„Der Bullenmarkt ist noch intakt.“
Das Glas ist halb voll. Seit 43 Jahren verwaltet der Liechtensteiner Alfons Cortés das Vermögen weniger, sehr wohlhabender Kunden. Dabei hat er es sich abgewöhnt, Wachstumsraten, Zinssätze, Erträge oder Umsätze zu analysieren. „Alles, was ich wissen muss, sagt mir der Markt.“
Ein Gespräch mit Alfons Cortés läuft so ganz anders ab als herkömmliche Interviews zu den Kapitalmärkten. Deflation oder Inflation? Wachstumsraten? Ertragsprognosen? Der Zinstrend? Cortés zuckt nur mit den Schultern. „Das interessiert mich nicht. Die Zukunft können Marktbeobachter doch ohnehin nicht prognostizieren. Ich konzentriere mich deshalb ausschließlich auf die Sprache der Märkte, auf Preisbewegungen von Wertpapieren. Die kann ich beobachten. Wenn die fundamentalen Informationen tatsächlich relevant sind, werde ich das in diesen Daten sehen.“
Im Herbst 2012 stellte private wealth diesen ungewöhnlichen Investor vor, der damals sagte: „Um erfolgreich Kapital anzulegen, genügt es völlig, die Gegenwart richtig zu beschreiben.“
Zu dieser Zeit war seine Gegenwart durch einen breiten Aufwärtstrend an den Aktienmärkten gekennzeichnet. Entsprechend war Cortés auch „zu 100 Prozent“ investiert. Seitdem hat die Redaktion ein paar Mal mit dem Liechtensteiner gesprochen – immer dann, wenn Veränderungen in der Realwirtschaft mutmaßen ließen, dass der Bullenmarkt zu Ende gehen könnte. Doch Cortés winkte immer wieder ab.private wealth Herr Cortés, die Schlüsselfrage zuerst: Wie sind Sie investiert?
Alfons Cortés Wir sind immer noch zu 100 Prozent investiert und sichern nichts ab. Der Bullenmarkt ist weiter intakt.
pw Was hat sich geändert, seit wir im Juli 2012 gesprochen haben?
AC Nicht viel. Neu ist nur, dass die Emerging Markets jetzt anfangen dürften, eine Überrendite gegenüber dem Weltaktienindex MSCI Welt zu generieren. Dabei gibt es allerdings eine unglaubliche Differenzierung zwischen „echten“ Emerging Markets und solchen, die zwar landläufig dazu gezählt werden, aber eher reagieren wie Industrieländer. Hongkong oder Singapur gehören zum Beispiel dazu. Die profitieren überhaupt nicht von dieser Entwicklung zugunsten der Emerging Markets.
pw Welche Emerging Markets sehen besonders gut aus?
AC Indien ist die absolute Nummer eins. Positiv sind auch Taiwan, Indonesien und Vietnam. Und dann scheint mir auch China attraktiv zu sein. Dabei müssen Sie allerdings beachten, dass China unterschiedliche Indizes hat. Der Shenzen A-Shares-Index entwickelt sich viel besser als der Shanghai A-Shares-Index.
pw Warum ist das so?
AC Die Zusammensetzung ist wohl anders. Aber ich hinterfrage das nicht so genau. Die Sprache der Märkte ist eindeutig. Das genügt mir.
pw Die Kommentare vieler Volkswirte und Analysten zu China sind sehr kritisch. Was übersehen die?
AC George Soros hat einmal gesagt: Nicht nur die Wirtschaft beeinflusst die Aktienkurse, es ist auch umgekehrt. Vielleicht verbessert sich da ja gerade etwas. Und die Volkswirte werden es in ein paar Monaten dann auch bemerken. Ich habe außerdem den Eindruck, dass sich China nicht wirklich ökonomisch > analysieren kann. Die Zahlen werden doch nicht offengelegt, ohne vorher einer politischen Behandlung unterzogen worden zu sein.
pw Seit wann gehören die Emerging Markets zu Ihren Favoriten?
