Investieren im Zeitalter der Disruption.
Schöne neue Welt. Künstliche Intelligenz, Elektro-Mobilität, autonomes Fahren, Roboter und 3-D-Technologie – in den kommenden 20 Jahren wird sich die Welt der Wirtschaft schneller und radikaler verändern als je zuvor. Selbst sehr erfolgreiche, alte Geschäftsmodelle werden von neuen Ideen abgelöst. Eine Herausforderung nicht nur für Unternehmer. Auch Investoren müssen sich umstellen.
Mit exakt einem Meter Abstand und genau 80 Stundenkilometer schnell transportieren autonom gesteuerte Lkw Güter auf speziellen Fahrstreifen der Autobahnen. In den Fabriken bauen sehr günstige und leistungsfähige Roboter mithilfe von 3-D-Druckern extrem leichte, komplexe Teile auf. Technische Begrenzungen im Produktdesign gibt es nicht mehr. Als erste Megacity der Welt verbietet Shenzhen von Menschen gesteuerte Fahrzeuge innerhalb ihrer Stadtgrenzen. Stattdessen ist eine Millionenflotte autonomer Elektroautos 24 Stunden am Tag in Bewegung. Unsere Welt wird neu definiert.
„Könnten Investoren und Unternehmer ein Wirtschaftswort des Jahres benennen, wäre wohl Disruption ein ganz heißer Kandidat“, schmunzelt Christian Jasperneite, Chefstratege beim Bankhaus M.M. Warburg. Disruption beschreibt den Prozess, bei dem ein bestehendes Geschäftsmodell oder ein gesamter Markt durch eine stark wachsende Innovation abgelöst wird. Schon vor mehr als 100 Jahren hatte der österreichische Ökonom Joseph Schumpeter dies als schöpferische Zerstörung beschrieben. Jeff Bezos, Chef von Amazon, formulierte es kürzlich plakativer: „Alles, was Kunden lieber mögen als das, was sie vorher gekannt haben, ist disruptiv.“
Diese Erscheinung ist also eigentlich nichts Neues. „Ungewöhnlich sind aber heute zwei Dinge: erstens das Tempo der Veränderungen. Und zweitens, dass Disruption überall gleichzeitig auftritt“, erklärt Hans-Jörg Naumer, Head of Capital Markets & Thematic Research bei Allianz Global Investors (AGI): „Die Lernfähigkeit von Maschinen wird aktuell mit den schier unbegrenzten Möglichkeiten der Datenverarbeitung verknüpft. So lassen sich Strukturen im bisher Unstrukturierbaren erkennen. Und dies ermöglicht quer durch Branchen und Technologien neue Anwendungen.“
Nicht nur für Unternehmer, auch für Investoren und Wertpapieranalysten ist der Umgang mit der Disruption eine gewaltige Herausforderung. Denn mit diesem rapiden Wandel geht eine Kompression des Lebenszyklus von Produkten, Dienstleistungen, Firmen und ganzen Industrien einher. In immer schnellerer Abfolge können an den Kapitalmärkten aus Gewinnern Verlierer und aus Newcomern Gewinner werden.
„Zunächst einmal sollte deshalb der Trend zu passiven, am Index orientierten Produkten hinterfragt werden“, meint Naumer: „Künftig ist es vielleicht keine besonders gute Idee mehr, nur ,den Markt‘ zu kaufen.“
Je schneller sich die Welt der Wirtschaft ändert, das illustriert eine Analyse des AGI-Research-Chefs Gunnar Miller, desto häufiger wechseln offenbar auch die im Index enthaltenen Firmen. Miller zeigt, dass die durchschnittliche Lebensdauer der im US-Aktienindex S&P 500 enthaltenen Firmen 1960 noch bei 60 Jahren lag. 1990 war sie auf 20 Jahre gesunken. Und aktuell bewegt sie sich auf zwölf Jahre zu. „Diese Tendenz“, glaubt Naumer, „dürfte sich künftig noch verschärfen.“
Für die Indexanlage hätte dies gravierende Folgen. Werden ganze Branchen schnell durchgerüttelt, geht der Marktwert der Verlierer deutlich zurück. Weil die Indizes aber nur selten angepasst werden, scheiden diese Firmen erst nach langem Siechtum aus den Marktbarometern aus. „Sie haben dann schon deutlich an Wert verloren oder sind gar pleitegegangen. Und werden ersetzt durch Aktiengesellschaften, die bis zum Zeitpunkt ihrer Aufnahme schon sehr stark an Wert gewonnen haben. Im Prinzip halten Index-Anleger also zu lange an Verlierern fest und tauschen sie dann zu einem sehr ungünstigen Zeitpunkt in die Firmen, die in der Vergangenheit große Gewinner waren“, erläutert Naumer.
Dass passive Anlageprodukte eben nur die Welt von gestern abbilden können, sei noch nie so bedeutsam gewesen wie heute. „Es wird künftig immer stärker darum gehen, mit Blick auf die Zukunftsfähigkeit der Firmen die Spreu vom Weizen zu trennen. Das können aktive Manager leisten.“
Klingt logisch, ist in der Praxis allerdings nicht ganz einfach. Heute ist natürlich jedem klar, dass Apple, Tesla oder Amazon disruptive Eigenschaften aufweisen. Wer aber hätte darauf vor zehn oder 15 Jahren gesetzt? „Was rückblickend so selbstverständlich erscheint, war es zum damaligen Zeitpunkt in keinster Weise“, relativiert Christian Jasperneite: „Diese Einsicht mahnt zur Demut, wenn es um den Versuch geht, unternehmerische Disruption als solche frühzeitig zu identifizieren.“ „Noch schwieriger ist es dann zu erkennen, wann ein neuer Trend wirklich Traktion bekommt“, ergänzt Gunnar Miller. Im Jahr 1981, erzählt er, seien zum Beispiel die ersten PCs aufgetaucht. „Damals war uns allen klar, dass sich dies disruptiv auf den Markt für Büropapier auswirken würde. Wenn sie deshalb allerdings Papieraktien links legen gelassen hätten, wäre das 20 Jahre lang falsch gewesen.“
Weil in den Büros nun mehrere Versionen von Projekten und Plänen erstellt und ausgedruckt wurden, stieg der Papierverbrauch zunächst an. Erst mit den Tablets verschwanden die Papierstapel aus den Besprechungsräumen.
Um das Thema Disruption trotzdem gewinnbringend in den Depots umsetzen zu können, arbeiten die Analysten derzeit an neuen Research-Werkzeugen. „Wie werden ein Disruptions-Rating einführen“, erklärt Miller. Dieses funktioniere ähnlich wie der Einsatz von Nachhaltigkeitskriterien. „Wir identifizieren verschiedene disruptive Faktoren. Und die Analysten bewerten dann auf einer Skala von eins bis zehn, wie stark die jeweilige Firma davon positiv oder negativ betroffen ist. Mit webbasierten Technologien und Big-Data-Ansätzen wird danach analysiert, wann sich ein disruptiver Faktor durchzusetzen beginnt. Ende 2017 wollen wir damit fertig sein.“
Christian Jasperneite ist mit einem etwas anderen Ansatz schon ein bisschen weiter. Er entwickelte in Zusammenarbeit mit Professor Hanjo Allinger von der TH Deggendorf einen rein quantitativen Ansatz, um Firmen mit Disruptionspotenzial zu identifizieren (Kasten unten): „Eine qualitative Einschätzung – wo findet gerade eine Disruption statt, die zu unternehmerischem Erfolg in einem speziellen Unternehmen führt – kommt mir fast schon wie „Anmaßung von Wissen“ > vor. Denn Disruptionen lassen sich schon fast per Defintion nicht vorhersagen. Daher suchen wir lieber nach einer Disruption in den Daten selbst. Wir nutzen die Schätzungen von Wertpapieranalysten, um Strukturbrüche bei wichtigen Firmenkennzahlen zu entdecken. So könnte sich die Trefferquote bei der Antwort auf die Frage, wer von Disruption profitiert und wann sich diese in den Ergebnissen widerspiegelt, gegenüber einem rein qualitativem Ansatz steigern lassen.“
Die Idee scheint zu funktionieren. Ein entsprechend strukturiertes Portfolio hätte seit 2002 vor Kosten mehr als doppelt so viel Ertrag gebracht wie der Vergleichsindex Euro Stoxx 600. Aktuell werden an den Kapitalmärkten fünf große disruptive Themen diskutiert, die alle irgendwie miteinander verknüpft zu sein scheinen – künstliche Intelligenz auf Basis von „Deep Learning“, Robotertechnologie, 3-D-Druck, autonomes Fahren sowie die Verdrängung des Verbrennungsmotors durch den Elektroantrieb.
Auf den folgenden Seiten stellt private wealth diese Zukunftstrends im Detail vor, skizziert Prognosen der Experten und nennt mögliche Gewinner und Verlierer.
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Future-Check: Auf der Suche nach Firmen mit Disruptionspotenzial.
„Auf Knopfdruck stehen uns heute die Prognosen Tausender von Wertpapieranalysten für diverse Unternehmenskennzahlen zur Verfügung. Wir haben uns gefragt, ob sich dieses kollektive Wissen nicht auch nutzen lässt, um die Gewinner der Disruption frühzeitig zu identifizieren“, skizziert Christian Jasperneite die Grundüberlegung des aktuellen Forschungsprojekts mit Professor Hanjo Allinger von der TH Deggendorf. Bislang wird derartiges Datenmaterial vor allem genutzt, um die Niveaus der Kennzahlen verschiedener Aktiengesellschaften zu vergleichen und diejenigen mit der attraktivsten Bewertung zu identifizieren. „In diesen Daten steckt aber noch sehr viel mehr“, erklärt Jasperneite: „Wer die Veränderungen der Kennzahlen einzelner Firmen im Zeitablauf unter die Lupe nimmt, kann Strukturbrüche erkennen. Und zwar unabhängig davon, auf welchem Niveau sich die jeweilige Kennzahl befindet.“ Ein Beispiel: Liegen die Schätzungen der Analystengemeinde bei der künftigen Eigenkapitalrendite weit weg vom bisherigen Trend, ist offenbar etwas Besonderes im Gange. Gleiches gilt für andere Kennziffern wie den Buchwert, verschiedene Ertragsgrößen, Investitionen, Umsätze oder Margen. „Insgesamt greifen wir auf 42 Datenreihen unterschiedlicher Anbieter zurück. Unsere These war: Wird diese riesige Datenmenge systematisch auf Strukturbrüche hin untersucht, müssten sich mit einer überdurchschnittlichen Trefferquote diejenigen Unternehmen identifizieren lassen, die (aus welchen Gründen auch immer) im positiven Sinne von disruptiven Prozessen profitieren“, erläutert Jasperneite. Um ihre Annahme zu überprüfen, haben die Wissenschaftler die 42 Kennzahlen zunächst gleich gewichtet und daraus mithilfe bekannter Vergangenheitsdaten ab Ende des Jahres 2002 für jedes Unternehmen des Stoxx Europe 600 einen monatlichen „Disruptionsscore“ ermittelt. Gehörte ein Unternehmen im jeweiligen Monat zu den 20 besten Aktien, wurde es für ein Jahr in ein Test-Portfolio aufgenommen. Schaffte die Aktie es innerhalb der vorgesehenen Zwölf-Monate-Halteperiode bei einer der regelmäßigen monatlichen Untersuchungen erneut in die Top 20, begann die Zwölf-Monate-Haltefrist immer wieder neu zu laufen. Die durchschnittliche Haltedauer lag so bei deutlich über einem Jahr. „Im Schnitt hatten wir immer 70 bis 90 Aktien im Testdepot.“ Das Ergebnis ist sehr ermutigend. Von Ende 2002 bis heute brachte der Stoxx Europe 600 insgesamt ein Plus von 175 Prozent. Der Wert des Disruptionsportfolios dagegen kletterte vor Kosten um stolze 450 Prozent. „Seit dem Jahr 2010 ging die Schere besonders stark auseinander – für uns ist das ein Hinweis darauf, dass die von uns gesuchten Effekte erst in den letzten Jahren deutlicher zutage getreten sind.“ Zukünftig soll dieses Modell in einem Investmentfonds umgesetzt werden. „Zwei, drei Kunden aus dem Family-Office-Bereich sind sehr interessiert an dieser Innovation und werden wohl Startkapital zur Verfügung stellen“, informiert der Banker. Konkret soll das Investmentuniversum dann durch den DJ Global definiert sein. Dieser Index umfasst 1800 Werte – jeweils 600 aus Europa, Asien und Amerika. „Die Titelauswahl erfolgt durch den beschriebenen systematischen Ansatz. Zusätzlich werden die vorgeschlagenen Aktien dann noch einmal von uns überprüft. Es könnte ja auch sein, dass der Strukturbruch bei den Daten gar nicht auf einen disruptiven Faktor zurückzuführen ist. Sondern vielleicht auf den Verkauf eines Geschäftsbereichs, der zu einem einmaligen Ertragsanstieg führte. Solche Werte wollen wir ja nicht im Portfolio.“ Eine Frage bleibt: Welche Firmen aus dem Stoxx Europe 600 befinden sich im Test-Portfolio? „Aktuell sind es 85“, informiert Jasperneite, „das geht von Austria Microsystems über BB Biotech, BASF, Genmab, Sage Group, Outokumpu, CNP Assurances und Imerys bis zu Diageo, Jupiter Fund Management, ArcelorMittal, DSM, STMicroelectronics, Orcla und Norsk Hydro.“ Die gesamte Liste finden Sie unter www.private-wealth.de.
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Fondsanlage in Zeiten der Disruption: So finden Investoren die richtigen aktiven Manager.
Dass es Gewinner und Verlierer an den Aktienmärkten gibt, ist nichts Neues. Doch wie stark die Schere langfristig auseinandergeht, ist überraschend. Gunnar Miller, Research-Chef bei Allianz Global Investors, hat die Gesamterträge von 14455 börsennotierten US-Unternehmen zwischen 1989 und 2015 untersucht. Das Ergebnis: „Die 11513 Aktien mit der schlechtesten Wertentwicklung – das sind 80 Prozent der Firmen – kamen auf einen Gesamtertrag von null. Sämtliche Gewinne des Markts entfallen also auf die 2942 Aktien mit der besten Wertentwicklung.“ Wer auf die richtigen Aktien setzte, hätte also jeden Index haushoch schlagen müssen. Eine Frage bleibt allerdings: Warum hat dies in der Vergangenheit so selten funktioniert? Schließlich schlagen in der Regel mehr als 80 Prozent der aktiven Manager ihren Vergleichsindex nicht. „Entscheidend ist, wie aktiv ein Manager tatsächlich sein darf“, überlegt Hans-Jörg Naumer. Viele Kapitalanlagegesellschaften würden in diesem Punkt restriktive Vorgaben machen. „Doch ohne hohe Freiheitsgrade kann der Manager sein Know-how nicht optimal einbringen. Er muss sich völlig von irgendwelchen Vergleichsindizes lösen dürfen.“ Anlegern fordert dies dann allerdings Geduld ab. Denn wer sich bewusst weg vom Index bewegt, kann kurzfristig auch „schief“liegen. Ablesbar ist dieser Freiheitsgrad an verschiedenen Kennzahlen. Der Fonds darf zum Beispiel keine Begrenzung beim sogenannten Tracking Error aufweisen, der die Abweichung der Wertentwicklung eines Investmentfonds von seiner Benchmark misst. Hilfreich ist auch die Analyse des Active Share. Er vergleicht den Inhalt des Fondsportfolios mit dem jeweiligen Referenzindex. Die Kennziffer legt das Fondsportfolio quasi auf den Index und misst die Schnittmengen. Grundsätzlich gilt: je höher der Active Share, desto besser. Allerdings ist dabei auch der jeweilige Vergleichsindex zu beachten. In der Finanzindustrie gilt die Daumenregel, ein Active Share von 80 sei ein Zeichen für aktives Management. Beim MSCI World Index mit seinen 1600 Titeln wird diese Marke aber schnell erreicht, weil die Manager in den Großteil der Titel ohnehin nicht investieren. Beim MSCI Latin America dagegen, in dem die fünf Schwergewichts fast 40 Prozent des Index ausmachen, ist schon ein Active Share von 60 ziemlich hoch. Für Anleger gelten bei der Auswahl aktiver Fonds noch drei weitere Grundregeln. Wichtig ist erstens ein konzentriertes Portfolio. „50 bis 60 Titel sind für eine vernünftige Diversifikation genug“, meint Naumer. Zweitens gilt es auf die Kosten zu achten. Aktives Management ist teurer als passives – es muss aber nicht überdurchschnittlich teuer sein. Und drittens sollte das Anlageuniversum möglichst groß sein. Vor diesem Hintergrund ist es kritisch zu bewerten, dass aktuell vermehrt Produkte aufgelegt werden, die Investoren einen einfachen, fokussierten Zugang zu speziellen Trends der Zukunft versprechen. „Diese Themenfonds scheinen immer wie gemalt für eine Buy-and-Hold-Strategie zu sein. Sie sind es aber nicht“, analysiert Bernhard Ebert, Leiter der Anlagestrategie der Bethmann Bank. Tatsächlich ist der Kapitalmarkt sehr schlecht darin, disruptive Technologien richtig zu bewerten. Oftmals lösen sie zunächst ein Kursfeuerwerk aus, häufig gefolgt von einer Phase der Ernüchterung und massiven Kursverlusten. Erst wenn viel später klar wird, welche Firmen tatsächlich Geld verdienen, steigen deren Aktienkurse nachhaltig. „Entsprechend schwanken die Kurse der Themenfonds auch enorm zwischen Euphorie und Desillusion – und niemand sagt den Anlegern, wann die Übertreibung in einem Trendthema massiv ist und sie besser aussteigen sollten“, meint Ebert. Megatrends, so der Anlagestratege, seien besser in breit angelegten Fonds aufgehoben. „Die Vorgehensweise bei der Zusammenstellung des Depots ist dort eine komplett andere als beim Themenfonds. Der jeweilige Megatrend bekommt nicht von vornherein einen 100-prozentigen Anteil am Portfolio. Dieser ergibt sich eher zufällig, wenn die Aktien bestimmter Unternehmen wirklich besonders attraktiv sind.“
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// 01. „Deep Learning“ – künstliche Intelligenz.
In nicht allzu ferner Zeit werden Computer völlig eigenständig Probleme erkennen, analysieren und lösen. „Künstliche Intelligenz wird enorme Effizienz- und Produktivitätsgewinne in allen Bereichen der Wirtschaft bringen. Es wird Welt und Wirtschaft in neue Dimensionen katapultieren“, skizzierte Jürgen Schmidhuber, der von den Medien als „Vater der modernen KI“ bezeichnet wird, vor drei Monaten in private wealth.
Im Kern dieser Technologie steht das sogenannte „Deep Learning“ – ein Computerprogramm, das lose von der Struktur des menschlichen Gehirns inspiriert ist. „Das Gehirn besteht aus Millionen von Zellen, sogenannten Neuronen“, erläutert James Wang, Analyst beim US-Investmenthaus ARK, das auf disruptive Innovationen spezialisiert ist: „Die Neuronen werden durch Synapsen verbunden. Neue Beobachtungen und Erfahrungen ändern die Stärke dieser Synapsen. Nimmt die Zahl der Beobachtungen zu, laufen die Verbindungen zusammen. Das Gehirn kann lernen.“
Künstliche neuronale Netze simulieren diese biologischen Strukturen in einer Software – mit digitalen Versionen von Neuronen, Synapsen und Verbindungsstärken. „Werden sie mit Trainingsbeispielen gefüttert, können sie ebenfalls lernen und sich erinnern“, fährt Wang fort. Genau das nennen die Experten tiefes Lernen oder „Deep Learning“.
Die Technologie ist so interessant, weil sie in der Lage ist, die Spielregeln in fast jeder Industrie neu zu schreiben. „Deep Learning“-Software erkennt Fotos oder das gesprochene Wort, übersetzt Fremdsprachen, diagnostiziert Krankheiten, prognostiziert Ernten und fährt sogar Autos. „Das Potenzial ähnelt dem des Internets“, vermutet Wang, „daraus könnte in 20 Jahren eine 17-Billionen-Dollar-Industrie entstehen.“ In vier Bereichen ist ,Deep Learning‘ heute schon ein wichtiger Faktor – dabei geht es um Bilderkennung, intelligente Computerassistenten, Robotertechnik und die Finanzindustrie:
Dank ,Deep Learning‘ können Computer mittlerweile Bilder mit ähnlicher oder höherer Genauigkeit erkennen als der Mensch. Damit ist nicht nur die Voraussetzung für autonomes Fahren geschaffen. Die Firma Descartes Labs nutzt die Technologie heute schon, um über Satellitenbilder die Ernteergebnisse in den USA zu prognostizieren. Und das Start-up Peat hat eine App entwickelt, mit deren Hilfe Landwirte Schädlinge rechtzeitig erkennen und so Ernteausfälle vermeiden können (private wealth 01/2017).
Besonders weit ist die Entwicklung im Bereich der Radiologie. „Die jüngsten ,Deep Learning‘-Systeme sind bei der Diagnose von Alzheimer, Knochenbrüchen oder Brustkrebs heute schon besser als der Mensch“, informiert Wang. Aktuell, so der Analyst, sei der Markt für computergestützte Diagnose rund eine Milliarde Dollar groß und werde dominiert von Firmen wie > Siemens, Philips Hologic und iCad. Daraus könne perspektivisch ein 16-Milliarden-Dollar-Markt werden. „Gut positioniert, um von diesem Wachstum zu profitieren, sind nicht nur die etablierten Firmen, sondern auch Samsung und IBM.“
Ein zweiter Bereich, in dem „Deep Learning“ Anwendung findet, sind sogenannte intelligente Assistenten. Computerprogramme, die unsere Bedürfnisse verstehen und unangenehme Aufgaben übernehmen, erhöhen sowohl Lebensqualität als auch Produktivität signifikant. Seit Apple im Oktober 2011 sein Programm Siri präsentierte, ist der Siegeszug dieser kleinen Helfer nicht mehr aufzuhalten. Weil ihre Fähigkeiten kontinuierlich zunähmen, so das US-Researchhaus Tractica, würden die Nutzerzahlen von 2015 bis 2021 dramatisch steigen – im Konsumentenbereich von 390 Millionen auf 1,8 Milliarden, bei Unternehmenskunden von 155 auf 843 Millionen.
Interessante Entwicklungen sind Amazons Echo oder Messaging Bots, die wie Googles Smart Reply autonom Nachrichten erstellen. Bei Microsoft, Facebook und Kik kommen diese Technologien in Apps mit verschiedenen Funktionen zum Einsatz – Blumen bestellen, Wetter checken, Training personalisieren.
Auch die Robotertechnik wird „Deep Learning“ auf eine ganz neue Ebene heben. „Industrieroboter brauchen heute noch eine präzise Programmierung. Jede Aufgabe muss vorhersehbar und exakt definierbar sein“, erläutert James Wang. Dies begrenze deren Einsatzmöglichkeiten. So war es zum Beispiel lange nicht möglich, einen Lagerhausroboter so zu programmieren, dass er Güter in einem Teil der Halle aufnimmt und in einer Schachtel im anderen Teil ablegt. Nun macht „Deep Learning“ das scheinbar Unmögliche möglich. Bei der Amazon Picking Challenge konnte der Sieger 2015 immerhin 30 Stück pro Stunde bearbeiten. 2016 waren es schon 100 Stück. Roboter werden zu lernenden Maschinen.
Selbst die Finanzindustrie kann von „Deep Learning“ profitieren. Immer mehr Anbieter nutzen heute schon einen Roboadvisor, um ihren Kunden Allokationsvorschläge zu unterbreiten. Im nächsten Schritt könnten intelligente Maschinen vielleicht sogar die besseren Fondsmanager sein (private wealth 02/2017). Und spezielle Algorithmen schätzen das Risiko von Kreditnehmern effizienter und genauer ein, als es der Mensch kann. Geringere Ausfallraten wirken sich dann entsprechend positiv auf die Ergebnisse von Kreditgebern aus.
// 02. Autonomes Fahren ändert alles.
Mehr als 100 Jahre lang war das eigene Auto Symbol für Status und Unabhängigkeit. In den kommenden 100 Jahren werden Autos nur noch simple Mobilitätsdienstleister sein – Smartphones auf Rädern.
Autonomes Fahren wird durch ein komplexes Netz von Sensoren und Kameras möglich, das die Außenwelt für den Computer abbildet. Die Information zum Fahrtziel wird dabei um Daten aus der Umfelderfassung ergänzt – Abstand zu Objekten, Bordsteinen, Fußgängern, Straßenmarkierungen und Ampelsignalen. Diese Daten werden durch Radarsensoren, LIDAR (Light Detection And Ranging – ein System, das wie Radar mit Lichtimpulsen statt Schall funktioniert) und Kameras gesammelt. Sie werden dann so verarbeitet, dass das Auto weiß, wann es beschleunigen, bremsen oder abbiegen soll.
Eine Reihe der dafür nötigen Fahrassistenzsysteme sind heute schon in Luxusfahrzeugen enthalten. Bald werden sie im Massenmarkt angekommen sein. Die Entwicklung zum voll autonomen Auto wird sich also schrittweise über den Einbau von immer mehr Assistenzsystemen vollziehen.
Auf dem Weg dorthin gilt es natürlich noch viele Fragen zu beantworten. Lässt sich ein chaotisches System wie der Autoverkehr automatisieren, solange es noch Selbstfahrer gibt? Wer ist verantwortlich, wenn ein autonomes Auto einen Fußgänger verletzt? Wie lässt sich Car-Hacking vermeiden?
Sind diese Hürden erst einmal genommen, könnte die Technologie eine enorme Eigendynamik entwickeln. Katalysatoren sind ein besserer Verkehrsfluss, positive Klima- und Umweltwirkungen, wenn autonome Autos mit erneuerbaren Energien betrieben werden, günstigerer Zugang zu Mobilität für alle, mehr Komfort und Freizeit sowie – vor allem – der Sicherheitsaspekt. Weltweit sterben laut Weltgesundheitsorganisation pro Jahr rund 1,25 Millionen Menschen im Straßenverkehr. Unfallursache ist in rund 90 Prozent der Fälle der Fahrzeugführer. Menschen, schreibt das US-Verkehrsministerium, seien eben keine verlässlichen Fahrzeuglenker.
Nach einer Schätzung von McKinsey könnten voll autonome Autos bis 2030 schon 15 Prozent des weltweiten Pkw-Absatzes ausmachen. Im Jahr 2040 könnte dieser Anteil bereits 80 Prozent betragen – abhängig von den rechtlichen Rahmenbedingungen, der Akzeptanz von Konsumenten und der Sicherheitsbilanz. Für Investoren ist das eine spannende, aber auch schwierige Ausgangslage. Weil die Einführung autonomer Mobilität die langfristigen Perspektiven in vielen Bereichen massiv verändert, sollten sie schon lange vor der Markteinführung die wichtigsten Trends identifizieren.
Der heißeste: Mit dem autonomen Auto wird eine Tendenz weg vom eigenen Fahrzeug einsetzen – auch befördert durch den Gedanken der Sharing Economy und überzeugenden Kostenargumente. Die meisten Privatautos stehen mehr als 90 Prozent der Zeit. Autonome Flotten können dagegen leicht 20 Stunden täglich unterwegs sein. Das senkt die Kosten pro gefahrenem Kilometer dramatisch. „Privates Autoeigentum wird teurer, ineffizienter und damit immer weniger reizvoll für die Urban Millennials, die jungen Bewohner der Großstädte“, folgern die Analysten des BlackRock Investment Institute.
Per saldo dürften die weltweiten Autoverkäufe deshalb künftig niedriger ausfallen als angenommen. Tasha Keeney, Analystin bei ARK, vermutet, dass sich die Autoverkäufe in den entwickelten Ländern fast halbieren werden. In den Schwellenländern soll der Absatz zwar weiter wachsen, aber eben nicht so stark wie erwartet. „Bislang gehen die meisten Analysten von einem Anstieg der weltweiten jährlichen Autoverkäufe aus – von heute rund 90 Millionen Einheiten auf 120 Millionen im Jahr 2030. Wir glauben dagegen, dass sich der Absatz stattdessen um 80 Millionen einpendeln wird.“
Das ist natürlich eine schlechte Nachricht für die Autohersteller. Für die gesamte Gesellschaft könnte diese Entwicklung aber trotzdem auch aus ökonomischer Sicht positiv sein. „Der jährliche wirtschaftliche Verlust durch die Todesfälle junger, voller Potenzial steckender Menschen wird in den USA auf 77 Milliarden Dollar geschätzt“, informiert Keeney. Dazu kommen eingesparte Kosten im Gesundheitssystem, wenn künftig weniger Menschen bei Unfällen verletzt werden.
