„Ich wollte einfach etwas Sinnvolles tun.“
Nach 20 Jahren in der Textilindustrie suchte Marcel Egmond Brenninkmeijer eine neue Lebensaufgabe. Also investierte er in die Solarindustrie. Heute ist seine Firma Good Energies rund fünf Milliarden Euro wert. Und das ist wohl erst der Anfang einer unglaublichen Geschichte.
„Und jetzt, wo du im Bereich Erneuerbare Energien tätig bist“, fragte Vetter Patrick Ende 2000, „was wirst du jetzt machen?“
„Ich werde mich auf Solar konzentrieren“, antwortete Marcel Egmond Brenninkmeijer, „und dafür eine Firma gründen. Die soll einmal eine Milliarde Euro wert sein.“
„Ich mag die einfachen runden Zahlen“, erzählt der schlaksige gebürtige Niederländer, „eine Milliarde, das ist so eine Zahl. Kaum hatte ich sie genannt, sah ich schon, wie einige die Augen verdrehten.“ Schließlich hatte ihm die Familien-Holding, die Patrick Brenninkmeijer damals leitete, zunächst nur einen einstelligen Millionenbetrag zur Verfügung gestellt.
Kurze Zeit nach diesem Gespräch, im März 2001, gründet Marcel Brenninkmeijer in Basel die Investmentgesellschaft Good Energies. In den folgenden Jahren wird die Familien-Holding COFRA noch sehr viel mehr investieren – insgesamt fast eine Milliarde Euro. Diese Milliarde wird Marcel Brenninkmeijer im Frühjahr 2007 zurückzahlen.
Trotzdem wird der Nettovermögenswert von Good Energies im Frühjahr 2008 bei rund vier Milliarden Euro liegen. Vier Milliarden Profit. Erwirtschaftet in nur sieben Jahren.
Auch für Brenninkmeijer-Verhältnisse ist das ein unglaublicher Erfolg. Seit 1841 ist die Textildynastie C&A Brenninkmeijer im Bekleidungsgeschäft tätig. In 167 Jahren hat der vielköpfige Clan einen Besitz geschaffen, der derzeit auf 15 bis 20 Milliarden geschätzt wird. Und nun kommt ein einziges Familienmitglied – Marcel – und steigert das Familienvermögen in nur sieben Jahren um fast ein Viertel!
„Die Familie“, lächelt der 49-Jährige, „ist schon ziemlich zufrieden.“ Mittlerweile arbeiten drei weitere Familienmitglieder bei Good Energies. Schritt für Schritt, so scheint es, beginnen sich die Schwerpunkte in der Familie zu verschieben. Und wer weiß – in hundert Jahren taugt der Textilbereich vielleicht nur noch als Ausgangspunkt für eine Geschichte über die Energiedynastie Brenninkmeijer. „Hätte ich in den neunziger Jahren nicht die Umweltgruppe bei C&A koordiniert, wäre ich nie in diese Richtung gegangen“, erklärt Marcel Brenninkmeijer.
Tatsächlich beginnt die Geschichte eines der erfolgreichsten Investoren unserer Zeit mit einer Plastiktüte.