AC Die Börsen dort waren seit November 2010 relativ schwach. Das hat sich im Frühjahr 2014 geändert. Just in dem Moment, da in der Finanzwelt, die seit Jahren der Meinung war, man müsse Emerging Markets haben, eine gewisse Frustration aufgekommen ist. Das ist positiv und widerspricht übrigens auch anderen Erscheinungen in den Märkten.
pw Welchen?
AC In den Emerging Markets ist der Bulle noch sehr jung. In den USA dagegen befinden wir uns in einer sehr späten Phase eines Bullenmarktes. Das erkenne ich daran, dass die Präferenz für sehr große Werte zunimmt. Offenbar sind nun immer mehr institutionelle Investoren im Markt. Das sind passive Anleger, die den Index abbilden, in dem ja die großen Werte führend sind. Für mich ist das eine Art Frühwarnsignal. Es führt zwar nicht gleich zu einem Bärenmarkt, ist aber doch ein Hinweis, dass der US-Aktienmarkt jetzt schon ein sehr hohes Reifestadium erreicht hat. In dieser Phase ist es wichtig, bei der Aktienselektion sehr vorsichtig zu sein. Fehler werden nun nicht mehr verziehen. In einem jungen Bullenmarkt, wo die Flut alle Boote hebt, ist das anders.
pw Wie sind der DAX und der europäische Index Euro Stoxx einzuordnen?
AC Im Euro Stoxx ist der Bulle auch noch jünger. Im DAX hat der Aufwärtstrend dagegen schon etwas Mühe. Das hängt wohl auch damit zusammen, dass im DAX keine Ölwerte sind. Dieser Sektor ist derzeit unser Favorit.
pw Hat das was mit der Ukraine-Krise und steigenden Ölpreisen zu tun?
AC Ich glaube nicht. Wir sind schon seit Oktober 2013 für diesen Sektor positiv. Wir sehen dort die relativ stärksten Aktien – Halliburton, Baker Hughes, Nabors, Ultra Petroleum, Superior Energy, Cimarex. Interessant ist: Immer, wenn die Märkte negativ auf Konjunktur- oder Zinsdaten reagierten, ist in diesen Titeln nichts passiert. Gar nichts. Für mich ist das ein Zeichen, dass da etwas Neues entsteht. Etwas Positives. Es hat wahrscheinlich mit dem Thema Fracking zu tun.
pw Wie sieht der drittgrößte Markt der Welt aus: Japan?
AC Das ist für mich ein echter Eselsmarkt. Sie wissen ja: Wer hinter dem Esel steht, wird getreten. Wer vor ihm steht, wird gebissen. Und wer neben im steht, wird abgedrängt. Sicher sind Sie nur, wenn sie draufsitzen. In Japan hat im November 2012 ein Bullenmarkt begonnen. Die folgende Pause war nötig, um den unglaublich schnellen steilen Anstieg zu verdauen. Extrem viele Investoren hatten in kürzester Zeit ihre Meinung zu Japan zum Positiven hin geändert. Nach dieser Konsolidierung, die noch eine Zeitlang andauern wird, dürfte es in Japan wieder weitergehen.
pw Ist es eigentlich typisch, dass Regionen so unterschiedlich sind? Oder nicht doch ein Warnsignal?
AC Normalerwiese läuft es schon synchroner. Wobei Japan ja seit 1990 eine Ausnahme darstellt. Und die Emerging Markets haben auch oft eine Sonderrolle gespielt. Ein Warnsignal ist das meiner Meinung nach nicht. Die Trends sind auch nicht so unterschiedlich. Nur der relative Verlauf der Trends ist unterschiedlich.
pw Wir wollen immer vermeiden, von einem Bärenmarkt erwischt zu werden. Wäre es nach den hohen Gewinnen der letzten fünf Jahre nicht klug, ein paar Gewinne mitzunehmen?
