Der Weg aus der Flaute.
Dass Deutschland bereits seit mehreren Jahren nicht mit dem Wirtschaftswachstum anderer Industrieländer mithalten kann, ist beunruhigend. „Dem allgemeinen Abgesang auf unseren Lebensstandard wollen wir uns trotzdem nicht anschließen“, sagt Carolin Schulze Palstring in der aktuellen Investmentstrategie von Metzler Private Banking und zeigt, wie signifikante Effizienzsteigerungen nicht nur Deutschlands Wirtschaft wieder auf den Wachstumspfad zurückführen können. Weil diese Analyse das Zeug zu einem echten Mutmacher hat, möchten wir Sie Ihnen in verkürzter Form nahebringen.
Die Diagnose fällt schonungslos aus. Es geht abwärts. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich das Potenzialwachstum, also die bei Vollauslastung der verfügbaren Produktionsfaktoren erzielbare Wachstumsrate, vieler entwickelter Volkswirtschaften stark reduziert. Waren einst die Voraussetzungen gegeben, mit Raten zwischen zwei und vier Prozent zu wachsen, liegt dieser Korridor heute nur noch zwischen 0,5 und zwei Prozent. „Wir haben uns deshalb gefragt, ob die Industrieländer zur Stagnation verdammt sind oder ob sich dieser Trend umkehren lässt“, erklärt Carolin Schulze Palstring, Leiterin Kapitalmarktanalyse bei Metzler Private Banking.
Im Grunde sind zwei Fragen für den längerfristigen Wachstumsausblick einer Volkswirtschaft wegweisend: „Wie viel wird gearbeitet?“ und „Wie effizient wird gearbeitet?“.
Die erste Frage ist angesichts des demografischen Wandels schnell beantwortet. Die Zahl der insgesamt geleisteten Arbeitsstunden innerhalb einer Volkswirtschaft hängt vor allem von der Größe der Erwerbsbevölkerung ab. Und diese wird in vielen Ländern Jahr für Jahr weiter schrumpfen – nicht nur in den Industriestaaten, sondern auch in China. Komplett umkehren lasse sich diese Entwicklung auch durch Zuwanderung oder Maßnahmen zur Erhöhung der Erwerbsquote wohl kaum, so Schulze Palstring „Zudem geht die Stimmung in eine ganz andere Richtung: Bedingungsloses Grundeinkommen oder die Einführung einer Vier-Tage-Woche sind Konzepte, die sich in Teilen der Bevölkerung zunehmender Beliebtheit erfreuen. Kurzum: Arbeitskräftemangel trifft auf einen Wunsch nach mehr Freizeit – eine äußerst ungünstige Kombination für die Wirtschaft.“
Selbst wenn weniger Menschen dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen und die verbliebenen Erwerbspersonen nicht bereit sind, länger zu arbeiten, könnte das Problem immer noch dadurch gelöst werden, dass sie in der verfügbaren Zeit effizienter arbeiten. Bislang zeigen sich jedoch auch hier nachteilige Tendenzen: Das Wachstum der realen Arbeitsproduktivität (gemessen am Output pro Arbeitsstunde) in den entwickelten Volkswirtschaften sinkt bereits seit Jahrzehnten. „Die entscheidende Frage ist also, ob berechtigte Hoffnung auf einen Wiederanstieg der Produktivität besteht. Um es vorwegzunehmen: Drei zentrale Entwicklungen schaffen derzeit gute Rahmenbedingungen für einen echten Produktivitätsschub in der mittleren Frist“, macht Schulze Palstring Mut.
Erstens, so Schulze Palstring, käme mit den gestiegenen Zinsen der Prozess der so genannten „schöpferischen Zerstörung“ wieder in Gang. Zombiefirmen – unprofitable, hochverschuldete Unternehmen – hätten hauptsächlich dank niedriger Zinsen lange überlebt und Ressourcen wie Personal und Kapital gebunden, die gesunden Unternehmen nicht mehr zur Verfügung standen. Mittlerweile falle in den Industrieländern etwa jedes zehnte börsennotierte und jedes zwanzigste private Unternehmen in diese Kategorie. Die nun wieder gestiegenen Zinsen geben Anlass zur Hoffnung, dass Marktverzerrungen zumindest teilweise bereinigt werden und unprofitable Unternehmen wieder Platz für gesunde Firmen mit funktionierenden Geschäftsmodellen machen. „Dieser Prozess ist kurzfristig schmerzhaft, da er zu einem beträchtlichen Anstieg der Insolvenzen und auch zu zwischenzeitlich erhöhter Arbeitslosigkeit führt. Die Bereinigung würde sich aber in ein paar Jahren positiv auf die Produktivität auswirken und damit unsere Wachstumschancen deutlich erhöhen. Politiker wären also gut beraten, nicht jedes Unternehmen um jeden Preis zu retten“, macht Schulze Palstring deutlich.
Die zweite Voraussetzung für einen Produktivitätsschub sieht Metzler Private Banking in steigenden Unternehmensinvestitionen. Denn je besser die Mitarbeiter mit Bildung, Maschinen und Software ausgestattet sind, umso effizienter können sie ihre Arbeit verrichten. „Ob sich Investitionen lohnen, wird wiederum unter Abwägung der relativen Kosten von Arbeit und Kapital entschieden. Vereinfacht gesagt: Erst wenn es günstiger ist, eine Maschine zu kaufen, statt neue Arbeitskräfte einzustellen, wird automatisiert“, erläutert Schulze Palstring und folgert: „Angesichts von Personalmangel und massiv steigender Löhne wächst der Anreiz für Unternehmen nun, in Automatisierung zu investieren“.
Drittens findet im Zuge der geopolitischen Entwicklungen ein Umdenken in Regierungskreisen statt. Staatliche Förderung für Investitionen in Schlüsseltechnologien soll die Abwanderung der Industrie stoppen und internationale Abhängigkeiten bei kritischen Rohstoffen reduzieren. „Die gesellschaftlichen Prioritäten der Industrieländer lagen in den vergangenen Jahrzehnten primär im Bereich der Sozialausgaben. In relativer Betrachtung hat sich der staatliche Etat für Soziales gegenüber 1960 fast verdoppelt, während sich der Anteil für Investitionsausgaben mehr als halbiert hat. Mittlerweile scheinen jedoch auch Ausgaben für produktive Zwecke wieder mehr Berücksichtigung zu finden“, informiert Schulze Palstring.
Viele Staaten betreiben nun wieder eine aktivere Industriepolitik – allen voran die USA. Mithilfe eines Maßnahmenbündels aus CHIPS-Act, Infrastructure Investment Act und dem Inflation Reduction Act sollen auf Sicht der kommenden zehn Jahre mehr als eine Billion US-Dollar bereitgestellt werden. Die Europäische Union hat ebenfalls Förderprogramme auf den Weg gebracht. „Das allein wird jedoch nicht ausreichen, um ein attraktives Umfeld für Unternehmensinvestitionen zu schaffen. Gerade in Deutschland müssen zusätzlich die Rahmenbedingungen für Unternehmen verbessert werden – insbesondere in puncto Regulierung, Energie, Steuern und Arbeit gibt es erheblichen Bedarf, wie eine Studie der Stiftung Familienunternehmen zeigt.“
Nicht zuletzt sind auch die Technologien für einen Quantensprung bei der Produktivität vorhanden. „Denken Sie an die Blockchain, robotergestützte Prozessautomatisierung und vor allem generative künstliche Intelligenz“, zählt Schulze Palstring auf.
