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  • Klaus Meitinger

Roadmap 2030 reloaded.

Langfristprognose. Im Frühsommer 2010 traf sich die Lerbacher Runde zum ersten Mal. Damals, im Angesicht von Finanz­krise, Schuldendrama und Euroturbulenzen, lautete ihr Auftrag, eine Strategie zu entwickeln, mit der große Vermögen in den nächsten 20 Jahren nach Abzug von Steuern und Inflation zumindest erhalten werden konnten – eine Roadmap 2030. Zeit für eine Zwischenbilanz.

„Vor sieben Jahren stand die erste Lerbacher Runde unter dem Eindruck großer Krisen – Finanzkrise, Schuldenkrise, Eurokrise“, erzählt Bernd Riedel, Executive Director Third Party Distribution beim Wealth Manager Robeco: „Entsprechend wurde über den drohenden Staatsbankrott diskutiert. Die Schuldenfalle. Die unsichere Zukunft des Euro. Den Kampf zwischen Inflation und Deflation. Doch die Schlussfolgerung der Profis war richtig spektakulär.“

 Die Politik, sagte die Lerbacher Runde damals, würde alles tun, um Europa und den Euro zu verteidigen. Die unvermeidlichen Rettungsmaßnahmen und geldpolitischen Experimente würden den Geldwert aber immer mehr erodieren lassen. Deshalb rieten die Profis, Anleihen zu verkaufen und auf Sachwerte zu setzen – Aktien, Immobilien, Grund und Boden. Weil der gesamte Markt für Anleihen aber um ein Vielfaches größer sei als der Aktienmarkt, gelte: „Beginnen auch andere Marktteilnehmer ernsthaft, von Nominal- in Sachwerte umzuschichten, gehen die Aktienkurse durch die Decke.“

Damals notierte der DAX bei 6000 Punkten, der MDAX bei 8200, der amerikanische S&P 500 bei 1100 Punkten. Seither sind die Indizes zwischen 100 und 200 Prozent gestiegen. Die Aktienkurse gingen also tatsächlich durch die Decke – ebenso wie die Preise für alle anderen Sachwerte.

„Wir alle haben durch die Nullzinspolitik der Notenbanken

ein Geschenk in Form von zusätzlichem Ertrag bekommen“, konstatiert Stefan Hollidt, Santander Asset Management. Und Matthias Wesseling, Bethmann Bank, ergänzt: „Es wurde ganz einfach unendlich viel Geld gedruckt, das die Realwirtschaft gar nicht aufnehmen konnte. Niemand wusste, wohin damit. Diese Flut hat dann alle Boote gehoben: Picassos, Oldtimer, Aktien, Anleihen, Immobilien.“

Die entscheidende Frage ist: Wie geht es langfristig von hier aus weiter? „Anleger müssen sich darüber im Klaren sein, dass wir einen großen Teil der künftig zu erwartenden Erträge schon vorab kassiert haben“, macht Daniel Schär, Weberbank, klar: „Sollte die Marktbeeinflussung der Notenbanken einmal zurückgenommen oder auch nur zurückgefahren werden, kann es auch zu entsprechenden Preisanpassungen kommen. Alles das, was jetzt so stark gestiegen ist, läuft Gefahr, Preiskorrekturen zu erleiden.“

Das mag nicht morgen geschehen. Und vielleicht auch nicht übermorgen. Aber bis 2030 ist eben noch lange hin. „Wer glaubt, es wird nie wieder höhere Zinsen geben, wird sich wundern“, schmunzelt Ivo Schwartzkopff, PatriCon: „Die Erde ist rund, es kommt alles mal wieder vorbei. Die Kapitalerträge der letzten 35 Jahre waren von einem anhaltenden Zinsabstieg getrieben. Jetzt sind wir bei null angekommen. Diesen Rückenwind wird es deshalb mit Sicherheit nicht mehr geben können. Die Frage ist für mich nur, wie stark der Gegenwind ausfallen wird.“

Im Prinzip gibt es mit Blick auf 2030 von hier aus zwei plausible Entwicklungspfade: Entweder, die Renditen in allen Anlageklassen fallen künftig sehr viel niedriger aus als bisher. Am Aktienmarkt wären das dann vielleicht statt der gewohnten sieben bis acht Prozent nur noch drei oder vier. Bei Anleihen und Immobilien stünde in diesem Szenario – bestenfalls – die Null. Oder es kommt irgendwann zu einem scharfen Einbruch der Preise von Vermögenswerten. Ausgehend vom dann viel niedrigeren Niveau könnten diese dann wieder die gewohnten Renditen liefern.