Positiv schlägt ebenfalls zu Buche, dass allen Verbrauchern – Menschen ohne Führerschein, Blinden, Älteren und Teenagern – mit dem autonomen Auto erschwingliche, sichere und bequeme Transportmöglichkeiten geboten werden könnten. „Autonome, elektrisch betriebene Taxis“, rechnet Keeney vor, „werden ein Zehntel dessen pro Kilometer kosten, was Taxis heute verlangen. Und das wäre dann auch nur die Hälfte dessen, was Autobesitzer jetzt als Gesamtkosten kalkulieren müssen.“ Autonome Taxis, so die Analystin, würden sich deshalb besonders schnell in China durchsetzen: „Dort besitzen nur 20 Prozent der Bevölkerung einen Führerschein, die Autopreise sind im Vergleich zum Einkommen sehr viel höher als in den Industrieländern und die Umweltvorschriften machen den Erwerb eines eigenen Autokennzeichens teuer und schwierig.“
Werden weniger Autos verkauft, bedeutet das allerdings nicht weniger Umsatz für diejenigen, die sich mit dem „Gut“ Mobilität beschäftigen. „Weil die Fahrtzeit sinnvoll oder als Freizeit genutzt werden kann, wird sich ein großer Markt mit zusätzlichen Serviceangeboten bilden. Sogar bei kürzeren Fahrten werden die Passagiere online Streaming-Services wie Netflix nutzen, ihre Mails bearbeiten oder durch die sozialen Medien surfen“, meint Tasha Keeney: „Der dort erzielbare Umsatz könnte 2030 zehnmal so groß sein wie derjenige, der durch den Verkauf autonomer Fahrzeuge erzielt wird.“
Auch Privateigentümer von autonomen Autos könnten profitieren. Schließlich fahren sie selbst vergleichsweise selten. Den Rest der Zeit könnten sie ihr Auto vermieten. Ob Uber oder Tesla in der Lage sind, eine solche Plattform zu managen?
// Gewinner und Verlierer in der autonomen Autowelt:
Auf der Verliererseite scheinen die traditionellen Kfz-Hersteller und Zulieferer zu stehen. Ihr Markt wächst schließlich langsamer als erwartet. Wer das Rennen um die autonome Form der Mobilität gewinnen will, braucht allerdings viel Kapital. Deshalb wäre es voreilig, die alten Autohersteller gänzlich abzuschreiben. Hersteller, die sich jetzt schon beim Thema Elektromobilität eine gute Ausgangsposition verschafft haben, dürften die besten Chancen haben.
Eindeutig negativ betroffen dürften Werkstätten – autonome Elektroautos sind sehr viel wartungsärmer – und Leasingfirmen sein. Fast ein Drittel der Kfz-Neuzulassungen in den USA entfielen zuletzt auf Leasinggeschäfte. Je näher die Einführung autonomer Fahrzeuge rückt, desto schneller sinkt der Wert von gebrauchten Autos. Das bedroht das Geschäftsmodell der Leasingfirmen – schließlich arbeiten sie mit festgesetzten Rücknahmepreisen und hohen Fremdfinanzierungen.
Klare Gewinner sind Anbieter rund um die Elektronik. Bei steigender Automatisierung nimmt diese Komponente im Fahrzeug exponentiell zu. Angesichts der zu bewältigenden Datenflut muss auch die Rechenleistung weiter gesteigert werden. Die Analysten des BlackRock Investment Institute nennen als Profiteure deshalb vor allem die Halbleiter- und Softwareindustrie sowie Firmen im Bereich drahtlose Kommunikation, Navigation und Verkehrsinformation.
Ein klarer Gewinner wird die gesamte Logistikbranche sein. Der Lkw-Transport ist geradezu prädestiniert für autonome Lösungen. Die größten aktuellen Herausforderungen der Branche sind Ermüdung der Fahrer, Sicherheit und menschliches Versagen sowie Wirtschaftlichkeit und Kosten. „Die Arbeitszeit der Fahrer schlägt allein mit 30 Prozent der Aufwendungen zu Buche“, informieren die Analysten des Investmenthauses Invesco. Längere Fahrtzeiten autonomer Lkw und weniger Unterbrechungen verbessern die Auslastung. Eine gleichmäßige Geschwindigkeit spart Treibstoff – derzeit mit 40 Prozent der zweite große Kostenblock. Voraussetzung dafür ist allerdings die Schaffung einer ganz neuen Infrastruktur mit speziellen Fahrspuren.
Setzt sich das autonome Fahren durch, werden allerdings auch noch viele andere Bereiche betroffen sein. Bei den Kfz-Versicherungen zum Beispiel ist zunächst ein positiver Impuls zu erwarten. Sie kassieren noch geraume Zeit hohe Prämien, müssen aber im autonomen Mobilitätszeitalter weniger Schäden regulieren. Später dürften die Prämien und damit auch die Margen dann wieder sinken. Am Ende dieser Entwicklung könnte der Marktanteil der privaten Kfz-Versicherungen sogar schrumpfen. Denn die Flottenbesitzer werden einen derart großen Pool an Fahrzeugen steuern, dass sie die Versicherungsleistung selbst erbringen können.
Weil autonome Flotten viel mehr Zeit auf der Straße verbringen als die Autos individueller Besitzer, benötigen sie auch nur einen Bruchteil des Parkraums. Das stellt die Kalkulation der Betreiber von Parkgaragen infrage. Und betrifft Investoren, die auf diese Form der Infrastruktur gesetzt haben.
Noch wichtiger ist ein weiterer Aspekt. „Parkplätze belegen heute in einigen Großstädten mehr als ein Drittel der Grundstücke“, informiert BlackRock. Viele dieser Flächen werden künftig frei für rentablere Verwendungen. Hausbesitzer können Garagen in Wohnraum verwandeln. Gemeinden und Städte Parkflächen als Wohn- und Büroraum ausweisen.