Wie jedes Mitglied der Familie Brenninkmeijer erhält Marcel eine erstklassige Ausbildung. 1980 tritt er in das Familienunternehmen ein, arbeitet in den Niederlanden, in Großbritannien, in Frankreich, in Kanada und kommt 1989 schließlich nach Deutschland. In einer der ersten Sitzungen, an denen Marcel teilnimmt, befasst sich der Vorstand mit Kunden-Briefen. „Einer beschwerte sich, er habe Probleme mit unserer Einkaufstüte. Auf der stand, sie würde sich von selbst auflösen. Er hatte sie ein Jahr lang auf den Balkon gelegt. Vergeblich. Die Plastiktüte hatte sich nicht aufgelöst.“
Wer sollte sich darum kümmern? „Das soll Marcel machen“, schlagen die Kollegen vor. „Ich hatte damit eigentlich nichts am Hut. Aber ich war ja neu. Also sagte ich: Gut, wenn ihr wollt, mache ich das. Eine Stunde wird das Meeting dauern, Maximum. Den Hinweis nehmen wir einfach runter.“
Als der Materialeinkaufsleiter von C&A kurze Zeit später Bericht erstattet, wird schnell klar, dass sich das Problem so nicht lösen lässt. „Wir produzierten 250 Millionen Einkaufstüten pro Jahr, die sich nicht auflösten. Das waren etwa 2,8 Millionen Kilogramm Rohmaterial. 2,8 Millionen Kilogramm Abfall.“
Also fragt Marcel Brenninkmeijer: „Wenn sich die Tüten schon nicht auflösen, können wir dann nicht wenigstens ein anderes Material verwenden?“ Das ginge, antworten die Experten. Würde zum Beispiel das neue HD-Polyethylen – HD steht für High Density – anstelle von LD-Polyethylen (Low Density) verwendet, ließe sich der Materialeinsatz drastisch reduzieren. „Macht Sinn, sagte ich, da sparen wir ja viel Geld.“
Brenninkmeijer erzählt diese Geschichte ganz ausführlich, weil sie den Zusammenhang zwischen nachhaltigem Handeln und Rendite illustriert. Der ist ihm wichtig. Denn dass er immer wieder auf das Gutmenschen-Image eines „Saubermanns“ reduziert wird, dem Rendite unwichtig sei, passt ihm gar nicht. „Nachhaltig Wirtschaften bedeutet vernünftig Wirtschaften und steigert langfristig die Rendite. Ich kam von der ganz profanen, ökonomisch getriebenen Seite. Am Anfang ging es nur darum, Sachen effizienter zu machen. Allein die Tüten haben uns im ersten Jahr zehn Millionen Mark gespart. Auf zehn Jahre hochgerechnet waren das hundert Millionen. Das war ein großer Erfolg. Danach haben wir angefangen, uns ernsthaft mit Umweltmanagement-Systemen zu beschäftigen.“
In den Jahren danach leitet Marcel Brenninkmeijer die C&A-Umweltgruppe. Es ist eigentlich nur ein „side-job“. Schließlich ist er in den neunziger Jahren für C&A Schweiz mitverantwortlich. Doch wenn Brenninkmeijer über diese Zeit spricht, erzählt er viel über die Umweltgruppe und nur wenig über seine eigentliche Management-Aufgabe. Nur ab und zu klingt leise an, dass er sich in der allein am Business orientierten Welt von C&A nicht immer hundertprozentig wohl gefühlt hat.
1998 nimmt er eine Auszeit, ein Sabbatical. Er studiert in Lausanne. Trifft Meinungsführer aus der Nachhaltigkeits-Szene. Ulrich Steger vom dortigen IMD, Paschen von Flotow vom Sustainable Business Institute. In der Zwischenzeit wird C&A neu geordnet. Die Firma richtet sich europäisch aus, verlegt den Sitz der Zentrale nach Brüssel. Als Marcel zurückkommt, nehmen ihn die Kollegen zur Seite: „Marcel, wir wissen im Augenblick nicht, welche Position wir dir anbieten sollen.“
„Ich sagte: kein Problem.“
Marcel Brenninkmeijer hat in dieser Zeit öfter darüber nachgedacht, etwas Neues zu beginnen. „Als ich studierte, war ich vierzig. Das ist statistisch Halbzeit. Ich hatte 20 Jahre bei C&A verbracht, zehn Jahre Ausbildung, zehn Jahre Verantwortung. Mache ich das jetzt 20 Jahre weiter? Oder versuche ich, etwas wirklich Sinnvolles zu tun?“
Was aber ist wirklich sinnvoll?
Marcel Brenninkmeijer nimmt ein leeres Blatt Papier und legt es vor sich auf den Tisch. „Als Erstes habe ich das Wort Profit geschrieben. Denn wenn das Geschäft nicht profitabel ist, gibt es dafür keine Finanzierung. Dann dachte ich, angesichts der vielen Umweltprobleme muss es etwas mit Umwelt zu tun haben. Wenn Sie im Einkauf tätig sind und nach eineinhalb Stunden Fahrt durch Bangkok aus dem Minibus heraustorkeln, wissen Sie: Das ist eine Einbahnstraße in den Untergang. Und drittens wollte ich Menschen helfen, die nicht so privilegiert sind wie wir, Menschen, die in Armut leben.“
Drei Begriffe standen nun auf dem Papier: People, Planet, Profit. Und kurz darauf ein vierter: Erneuerbare Energie.
„Mein Grundgedanke war: Irgendwann wird die Menschheit bereit sein, für saubere Energie zu bezahlen. Profit. Erneuerbare Energien würden viele unserer Umweltprobleme lösen. Planet. Und was ist sozialer, als den 1,6 Milliarden Menschen Energie zu bringen, die heute keinen Anschluss zum Netz, keinen Zugang zu Energie haben? People.“
Das war es. Aber was sollte er konkret machen? „Ich dachte, es gibt nur eine Industrie, mit der das geht. Das ist Windkraft. Wie aber konnte ich in der Windenergie bedeutungsvoll sein, wo dies damals doch schon ein Milliarden-Geschäft war? Eine Industrie, in der es schon mindestens 150 wichtige Spieler gab und ich nur der 151. gewesen wäre?“ Marcel Brenningkmeijer nimmt seinen Stift und streicht Wind durch: „Vergiss es. Es gibt nichts.“
Der Zufall hilft. Ein Bekannter bringt ihn mit dem norwegischen Professor Jan-Olaf Willums zusammen. „Wir trafen uns in der Lobby eines Hotels in Boston anlässlich einer Tagung des World Business Council. Er machte seinen Laptop auf und drei Stunden später wieder zu. Ich hatte von der technischen Seite seiner Ausführungen nichts verstanden. Aber ich ahnte, das war etwas, das die Welt verändern wird. Solar.“
Während seiner Zeit bei C&A hatte Brenninkmeijer gelernt: Wer in einem ganz neuen Bereich richtig Erfolg haben will, sollte vor allem auf zwei Dinge achten: Die Produktidee muss erstens zweistelliges Wachstum auf unbestimmte Zeit versprechen. Ansonsten wird die junge Firma bald im harten Kampf um Marktanteile aufgerieben. Zweitens muss das Produkt skalierbar sein. Wer eine Sache entwickelt und sie dann 100000 Mal wiederholen kann, hat schon fast gewonnen. „Solarzellen versprachen enormes Wachstum und waren skalierbar.“
Anfang 2001 fährt Marcel Brenninkmeijer nach Zug in der Schweiz zur Familien-Holding COFRA und trägt seine Idee vor. Die COFRA sagt einen niedrigen, einstelligen Millionenbetrag zu, die Kollegen dort warnen aber gleichzeitig: „Willst du wirklich Solar machen? Jeder erzählt uns, es dauert noch mindestens fünf Jahre, bis diese Industrie wirklich abheben wird.“ „Da bin ich aber froh“, antwortet Marcel, „weil ich fünf Jahre brauche, um diese Solar-Sache zu lernen.“
„In Ordnung“, sagt Vetter Patrick, „und jetzt, wo du im Bereich Erneuerbare Energien engagiert bist – was wirst du jetzt machen?“ „Ich werde eine Firma gründen“, antwortete Marcel Egmond Brenninkmeijer, „die soll einmal eine Milliarde Euro wert sein.“
Nun zahlt es sich aus, dass Marcel Brenninkmeijer die letzten drei Jahre „netzwerkend“ verbracht hat. „Ich gehe aus keiner Veranstaltung weg, bevor ich nicht drei neue Adressen habe. So habe ich über 2000 Kontakte gesammelt. Wenn Sie nichts wissen, können Sie ja nur von anderen lernen.“
Bei einem Treffen in Oslo, zu dem Prof. Willums eingeladen hat, begegnet er einem anderen Norweger – Alf Bjørseth. Der imponiert ihm. Bjørseth hatte in den achtziger Jahren die Entwicklungsabteilung von Norsk Hydro geleitet. 1992 dann, mit 52 Jahren, tauschte er sein bisheriges sicheres Leben gegen das Wagnis ein, eine Firma zu gründen, die irgendwann einmal Solarzellen produzieren sollte: ScanWafer.
Die beiden unterhalten sich herzlich. Vier Monate später ruft Bjørseth wieder an. „Er fragte, ob ich immer noch an Solar interessiert sei. Ich könnte mich an einer privaten Investmentfirma „Scatec“ beteiligen.“ Scatec bestand zu 80 Prozent aus Anteilen eines Solar-Unternehmens namens REC (Renewable Energy Corporation). 80 Prozent von REC widerum waren ScanWafer-Anteile. „Mit einem ersten Investment von drei Millionen Euro hatte ich einen Fuß in REC bekommen.“
Danach geht es schnell. „Auf einem Treffen in der Gerling Akademie in Zürich sagte einer der anwesenden Herren, er wäre investiert in einer Firma namens Q-Cells. Ob ich Interesse hätte, mir deren Zellfabrik anzusehen? Sicher, sagte ich, gerne.“
Anfang 2002 besucht Marcel Brenninkmeijer Q-Cells. Ein Start-up, sechs Monate alt. Er trifft die Gründer Reiner Lemoine und Anton Milner. In Ostdeutschland, in Bitterfeld. „Ich habe überlegt, wer macht denn hier überhaupt eine Firma auf. Das hatte einen ideologischen Hintergrund. Reiner Lemoine ist in Kreuzberg aufgewachsen, war ein 68er und hat sich gesagt: Ich will eine Solarfabrik in die am meisten verschmutzte Gegend Deutschlands bauen, um einen Kontrapunkt zu setzen. Zum Glück lag das Werk nahe an der Autobahn.“
Die drei verstehen sich auf Anhieb. Lemoine und Milner treten locker auf und tragen keine Krawatten. Das gefällt Brenninkmeijer, dem es „wenig Spaß macht, mit Menschen zusammenzuarbeiten, die allein am Geschäft orientiert sind.“ „Anton und Reiner erklärten mir ihre Vision, und ich dachte, meine Güte, diese Leute haben es drauf. Was mich dann aber wirklich überzeugt hat, war der Boden in der Fabrik. Nach sechs Monaten Produktion sah das aus wie in einer Meister-Proper-Reklame. Die waren im Geschäft mit Solarzellen die Nummer 22 von 22 in der Welt. Aber hatten einen Boden, von dem hätten Sie essen können. Mir zeigte das, die denken ganzheitlich. Für die ist klar: Alles muss stimmen, damit ein perfektes Produkt herauskommt. Das ist eine Einstellungssache. In diesem Moment wusste ich: Das ist die richtige Firma für mich.“
Andere potenzielle Investoren hatten das zu dieser Zeit nicht so gesehen. „Die sagten, produziert ihr erst einmal ein Jahr lang. Dann sehen wir uns die Bilanz an. Und wenn das überzeugend ist, schauen wir weiter. Das war ziemlich arrogant.“
Good Energies wartet nicht ab. Sondern kauft gleich. Zehn Prozent der Firma für 3,5 Millionen Euro. Viele weitere Investments folgen – in REC wie in Q-Cells. „Beide Firmen hatten ja einen enormen Kapitalbedarf. Aber bei jedem neuen Investment habe ich mich noch sicherer gefühlt.“
Im Oktober 2005 geht Q-Cells an die Börse. Anfang 2006 folgt REC. Good Energies gibt keine Anteile ab. Im Gegenteil: Als andere Altgesellschafter im Juni 2006 einen Teil ihrer Q-Cells-Aktien verkaufen wollen, stockt Good Energies auf. Im Frühjahr 2007 gelingt Good Energies dann ein interessantes Dreiecksgeschäft. Good Energies verkauft etwa die Hälfte seines 35-Prozent-Anteils an REC und bezahlt mit der erlösten Milliarde etwas mehr als das von der COFRA investierte Kapital an die Familien-Holding zurück.
Die zweite Hälfte der REC-Beteiligung wird inklusive eines Siliziumliefervertrags in Q-Cells eingebracht. „Der Vertrag entsprach der doppelten Weltproduktion des letzten Jahres, verteilt auf zehn Jahre. Wir hatten ja ein Interesse daran, dass die Firma, in der wir jetzt vor allem investiert sind, mit dem wichtigsten Rohstoff versorgt ist.“ Good Energies erhält dafür stimmrechtslose Vorzugsaktien von Q-Cells. Insgesamt besitzt Good Energies so 49,55 Prozent der Firma. Gesamtwert des Paketes: zwischen drei und vier Milliarden Euro – je nach Tageskurs an der Börse.
Wie kann einer, der eigentlich fünf Jahre lang nur lernen will, so schnell so erfolgreich sein? Noch dazu einer, der keinen Investmentbanking-Background hat, kein spezielles Wissen in der Solarindustrie, nur ein ganz normales Wirtschafts- und Zahlenverständnis.
„Für mich ist Common Sense wichtig“, erläutert Marcel Brenninkmeijer, „ich habe eigentlich nur das gemacht, was ich verstehen konnte. Das war zunächst sehr begrenzt.“
Verstanden hat Brenninkmeijer die langfristige Perspektive der Solarindustrie. „In 50 Jahren wird Solarstrom die billigste Energie sein, die Sie bekommen können. Das Wachstumspotenzial ist fast unvorstellbar. 2006 trug die gesamte Solarindustrie nur 0,09 Prozent zur weltweiten Energieerzeugung bei, und es wurden Solarzellen produziert, die 2,6 Gigawatt Strom lieferten. 2025 könnten es schon knapp zehn Prozent sowie zwischen 300 und 600 Gigawatt sein. Und im Jahr 2100 könnte mehr als die Hälfte des Primärenergiebedarfs der Welt durch Sonnenenergie gedeckt sein. Da sind gigantische Umsatzsteigerungen möglich.“
Marcel Brenninkmeijer bezieht sich, als er diese Zahlen nennt, auf eine Studie des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) aus dem Jahr 2003. Die dort skizzierte Perspektive ist natürlich denkbar. Bislang allerdings wird der weltweite Ausbau der Photovoltaik immer noch maßgeblich durch staatliche Unterstützungsmaßnahmen für die Nutzer der Solarenergie gefördert. Ohne diese Subventionen wäre Solarstrom nicht wettbewerbsfähig. Soll die Option Photovoltaik tatsächlich einen signifikanten Anteil an der weltweiten Energieversorgung bekommen, müssen die Kosten dramatisch sinken.
„Das werden sie“, ist Brenninkmeijer überzeugt, „diese Industrie ist erst ganz am Anfang ihrer Entwicklung. Ich vergleiche das gerne mit der Entwicklung des Verbrennungsmotors. Wir sind heute da, wo die Autoindustrie im Jahr 1910 stand. Die Kosten werden sinken und die Effizienz, die Ausbeute, wird stetig steigen. In fünf Jahren wird Solar in den sonnigen Gebieten dieser Erde – Mittelmeerraum und Kalifornien – auch ohne Subventionen zu Spitzenlastzeiten wettbewerbsfähig sein. In unseren Breitengraden wird es zehn Jahre dauern.“
Investments im Solarsektor, so Brenninkmeijer, erfordern deshalb vor allem zwei Dinge: erstens einen langen Atem. Den hat die Familie. „Ob der Börsenkurs von Q-Cells kurzfristig einmal um 30 oder 40 Prozent fällt, interessiert mich weniger. Langfristig mache ich mir angesichts der fantastischen Wachstumsperspektiven keine Sorgen.“
Die zweite Herausforderung für Kapitalanleger sei die Fähigkeit, die Spreu vom Weizen zu trennen. „Nur weil Solar im Firmennamen steht, muss das kein gutes Investment sein. Entscheidend ist: Wird die Firma das erwartete Umsatzwachstum auch realisieren können? Das hängt von den leitenden Personen ab. Erkennen sie Trends? Sind sie in der Lage, auf technologische Veränderungen zu reagieren? Sind sie glaubwürdig? Als Investor brauchen Sie ein Gespür für Menschen.“
Vertrauen statt Fakten? „Wahrscheinlich war es mein großer Vorteil, dass ich eben kein Investmentbanker war“, überlegt Brenninkmeijer, „sonst hätte ich vielleicht auch mehr Sicherheiten verlangt und hätte niemals so früh investiert. So dachte ich mir: Ich muss mich auf die Leute verlassen können. Ausgeklügelte Dokumente sind doch nur nötig, wenn etwas schiefgeht. Wenn es gut geht, braucht die niemand. Wenn es schiefgegangen wäre und die Solar-Industrie es nicht geschafft hätte, hätten auch Verträge nichts genutzt. Nur die Rechtsanwälte, die wären zwischenzeitlich beruhigt gewesen.“ Mit Alf Bjørseth, mit Reiner Lemoine und mit Anton Milner kann Marcel Brenninkmeijer diese Handschlaggeschäfte machen. Mit ihnen geht er Risiken ein. „Für mich war das einfach. Das waren Leute, die fantastische Jobs aufgegeben haben, die ihr persönliches Wohl und das ihrer Familie aufs Spiel gesetzt haben, weil sie an diese Chance glaubten. Wenn Sie solche Leute finden, die zudem noch mit beiden Beinen auf dem Boden stehen, was soll Ihnen da passieren?“
Common Sense und Menschenkenntnis paaren sich mit Weitblick und Ambition. Was daraus entstehen kann, zeigen Brenninkmeijer und Bjørseth im Jahr 2001. Alf Bjørseth war früh klar, dass Silizium knapp werden würde. Photovoltaikzellen bestehen schließlich aus zwei hauchdünnen Halbleiterschichten. Bevorzugtes Material dafür ist Silizium. „Der Markt für Solarzellen wuchs, das Siliziumangebot war aber begrenzt. Irgendwann würde dies der Engpass werden.“
Also suchte Bjørseth nach Silizium und stieß auf zwei Fabriken der japanischen Firma Komatsu in den USA. Die produzierten hochreines Silizium für Mikrochips, waren jeweils aber nur zur Hälfte ausgelastet und schrieben tiefrote Zahlen. Denn mit der Tech-Blase war die Nachfrage nach Mikrochips gerade in sich zusammengefallen. „REC wollte eine der Fabriken kaufen, hatte 150 potenzielle Kapitalgeber angesprochen – und 150 Absagen erhalten. Da beschloss Good Energies in Absprache mit der COFRA, REC das nötige Kapital alleine zur Verfügung zu stellen. „REC bezahlte rund 20 Millionen Dollar für eine Fabrik, die neu 200 gekostet hätte.“
Bjørseths Gedanke: Um Solarzellen herzustellen, muss das Silizium nicht ganz so rein sein wie in der Chip-Produktion. Könnte die Fabrik nicht abgespeckt werden? „Wir sind durch alle Stufen der Produktion gegangen und haben immer gefragt: Spielt das eine Rolle für unser Produkt? Wenn nein, dann weg damit. Nach sechs Monaten war die Fabrik saniert. Für REC war das der Durchbruch.“
Während sich die Partner nun um die Technologie kümmern, drückt Brenninkmeijer aufs Tempo. „Ich sagte: Ihr müsst schneller wachsen als all eure Konkurrenten. Es geht hier rein um Skaleneffekte. Wer die Produktion schneller steigern kann, hat den entscheidenden Stückkostenvorteil. Und kann dann wieder schneller wachsen. Das ist eine positive Aufwärtsspirale.“
Über diese Zeit zu sprechen, bereitet ihm heute noch sichtbar Vergnügen. 2002 produziert REC gerade genug Solarzellen, um zehn Megawatt zu liefern. Q-Cells will im ersten Jahr 17 Megawatt machen. Die Weltindustrie liegt bei 200 Megawatt. „Da kam einer wie ich, ein Solar-Neuling, und fragte: Wenn wir die Wachstumsraten hochrechnen, müsste die Weltindustrie 2010 doch bei fünf bis sieben Gigawatt liegen. Welchen Marktanteil braucht ihr, um dann eine der bedeutenden Firmen zu sein? Wir einigten uns auf ungefähr 15 Prozent.“
„Also, sagte ich: Ihr wisst ja alle, ich liebe runde Zahlen. Wir sollten im Jahr 2010 etwa ein Gigawatt produzieren.“
Unmöglich!
„Hmm“, antwortete ich, „was würdet ihr denn brauchen, um ein Gigawatt zu produzieren – Kapital, Arbeitskräfte, wie viele Fabriken? Könnt ihr eine Liste machen?“
„Die haben gedacht, ich wäre verrückt geworden, begannen aber trotzdem zu rechnen. Dann kamen sie zurück und meinten: Das gefällt uns. Bei 350 Millionen Watt halbieren sich die Kosten. Das ändert die gesamte Kalkulation. Ich erwiderte: fantastisch. Wenn wir eine Steigerung um das 35-fache hinbekommen, brauchen wir das nur noch mal drei zu nehmen, und schon habt ihr ein Gigawatt. Und wir sind am Ziel.“ Heute produziert REC 500 Megawatt pro Jahr, Q-Cells 370 Megawatt – und die Prognosen für die Weltproduktion der Solarindustrie im Jahr 2010 haben sich auf zwölf bis 14 Gigawatt glatt verdoppelt.
