und der deutsche Aktienmarkt oberhalb seines „fairen Wertes” notiert, liegt diese Bandbreite zwischen 45 und 75 Prozent des individuell vorgesehenen Aktienanteils.
Seit geraumer Zeit ist allerdings der Vergleich des von uns berechneten fairen Wertes des deutschen Aktienmarktes mit dem DAX erheblich erschwert. Der DAX wird fast ausschließlich von einer Handvoll Titeln nach oben gezogen. Diese glorreichen deutschen Fünf sind überbewertet, der Rest des DAX ist fair oder unterbewertet. Und auch die Titel aus der zweiten und dritten Reihe sind – zum Teil deutlich – unterbewertet. Wir reduzieren die strategische Bandbreite für den gesamten deutschen Aktienmarkt deshalb nicht, sind aber für den DAX auf dem aktuellen Niveau vorsichtiger gestimmt.
Innerhalb dieses Korridors definiert der Kapitalmarktseismograf – neben Konjunktur und Bewertung die dritte Komponente im private-wealth-Börsenindikator – die genaue Positionierung. Seit langer Zeit ist die Wahrscheinlichkeitslandschaft des Seismografen sehr positiv. Daran hat sich auch jüngst nichts geändert. Deshalb bleibt die Aktienquote im private-wealth-Börsenindikator am oberen Rand des strategischen Korridors bei 75 Prozent.
Ein Beispiel: Für Anleger, die in der strategischen Aufteilung ihrer Vermögenswerte eine Aktienquote von 50 Prozent als optimal erachten, würde das Modell vorschlagen, 37,5 Prozent in Aktien zu investieren (75 Prozent von 50 Prozent ergibt eine Aktienquote von 37,5 Prozent). Der Cash-Anteil, 12,5 Prozent, steht zur Verfügung, um bei etwaigen Rückschlägen günstiger kaufen zu können.
Herzlichst,
Ihr
Klaus Meitinger
Hinweis: Trotz sorgfältiger Auswahl der Quellen kann für die Richtigkeit des Inhalts keine Haftung übernommen werden. Die gemachten Angaben zum private-wealth-Börsenindikator dienen allein der Unterrichtung und sind keine Aufforderung zum Kauf oder Verkauf von Wertpapieren.
PS: Anbei finden Sie die beiden Zeitdokumente, die jeweils eine Wende in der deutschen Wirtschaftspolitik eingeleitet hatten. Sie sind interessant und absolut lesenswert.
Die Rede Helmut Kohls vom 13.10.1982 (Quelle: Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 9. Wahlperiode, Stenographische Berichte, Bd. 121, Bonn 1982, S. 7213-7229) finden Sie hier:
https://dserver.bundestag.de/btp/09/09121.pdf
Die Rede Gerhard Schröders vom 14.03.2003 ist unter folgendem Link abrufbar: