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  • Klaus Meitinger

Ten years after.

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Vor zehn Jahren, am 26. Juli 2012 versprach der Präsident der EZB Mario Draghi angesichts der damaligen Euro-Krise: „Im Rahmen unseres Mandats ist die EZB bereit, alles Notwendige zu tun, um den Euro zu erhalten. Und glauben Sie mir, es wird genug sein.“ Es funktionierte. Seither bestimmt „whatever it takes“ die Politik der EZB. Der erste Halbsatz „im Rahmen unseres Mandats“ spielt allerdings kaum mehr eine Rolle.

In den zehn Jahren danach hat die europäische Notenbank die Geldmenge massiv ausgeweitet, in riesigem Umfang Staatsanleihen gekauft, die Zinsen nach unten manipuliert und verbotene monetäre Staatsfinanzierung betrieben. Vor allem schaffte sie so die Lenkungsfunktion des Zinses und ersetzte sie durch die Weisheit des EZB-Rates, der überzeugt ist, klüger zu sein, als der Markt.

Heute ist klar, dass die Notenbanker ihre Fähigkeiten hoffnungslos überschätzt haben: Wenn Geld nichts kostet, entstehen Spekulationsblasen, die irgendwann platzen. Und wenn die Geldmenge schneller wächst als die Gütermenge, steigen eben doch irgendwann die Preise. Ganz offensichtlich haben die Notenbanker die Inflation eben nicht so gut im Griff, wie sie es uns allen glauben gemacht haben. Und das ist nicht allein Putins Krieg geschuldet. Schon im Januar 2022 lag die Inflationsrate im Euroraum bei 5,1 Prozent!

Wer trotzdem an die Legende von der Unvorhersehbarkeit des Comebacks der Inflation glaubt, dem empfehle ich die Weihnachtsvorlesungen des ehemaligen ifo-Präsidenten Hans-Werner Sinn aus den Jahren 2020 und 2021. Professor Sinn erklärt darin sehr genau und glasklar, was auf uns zukommen wird.

Die Schlüsselfrage für Anleger lautet nun: Was bedeutet das für die Zukunft des Euro? „Whatever it takes mag den Euro erhalte haben. Für seien Kaufkraft gilt das nicht. Gegenüber dem US-Dollar hat die europäische Währung in den letzten zehn Jahren zumindest rund 20 Prozent an Kaufkraft verloren. Macht die EZB den Euro also zur  Weichwährung?

Eben habe ich dazu eine intelligente Analyse von Dieter Wermuth gelesen. Wermuth, Jahrgang 1940, arbeitete in den 1970gern beim Sachverständigenrat, dann bei mehreren Banken im In- und Ausland und ist ein wahrhaft unabhängiger Denker. Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen bei der Lektüre.

Herzlichst,

Ihr

Klaus Meitinger

Hinweis: Trotz sorgfältiger Auswahl der Quellen kann für die Richtigkeit des Inhalts keine Haftung übernommen werden. Die in private wealth gemachten Angaben dienen der Unterrichtung und sind keine Aufforderung zum Kauf oder Verkauf von Wertpapieren.

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MARKTKOMMENTAR

26. Juli 2022

Der Euro – eine Weichwährung

Dieter Wermuth, Economist und Partner bei Wermuth Asset Management

Vor zehn Jahren betrug das nominale Bruttoinlandsprodukt Eurolands pro Kopf 29.230 Euro, das der USA 40.190 Euro. Zurzeit sind es in der Währungsunion 37.160 Euro, in Amerika 71.840 Euro. Zwar hat sich das europäische pro-Kopf-BIP in diesem Zeitraum um 27 Prozent erhöht, das amerikanische dagegen, in Euro, um 79 Prozent. Relativ gesehen ist Europa ärmer geworden, kann sich für seine Währung weniger kaufen. Für viele, vor allem hochqualifizierte und talentierte Europäer ist der Anreiz inzwischen sehr stark, in die USA auszuwandern (oder in die Schweiz), es kommt zu einem sogenannten Brain Drain, der die internationale Wettbewerbsfähigkeit unseres Kontinents beeinträchtigt. Importe haben sich deutlich mehr verteuert als Exporte. Der Hauptgrund für beides: der schwache Euro.

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Wie konnte es dazu kommen? In der Vergangenheit wertete eine Währung tendenziell auf, wenn die Leistungsbilanz einen Überschuss aufwies, denn das bedeutete, dass die Nachfrage nach der Währung aus dieser Quelle größer war als das Angebot. Das Argument mag auch heute noch gelten, hat aber offenbar an Kraft verloren: Euroland hat seit langer Zeit einen Überschuss, die USA dagegen seit gefühlt ewigen Zeiten ein Defizit. Die Leistungsbilanzsalden spielen keine Rolle mehr.

Dito die Situation bei den Staatsfinanzen. Je größer das Defizit, je höher die staatlichen Schulden, desto weniger solide die Finanzpolitik. Wenn ein Land es mit dem Schuldenmachen nicht so genau nimmt, folgern die Teilnehmer an den Devisenmärkten, dass es über kurz oder lang versuchen wird, sie durch Monetisierung zu entwerten, also zu Lasten derer, die Vermögen in dieser Währung halten. Dadurch entsteht ein Verkaufsdruck, der zu einer Abwertung führt. Stimmt auch nicht mehr: Im Durchschnitt betrug das aggregierte staatliche Haushaltsdefizit Eurolands seit Beginn der Coronakrise 5,2% des BIP, in den USA 10,6% (jeweils einschließlich eines Schätzwerts für 2022). Nach Rechnungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) waren – und sind – auch die gesamtstaatlichen Schulden in Relation zum BIP in den USA deutlich höher als im Euroland: aktuell 126% zu 95%. Trotzdem beeindruckt auch das die Devisenmärkte nicht. Unsolide Staatsfinanzen werden trotz dieser Zahlen eher den Ländern des Euroraums unterstellt.