Aber war es nicht leicht für Marcel Brenninkmeijer, den Antreiber zu geben und so auch das Risiko zu erhöhen, wo doch letzten Endes die COFRA für Good Energies geradestehen musste? „Ich wäre auch bereit gewesen, diese Idee außerhalb der Familien-Holding umzusetzen. In einem kleineren Umfang natürlich. Mit meiner Frau hatte ich dies damals ausführlich besprochen, weil es uns ja finanziell in eine ganz andere Situation gebracht hätte. Sie sagte: ,Marcel, was auch immer du machst, ich werde das unterstützen.‘ Dass ich das dann doch nicht allein machen musste, war ein riesiges Glück.“
Denn tatsächlich war der Grat zwischen Erfolg und Misserfolg auch bei Marcel Brenninkmeijer sehr schmal. Das erste Engagement, das er 2001 einging – vor REC, vor Q-Cells –, war ein 15-Millionen-Franken-Investment in der SAM Smart Energy AG. Während des Renewable-Energy-Crashs der Jahre 2002 und 2003 fiel deren Wert um 75 Prozent. „Damit waren wir unterkapitalisiert. Hätte ich dieses Anfangs-Investment privat gemacht, ich wäre bankrott gewesen.“
So weit kam es nicht. COFRA stockte das Eigenkapital noch einmal auf. Thematisiert wurde dieser Fehlgriff nur ein einziges Mal. „Marcel, mach dir keine Gedanken“, sagte Vetter Patrick, „so ist der Aktienmarkt eben. Mach einfach weiter mit deinem Solar. Das wird gut gehen.“
Mittlerweile ist Good Energies eine vollwertige Division der Familien-Holding COFRA. Aus der Ein-Mann-Veranstaltung ist eine Firma mit 50 Mitarbeitern geworden. Neun Managing Directors teilen sich die operative Verantwortung. Marcel Brenninkmeijer ist einer von ihnen und gleichzeitig Chairman. Als CEO fungiert der ehemalige Investmentbanker und Goldman-Sachs-Partner Richard Kauffman.
Ein jährliches Budget von 350 Millionen Euro stellt sicher, dass Good Energies auch in Zukunft ein wichtiger Spieler am Markt bleiben wird: Nicht nur im Bereich Solar, in der gesamten Energiewirtschaft. „In der neuen Struktur haben wir auch einen neuen Investitionsauftrag: Aufbau eines Portfolios aus den Bereichen Wind, Solar, Gebäudeeffizienz und Projektentwicklung. Ein fünfter Sektor finanziert Investitionen mit hoher sozialer Rendite in Entwicklungsländern.“ Das können Solarhäuser in abgelegenen Gegenden Indonesiens und Sri Lankas sein. Oder lokale Mini-Wasserkraftwerke in Indien. „Rechnen muss sich das auch. Aber wir verlangen eben nicht 20 oder 25 Prozent Ertrag, wie es Private-Equity-Häuser tun würden. Dafür bewirken wir etwas.“ People, Planet, Profit.
Dass nun der ursprüngliche Ansatz – Fokussierung auf den Bereich Solar – etwas aufgeweicht wird, stört Marcel Brenninkmeijer nicht. „Es gibt so viele interessante Investmentfelder im Energiebereich. Und mittlerweile sind wir so groß, dass wir auch in anderen Bereichen etwas bewegen können.“ Ein achtköpfiges Team plant zum Beispiel Wind- oder Solarparks und sorgt für die Durchführung der Projekte. „Das geht von der Suche nach Land über das Einholen der Bewilligungen bis hin zum Aushandeln der Verträge mit Baufirmen und Versorgern. Die Leute machen einen Deal nach dem anderen.“
Ein weiterer Zukunftsmarkt ist der Gebäudebereich – Green Building. „Über 40 Prozent der Energie wird weltweit im Zusammenhang mit Gebäuden verbraucht, da gibt es noch sehr viel zu tun.“ Die Beteiligung SAGE Electrochromics entwickelt zum Beispiel intelligente Fensterscheiben. Je nach Sonneneinstrahlung wird das Glas dunkler oder heller und hält so die Wärme draußen oder drinnen. Das spart dann entweder bei der Heizung oder bei der Klimaanlage Energie.