Das Investmenthaus Invesco sieht deshalb „massive Auswirkungen auf die Immobilienmärkte“. Der Vorteil des Stadtlebens gegenüber Vororten werde relativiert, weil die Menschen längere, aber komfortablere Anreisezeiten zum Arbeitsplatz tolerieren. Städtische Flächen, die bisher als Parkplatz am Straßenrand, vor Einkaufszentren oder am Flughafen genutzt wurden, würden frei. „Dies könnte die Immobilienpreise im urbanen Raum (sowohl für Gewerbe- als auch Wohnimmobilien) stark unter Druck bringen.“
// Firmen, auf die Anleger achten sollten: Eine Vielzahl von Banken und Investmenthäusern beschäftigt sich mit potenziellen Gewinnern des Trends zum autonomen Fahren. Dabei werden natürlich immer wieder Tesla, Google und seine Tochter Waymo, Baidu, Apple und Uber genannt. Weitere interessante Firmen: Nvidia und Mobileye bauen Chips, die Autos in die Lage versetzen, ihre Umgebung durch Sensoren wahrzunehmen. Die Halbleiter von Movidius helfen Drohnen, den Kontakt mit Hindernissen zu vermeiden. Delphi und Autoliv sind im Bereich Sensoren führend. Didi dominiert in China den Carsharing-Markt. GrabTaxi in Südostasien, nuTonomy in Singapur und Ola in Indien sind bei Mobilitätsdienstleistungen in der jeweiligen Region führend. ZenDrive sorgt für die Sicherheit des fahrenden Ökosystems, Argus Cyber Security ist auf die Car-Hacking-Problematik spezialisiert. Nauto forscht an künstlicher Intelligenz. INRIX sammelt Echtzeitdaten für die Verkehrsflussplanung. Mobileye und Nokia-Tochter Here sind Spezialisten für kamerabasierte Systeme sowie die Kombination von Sensorik und Computersehen. Mapillary nutzt Croudsourcing für Fotos und Straßenansichten.
// 03. Der Beginn eines E-pochalen Booms.
Lange Zeit wurde Elektromobilität vor allem in Umweltforen und an den Universitäten diskutiert. Jetzt hat das Thema endgültig Fahrt aufgenommen. „Der Hebel in Richtung E-Mobilität ist umgelegt. Die Goldgräberzeit beginnt“, ist Jürgen Pieper, Autoanalyst beim Bankhaus Metzler, überzeugt.
Natürlich seien die Nachteile der E-Autos – höhere Kaufpreise, lange Ladezeiten und eine unzureichende Ladeinfrastruktur – heute noch beträchtlich. „Doch all diese Hürden“, meint der Experte, „werden bis spätestens 2020 abgebaut sein.“
Zunächst werden staatliche Kaufprämien die Preisdifferenz zu herkömmlichen Fahrzeugen verringern. Dank der Skaleneffekte bei größeren verkauften Stückzahlen schließt sich die Schere dann weiter. Industrievertreter sehen in fünf bis sechs Jahren den Zeitpunkt erreicht, an dem die Preise auf gleicher Höhe zu Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor sind.
Auch das Thema Batterie könnte schneller vom Tisch sein, als viele heute glauben. „Bosch forscht nach eigenen Angaben heute schon in Zusammenarbeit mit dem zugekauften Start-up Seeo daran, die bisherige Energiedichte eines Lithium-Ionen-Akkus massiv zu erhöhen“, informiert Pieper. Die Analysten des BlackRock Investment Institute verweisen auf Branchenstudien, die darauf hindeuten, dass die Batteriekosten bis 2030 um 73 Prozent fallen werden. Die Energiedichte – die Menge an Energie, die bei einer bestimmten Batteriegröße gespeichert werden kann – soll sich in derselben Periode verdoppeln.
Eine ähnlich dynamische Entwicklung erwartet Pieper in den kommenden vier Jahren auch bei der Zahl der Ladeeinrichtungen. „Das Netz von Ladestationen sollte bis 2020 so nachhaltig ausgebaut sein, dass die Mehrzahl der Autofahrer dies als ausreichend sicher und komfortabel empfinden wird.“
Spätestens dann heißt es – auch unabhängig von der Emissionsthematik – Vorteil Elektroauto. Die höhere passive Sicherheit (kein schwerer Motorblock), das bessere Fahrverhalten dank des niedrigeren Schwerpunkts, der geräuscharme Betrieb, mehr Innenraum, weniger Komplexität in der Herstellung, weniger Wartung und weniger Reparaturen sind gewichtige Argumente. „Bis 2020 wird das Elektroauto auch für die breite Masse interessant sein“, ist Pieper überzeugt. Und die BlackRock-Analysten vermuten deshalb: „Hybridautos und reine Elektroautos haben sogar das Potenzial, schon in einem Jahrzehnt die Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren bei der Zahl der Neuzulassungen zu überholen.“
Dass für die Ölindustrie dann ein neues Zeitalter anbrechen wird, ist offensichtlich. Wird künftig über „Peak Oil“ diskutiert, ist damit wohl nicht mehr die Spitze des Ölangebots gemeint – sondern die Spitze der Ölnachfrage.
// Firmen, auf die Anleger achten sollten: Bei der Nennung von Gewinnern und Verlierern aus der Auto- und Autozulieferbranche sind die Experten oft unterschiedlicher Meinung.
Besonders heiß wird die Frage diskutiert, welcher Hersteller die Transformation in das E-Zeitalter schaffen wird. Am radikalsten ist dabei die Position der Analysten des Bankhauses Berenberg. Sie raten zum Kauf der Tesla-Aktie und bewerten alle anderen Hersteller mit „Halten“ oder „Verkaufen“.
Im Zuliefersektor favorisiert Berenberg in Deutschland Leoni, in den USA die Lear Corporation. Jürgen Pieper nennt Bertrandt, den Marktführer für unabhängige Forschungs- und Entwicklungsdienstleistungen, sowie Hella aufgrund der starken Position in den Bereichen Electronics und Batteriekontrollsysteme und verweist auch noch auf einen interessanten Seitenaspekt. „Ein Durchbruch der E-Mobilität dürfte den Strompreis kräftig steigen lassen. Wären alle Autos in Deutschland ausschließlich mit Elektromotor unterwegs, würde die Stromnachfrage um 22 Prozent steigen. Ein Profiteur wäre RWE.“
Grundsätzlich interessant ist auch die belgische Firma Umicore: Nach einer Studie der EU werden bei der Produktion von Lithium-Ionen-Akkus bis zu 12,5 Kilogramm CO₂ emittiert. Das entspricht dem Ausstoß eines Golfs mit Verbrennungsmotor bei einer Fahrstrecke von 30000 Kilometern. Mit Blick auf die Umweltbelastung kommt deshalb dem Recycling der Batterien eine große Bedeutung zu. Umicore gibt selbst an, die Emissionen durch Wiederaufbereitung um mindestens 70 Prozent senken zu können.