AC Diese Frage stellt sich natürlich. Ich handle aber erst, wenn ich den Bärenmarkt als solchen identifiziert habe. Dann hat er natürlich schon begonnen. Und ich verliere ein bisschen Geld. Wenn ich aber Gewinne mitnehme, während der Bullenmarkt noch im Gange ist, kann mir passieren, was vielen Investoren im Jahr 1998 widerfahren ist. Sie sind ausgestiegen. Dann ist der Bulle weitergelaufen. Im Jahr 2000 sind sie schließlich 40 Prozent höher wieder eingestiegen, weil sie es nicht mehr ausgehalten haben. Und haben am Ende sehr viel Geld verloren.
pw Wie bewerten Sie dann den Kursrutsch Anfang August?
AC Für mich war das nur eine Art Unfall. Ein Preisschock, den ich nicht einkalkulieren kann. Schwierig wird es erst, wenn die Erholung nach den Rückschlägen schwach ausfällt. Ein Bullenmarkt dreht ja auch nicht von einem Tag auf den anderen. Wir werten zum Beispiel auch viele Daten auf Unternehmensebene aus. Da geht es um starke Kursanstiege oder eine massive Veränderung des Momentums und der Umsätze. Sind diese Daten negativ, gehen wir aus einzelnen Werten raus. Problematisch für den Gesamtmarkt wird es aber erst, wenn wir unter Anwendung der gleichen Kriterien keinen Ersatz mehr für diese Aktien finden. Heute finde ich jede Menge Ersatz. Es gibt genügend Titel, die wir kaufen können.
pw In welchen Sektoren?
AC In Europa sieht zum Beispiel nach einer langen Durststrecke die Grundstoffindustrie langsam besser aus. Das passt übrigens auch zu der positiven Einschätzung zu China. Versorger sind attraktiv, der Sektor Öl und Gas, aber auch Telekom. Dass Telekom-Aktien zuletzt eingebrochen sind, hat mich übrigens sehr überrascht. Noch ist das nur eine Konsolidierung in einem völlig normalen Rahmen. Aber ich muss das beobachten.
pw Und welche Sektoren sehen nicht mehr so gut aus?
AC Die europäischen Banken zum Beispiel. Ich vermute, das hat mit dem Stresstest zu tun, der zu einer gewissen Verunsicherung führt. Niemand weiß, wer noch Leichen im Keller hat. Aber auch Konsum- und Luxusgüter – Uhrenaktien, Burberry, Tod’s – haben an Attraktivität verloren.
pw Interessant. Widerspricht das nicht Ihrem China-Thema?
AC Nein. Es ist ja bekannt, dass China unter starker Korruption leidet. Und eine Art der Bestechung waren Uhren und Luxusgüter. Wird Korruption nun bekämpft, fehlt diese Nachfrage. Das passt also schon zusammen.
pw Ganz offensichtlich steht die Sprache der Märkte derzeit im Widerspruch zu den Sorgen der Investoren. Stört es Sie gar nicht, dass Konjunkturfrühindikatoren wie der ifo-Index derzeit nach unten weisen?
AC Na ja, ich sehe schon, dass die Investoren sich Sorgen machen. Deshalb kaufen sie ja auch vor allem Blue Chips. Ich gehe aber nur von Brennpunkt zu Brennpunkt. Ein Brennpunkt muss gewisse Kriterien erfüllen. Die Börsen sind dann hochgradig heterogen und emotional. Das war zuletzt im Frühjahr 2009 der Fall. In diesem Moment steige ich ein und behalte diese Allokation bis zum nächsten Brennpunkt bei. Derzeit sehe ich einfach noch keinen Brennpunkt. Sorgen gibt es, klar. Aber das ist immer so. Ich kann mich nicht erinnern, in einem meiner 43 Börsenjahre jemals gar keine Sorgen gehabt zu haben. Sogar in den allerbesten Jahren war immer irgendwo irgendeine Sorge da. ®