Potenzial sieht Good Energies auch im Bereich Energiespeicherung. „Wir brauchen in diesem Sektor dringend Innovationen, weil wir die Energie ja oft zu anderen Zeitpunkten produzieren, als wir sie wirklich benötigen.“ Eine interessante Lösung dieses Problems hat sich Ice Energy ausgedacht. Deren Klimaanlagen kühlen am Tag, wenn der Strom am teuersten ist, mittels eines großen Eisblocks. In der Nacht wird dieser Block dann durch den Einsatz von günstigem Nachtstrom wiederhergestellt.
Im Kern soll Good Energies aber bleiben, was es war: ein führender Investor im Bereich Erneuerbare Energien, der in alle Stufen der Entwicklung von Firmen investiert und dabei hilft, Erneuerbare Energien so schnell wie möglich zur billigsten Form der Stromgewinnung zu machen. „Auf dem Weg dahin möchte ich aber schon noch zwei bis drei Q-Cells aufbauen“, lächelt der Chairman und erläutert: „Das kann aus unseren internationalen Beteiligungen kommen – wir haben zum Beispiel in die chinesischen Solarfirmen Trina Solar und Solarfun investiert – oder aus neuen Dünnschicht-Technologien.“
Eine dieser Innovationen könnte die Firma Sunfilm aus Großröhrsdorf in Sachsen liefern. Sie will als erster Hersteller weltweit so genannte Tandem-Dünnschicht-Photovoltaikmodule auf 5,7 Quadratmeter großen Glasträgermaterialien produzieren. Tandem deshalb, weil zwei Siliziumschichten verwendet werden. „Das steigert den Wirkungsgrad und senkt die Kosten pro Watt erheblich. Heute ist Sunfilm noch eine Baustelle. Aber wenn das so funktioniert, wie wir uns das vorstellen, sind wir der Konkurrenz bald um ein paar Nasenlängen voraus. Dann hätten wir zwei industriebestimmende Unternehmen, von der uns eines fast zur Hälfte und das andere zu mehr als der Hälfte gehört.“
Geht dieser Plan auf, könnte der Wert des Energie-Engagements der Familie Brenninkmeijer tatsächlich noch in diesem Jahrzehnt deutlich über den von C&A steigen. Eine erfolgreiche, innerfamiliäre Diversifizierung.
Und Marcel Brenninkmeijer selbst, was wird er dann machen?
„Ich widme aktuell schon viel Zeit meinem liebsten Kind, der Good Energies Foundation. Wir geben jedes Jahr einen ordentlichen Betrag an die vom ehemaligen Vorstand der Deutschen Solarstrom AG, Harald Schützeichel, geleitete Stiftung Solarenergie, die damit in Äthiopien kleine Solarpanels mit LED-Leuchten (so genannte Solar Home-Systems) installiert. Das ermöglicht es den Menschen dort, noch nach sechs Uhr, wenn es stockfinster ist, zu lernen oder zu arbeiten.“
Im ersten Jahr wurde eine Schule ausgestattet, aktuell kümmert sich die Stiftung um 1000 Haushalte im Dorf Rema, 250 Kilometer nördlich von Addis Abeba. Im nächsten Schritt sollen 5000 Haushalte mit Solarstrom versorgt werden.
„Wenn der Grundbedarf abgedeckt ist, stellt sich doch immer die Frage: Wie führe ich ein sinnvolles, freies Leben und wie bin ich meinen Kindern ein Vorbild? Früher war ich für C&A sehr viel unterwegs. Das hat zu Hause immer zu Diskussionen geführt. Jetzt bin ich noch mehr unterwegs, es gibt deshalb aber weniger Diskussionen. Im Gegenteil: Meinen ältesten Sohn Georg habe ich eine Woche nach Äthiopien mitgenommen. Er bekam unter der Bedingung schulfrei, dass er einen Bericht darüber schreibt. Der wurde so gut, dass wir ihn auf die Website genommen haben. Möchten Sie ihn lesen?“ ®