Das Problem ist natürlich, dass die USA ein Staat sind, mit einheitlicher Fiskalpolitik und einem gewaltigen militärischen Apparat, während die Währungsunion nur ein Verbund von - in Kernkompetenzen autonomer - Staaten ist. Dass sie stets zusammenhalten, durch Dick und Dünn, ist keineswegs ausgemacht, wie sich gerade wieder im neuen italienischen Wahlkampf zeigt, und auch vor Kurzem im französischen, oder bei den Alleingängen und Erpressungsversuchen von Ungarn und Polen. Wenn es ernst wird, müssen die USA zu Hilfe kommen. Kaum ein Anleger scheint zu erwarten, dass Westeuropa einem russischen Angriff auf die baltischen Staaten standhalten kann. Sie werden daher ihr Geld lieber in Dollar als in Euro halten, obwohl die Inflationsaussichten von der Lohnentwicklung her in den USA deutlich schlechter sind als im Euroland.

Hinzu kommt, dass die amerikanische Zentralbank viel entschlossener gegen die Inflation vorgeht als die EZB, also die Zinsen früher und stärker angehoben hat. Das mag in einer Rezession enden, aber da es am Arbeitsmarkt weiterhin hervorragend läuft, lässt sich die Fed nur wenig von dieser Aussicht schrecken. Die US-Leitzinsen dürften noch in diesem Jahr auf etwa 3% steigen und damit das europäische Niveau weiterhin – und um immer mehr – übertreffen. Am amerikanischen Geldmarkt lässt sich mehr Geld verdienen, vor allem in nominaler, weniger in realer Rechnung.

Außerdem ist die Reputation der EZB nicht sonderlich gut: Sie verhält sich nicht, wie man es erwarten sollte, marktneutral, sondern betreibt nebenbei Strukturpolitik, die eigentlich in das Ressort anderer staatlichen Institutionen gehört, indem sie beispielsweise „grüne“ Wertpapiere beim „quantitative easing“ gegenüber anderen bevorzugt, neuerdings direkt Einfluss nimmt auf die Renditespreads von Anleihen unterschiedlicher Provenienz (Länder), oder Banken dafür belohnt, wenn sie ihre Kreditvergabe über gewisse Mindestwerte hinaus erhöhen. Dass sie viele Monate lang verkündet, sie werde die Leitzinsen in diesem Juli um 25 Basispunkte erhöhen, sie aber stattdessen um 50 anhebt, hat ihren Ruf nicht gerade verbessert.

Müssen wir uns ernsthaft Sorgen um den schwachen Euro machen? Grundsätzlich ist eine starke Währung etwas Wünschenswertes, weil sie die Kaufkraft verbessert und die Wirtschaftsstruktur in Richtung solcher Produkte und Dienstleistungen verändert, die sich trotz hoher Kosten und Preise verkaufen lassen, was wiederum hohe Einkommen garantiert. Auf Dauer lohnt es nicht, ein Billiganbieter zu sein. Nach Rezessionen oder in der Frühphase der wirtschaftlichen Entwicklung nützen unterbewertete Währungen, wie zum Beispiel in Deutschland nach dem Krieg. Aber wenn bereits ein großer Kapitalstock vorhanden ist und die Erwerbsbevölkerung gut ausgebildet und motiviert ist – und de facto Vollbeschäftigung herrscht -, macht es keinen Sinn, seine Produkte und Dienstleistungen gewissermaßen zu verschleudern. Ein fester Wechselkurs bedeutet, sein Angebot ständig verbessern zu müssen. Ein solches Angebot schafft seine eigene Nachfrage – es etabliert Trends und läuft dem Markt voraus, statt ihm mit Billigprodukten hinterher zu hecheln. Mit anderen Worten: Auf Dauer bringt ein schwacher Euro nichts. Dies ist, wie der Leser und die Leserin gemerkt haben wird, ein Plädoyer für rascher steigende europäische Leitzinsen und eine Aufwertung des Euro.

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Über Wermuth Asset Management

Wermuth Asset Management (WAM) ist ein Family Office, das auch als BAFIN-regulierter Anlageberater tätig ist.

Das Unternehmen hat sich auf klimawirksame Investitionen über alle Anlageklassen hinweg spezialisiert, wobei der Schwerpunkt auf EU-"exponentiellen Organisationen" nach der Definition der Singularity University liegt, d.h. Unternehmen, die ein großes Problem der Menschheit profitabel lösen und exponentiell wachsen können. Das Unternehmen investiert über eigene und fremde Fonds in Private Equity, börsennotierte Anlagen, Infrastruktur und Sachwerte. WAM hält sich an die UN Principles of Responsible Investing (UNPRI) und den UN Compact und ist Mitglied der Institutional Investor Group on Climate Change (IIGCC), des Global Impact Investing Network (GIIN) und der Divest-Invest-Bewegung.

Jochen Wermuth gründete WAM im Jahr 1999. Er ist ein deutscher Klimafolgeninvestor, der im Lenkungsausschuss von "Europeans for Divest Invest" tätig war. Seit Juni 2017 ist er auch Mitglied des Anlageausschusses für den 24 Milliarden Euro schweren kerntechnischen Entsorgungsfonds (KENFO).

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