// 04. 3-D-Drucker bauen die Zukunft auf.
„Der 3-D-Druck erschüttert unsere alten Vorstellungen von dem, was gemacht werden kann und was nicht“, sagte Hod Lipson, Direktor der Columbia-Universität, schon im Jahr 2013. An den Kapitalmärkten wurden ebenfalls Vorschusslorbeeren verteilt. Die US-Firma 3D Systems erzielte zum Beispiel 2012 einen Umsatz von 353 Millionen Dollar. Und wurde trotzdem an der Börse mit 3,6 Milliarden Dollar bewertet. Ein paar Jahre später war klar: So einfach ist das nicht mit dem Umsatz – und der Gewinnexplosion. Die Aktie verlor fast 80 Prozent ihres Werts. Auch die Werte der börsennotierten Konkurrenten gingen in den Keller.
Heute beginnen die Kurse der 3-D-Aktien wieder zu steigen. Denn grundsätzlich hält diese Innovation, was sich die Forscher von ihr versprochen haben. Sie verkürzt die Zeit zwischen Design und Produktion erheblich, ermöglicht radikal neue Architekturen und erlaubt es, Komponenten drastisch zu verändern. „Dadurch lässt sich nicht nur massiv Gewicht einsparen. Auch die Kosten durch Abfall verringern sich auf einen Bruchteil“, informiert ARK-Analystin Tasha Keeney.
Der 3-D-Druck habe tatsächlich das Potenzial, viele industrielle Prozesse zu revolutionieren. „Die Produktion wird anpassungsfähiger und weniger arbeitsintensiv. Das Produktdesign ist befreit von den bisherigen Grenzen der Herstellung. Und nicht zuletzt deshalb lassen sich die Produkte nun problemlos und kostengünstig individualisieren.“
Eine ganze Reihe großer Industrieadressen, informiert Keeney weiter, setze heute schon verstärkt auf den 3-D-Druck: „Airbus erwartet dadurch 50 Prozent Gewichteinsparung und 60 bis 70 Prozent Kosteneinsparung bei den Teilen seines A350. Nike und Adidas haben additive Herstellungsverfahren eingeführt – Flyknit und Primeknit –, um Design und Produktion zu verändern. Flyknit senkt die Arbeitskosten um 50 Prozent und den Materialeinsatz um 20 Prozent. Und General Electric vermutet, dass die 3-D-Technologie in den kommenden 20 Jahren mehr als 50 Prozent seiner gesamten Herstellungsprozesse in der einen oder anderen Weise verändern werde. Die Firma erwartet Kosteneinsparungen zwischen drei und fünf Milliarden Dollar bei den Prozessen. Und bei den eingesetzten Teilen sind noch einmal 30 bis 50 Prozent an Kostenreduktion kalkuliert – abhängig vom eingesetzten Material.“
Derzeit wird der weltweite Markt für 3-D-Druck auf sechs bis sieben Milliarden US-Dollar geschätzt. Bis 2020 soll er – die Schätzungen der Analysten gehen da weit auseinander – auf 17 bis 41 Milliarden anwachsen. „Und selbst das ist dann wahrscheinlich erst der Anfang“, meint Keeney.
// Firmen, auf die Anleger achten sollten: Gewinner des 3-D-Drucks sind zunächst die Verwender, die so Kosten senken, Margen und Erträge steigern können. Doch auch die Hersteller von Hardware, Druckmaterialien und Simulationssoftware sollten profitieren. ARK Invest hat darum in den USA einen 3-D-Druck-ETF aufgelegt. Die zehn größten Positionen sind: Renishaw, MGI Digital Graphic, HP, Stratasys, K2M Group, Organovo, SLM Solutions, Exone, 3D Systems und Dassault.
// 05. Roboter für alle.
Lange Zeit waren Roboter in ihren Einsatzmöglichkeiten stark eingeschränkt. Und teuer. Doch das ist nun vorbei.
Nach einer Studie der Boston Consulting Group halbierte sich der Preis eines Industrieroboters zwischen 1995 und 2005 von 131000 Dollar auf 67000 Dollar. Heute kosten diese Maschinen nur noch rund 30000 Dollar. Und 2025 sollen es – die Prognosen gehen auch hier weit auseinander – zwischen 10000 und 20000 Dollar sein. Eine wichtige Rolle spielt dabei der Aufwand für die Programmierung. „Nach einer Analyse der Robotikfirma Preferred Networks braucht ein menschlicher Programmierer einige Tage, um einem Roboter eine neue Aufgabe beizubringen. Durch die Verwendung von ,Deep Learning‘ lernt ein Roboter die gleiche Aufgabe in acht Stunden. Lernen acht Roboter gemeinsam, sinkt die Zeit sogar auf eine einzige Stunde“, erklären die Branchenexperten Sam Korus und David Conway von ARK Invest.
Künftig werden immer günstigere Roboter in der Lage sein, immer komplexere Aufgaben zu übernehmen. „Entsprechend sollte die Anzahl der Roboterverkäufe deutlich steigen. Dies wiederum wird ganz neue Industrien erschaffen oder das Wachstum in anderen beschleunigen“, meinen die Experten.
// Firmen, auf die Anleger achten sollten: Bankanalysten nennen folgende Profiteure des Roboterbooms: iRobot, führender Hersteller von Staubsaugern und Rasenmähern, Intuitive Surgical, Produzent von Medizinrobotern, AeroVironment, Amazon und Elbit Systems, die allesamt sehr weit bei der Entwicklung von Drohnen sind. Und nicht zuletzt die Hersteller von Sensoren, Kameras, Batterien und Kontrollsystemen – Cognex, Ambarella, Panasonic, Fanuc und Rockwell Automation. ®
Autor: Klaus Meitinger