Einen ersten Anhaltspunkt, wie groß der Effekt allein durch Automatisierung ausfallen könnte, bietet eine Schätzung der Unternehmensberatung McKinsey. Demnach könnte das durchschnittliche jährliche Produktivitätswachstum im Szenario einer schnellen Adaption (das heißt, die Hälfte aller heutigen Arbeitsabläufe wird bis 2030 automatisiert) bis zum Jahr 2040 in Deutschland bei knapp 4 Prozent liegen. Im spätestmöglichen Szenario (die Hälfte aller Arbeitsabläufe wird bis 2060 automatisiert) lägen die Produktivitätszuwächse bei etwas mehr als 1 Prozent. „Beides sind Extremszenarien. Unter der Annahme, dass die Wahrheit irgendwo in der Mitte liegt, wäre ein durchschnittlicher jährlicher Anstieg der Produktivität von 2 bis 3 Prozent denkbar – ein Niveau, das zuletzt Anfang der 1990er-Jahre üblich war. Das wäre ein echter „Gamechanger“ und würde dabei helfen, demografisch bedingte Einbußen beim Wirtschaftswachstum abzufedern“, analysiert Carolin Schulze Palstring.
Natürlich wird dies nicht von heute auf Morgen geschehen. „Selbst im optimistischsten Fall wird es wohl einige Jahre dauern, bis sich ein starker Effekt auf das Wirtschaftswachstum einstellt. Trotzdem stehen die Chancen für einen echten Produktivitätsschub derzeit so gut wie lange nicht mehr. Dabei werden voraussichtlich diejenigen Länder am meisten profitieren, in denen die Lohnkosten hoch sind, marktwirtschaftliche Prozesse (zum Beispiel Unternehmenspleiten) zugelassen werden und die Standortbedingungen vorteilhaft ausfallen. Wenn wir als Gesellschaft heute die Weichen richtig stellen, um den technologischen Wandel zu fördern und mit Blick auf potenzielle Nebenwirkungen adäquat zu begleiten, ließe sich eine Zukunft skizzieren, in der unser Wohlstand erhalten bleibt oder sogar wächst“, folgert Carolin Schulze Palstring.
Auch Aktienanleger sollten profitieren. Gerade für Unternehmen ist das Thema KI von hoher Relevanz, denn KI – oder im weitesten Sinne Technologisierung – bietet das Potenzial, eine Vielzahl an Arbeitsabläufen effizienter zu gestalten. Überall dort, wo Daten analysiert, Inhalte erstellt oder Kunden betreut werden, könnte es künftig Möglichkeiten geben, Prozesse durch den Einsatz dieser neuen Technologien zu beschleunigen und sogar qualitativ zu verbessern. „Das Besondere dabei ist, dass sich so gut wie in jeder Branche Anwendungsfälle finden lassen – angefangen vom IT-Sektor über Energie- und Industrieunternehmen bis hin zum Gesundheitswesen“, konstatiert Schulze Palstring: „Kurzum, KI birgt das Potenzial, eine Phase weitreichender Veränderungen einzuläuten, die vergleichbar ist mit der Erfindung des Computers, des Internets oder des Smartphones.“
An der Börse stiegen in diesem Jahr vor allem die Kurse von Unternehmen, die Hardware und Infrastruktur für den Einsatz Künstlicher Intelligenz bereitstellen. „Künftig werden auch die Aktien von Firmen profitieren, die heutzutage (noch) nicht mit diesem Thema in Verbindung gebracht werden“, vermutet Schulze Palstring und verweist auf ein aktuelles Experiment von Forschern des Massachusetts Institute of Technology. „Es zeigt, dass berufsbezogene Schreibaufgaben unter Zuhilfenahme künstlicher Intelligenz schneller gelöst werden und gleichzeitig merkliche Qualitätsverbesserungen eintreten. Insbesondere die Arbeitsproduktivität leistungsschwächerer Teilnehmer ließ sich im Experiment drastisch steigern. Zukünftig könnten gerade jene Firmen vom Einsatz Künstlicher Intelligenz profitieren, deren Output pro Mitarbeiter unterdurchschnittlich ist, deren Personalkosten hoch sind und bei denen sich darüber hinaus eine Vielzahl an Aufgaben automatisieren lässt. Das Potenzial, die Produktivität zu steigern, ist in diesem Fall schließlich besonders groß. Damit sollte der Einzug von KI in die Unternehmenslandschaft auch für Gewinner in der zweiten Reihe sorgen.“
Sonderveröffentlichung:
B. Metzler seel. Sohn & Co. Kommanditgesellschaft auf Aktien
Untermainanlage 1
60329 Frankfurt am Main