„Es gibt allerdings noch eine dritte Möglichkeit“, überlegt Schwartzkopff: „Die Aktienhausse läuft noch weiter und der Einbruch kommt später, fällt dann aber heftiger aus. Aktienmärkte können schließlich sehr viel länger irrational bleiben, als viele meinen.“ „Das ist in etwa unser Bild“, bestätigt Matthias Wesseling: „Erstens sind Aktien noch die am wenigsten überbewerteten Anlagen. Und zweitens deuten die aktuellen Rahmendaten – mehr Wachstum höherer Firmenerträge und trotzdem weiter niedrige Zinsen – nicht auf einen Crash hin. Es gibt durchaus eine fundamentale Basis.“

„Vielleicht läuft das mit den Aktien noch weiter, bis wir Bewertungsverhältnisse haben wie im Immobilienbereich in Hamburg und München“, meint Thomas Buckard, Michael Pintarelli Finanzdienstleistungen: „Spätestens dann, wenn der Druck auf die Pensionskassen und Versicherungen so groß geworden ist, dass sie ihre Aktienquoten ebenfalls hochfahren,  ist der Punkt erreicht, wo die massive Korrektur kommt. Für uns, die wir für Mandantengelder verantwortlich sind, ist die große Herausforderung, auf dieser Welle möglichst lange mitzuschwimmen. Aber abzuspringen, bevor sie bricht.“

Es ist der Tanz auf dem Vulkan. Irgendwann, da ist die Lerbacher Runde einig, werde es ein Erwachen geben, und die Probleme der Vergangenheit holen uns ein.

„Die größte langfristige Herausforderung ist dabei der Umgang mit der Schuldenproblematik“, macht Max Schott, Vermögensverwaltung Sand & Schott, klar: „Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich hat 2011 in einer Langfristprognose geschätzt, wie sich die Staatsverschuldung bis 2030 entwickeln wird, wenn die Staaten alle ihre Versprechen einhalten müssen, die sie in Sachen Rente, Gesundheit, Sozialsysteme gegeben haben. Da kommen Verschuldungsquoten zwischen 300 und 500 Prozent des Bruttoinlandsproduktes he­raus. Als schwäbischer Buchhalter erlaube ich mir jedes Jahr, den Verlauf zu kontrollieren. Und wissen Sie was: Der Pfad passt genau.“

„Das große Problem ist: Obwohl dies alle Politiker wissen und obwohl es ihnen die niedrigen Zinsen leichter gemacht hätten, die Staatsschuld abzubauen, ist dies mit Ausnahme von Deutschland nirgendwo geschehen“, informiert Stefan Hollidt: „Das geht immer weiter. Auf globaler Basis sind wir aktuell auf einem Höchststand bei der Verschuldung relativ zum Sozialprodukt angelangt.“

„Wenn die Notenbanken nun wirklich anfangen würden, Ernst zu machen und die Leitzinsen auf ein Niveau anzuheben, das angesichts der nominalen Wachstumsraten angemessen wäre, könnten die Staaten die Schulden schon jetzt nicht mehr finanzieren“, ergänzt Martin Klein, Heidelberger Vermögen: „Die Geldpolitiker sitzen in der Falle. Die Geister, die sie riefen, werden sie nicht mehr los.“ 

Vor sieben Jahren hatte die Lerbacher Runde dieses Problem auch schon ausführlich besprochen. Damals skizzierten die Experten zwei Auswege aus der Schuldenfalle – den Gürtel enger schnallen oder Konjunktur und Inflation stimulieren, um aus dem Problem herauszuwachsen. Die erste Alternative funktioniert offenbar nicht. Ist die zweite realistisch?

„Der entscheidende Faktor für das langfristige Wachstum ist die Demografie“, überlegt Ivo Schwartzkopff: „Ein Wachstumsschub setzte immer dann ein, wenn die Bevölkerung zunahm. Bis 2030 spricht die Demografie aber gegen uns.“ „Dazu kommt nun“, ergänzt Hollidt, „die Gefahr, dass auch der langfristige Wachstumstreiber Globalisierung seinen Höhepunkt erreicht hat. Das Risiko besteht, dass künftig stärker im nationalen Rahmen gedacht wird.“

Konsequent identifiziert die Runde den aktuellen Aufschwung auch nur als kleinen Boom im langfristigen Trend niedriger Wachstumsraten. „Deshalb wird es auch langfristig keine klassische Inflation geben“, ist Max Schott überzeugt: „Wir haben eine überalterte Bevölkerung, gesättigte Märkte und Überkapazitäten. Wo soll da ein Nachfrageboom oder ein Angebotsschock herkommen, der die Preise explodieren lässt?“

Die Notenbankpolitik werde daran nichts ändern. „Ich habe mich ohnehin gewundert, dass die Niedrigzinspolitik der letzten Jahre den Konsum angeheizt hat“, überlegt Thomas Bu­ckard: „Dabei müssten die Menschen doch eigentlich weniger konsumieren und viel mehr für das Alter sparen als zu Zeiten, da sie noch fünf oder sechs Prozent Zinsen bekamen. Ich glaube, das wird nun immer mehr Leuten bewusst. In Zukunft dürfte das wieder auf das Konsumentenverhalten drücken.“

Auch die Hoffnung auf mehr Investitionen durch ein Festhalten an der Negativzinspolitik sei nicht nachvollziehbar. „Natürlich muss eine Notenbank als lender of last resort in der Krise eingreifen und das System am Laufen halten. Mittlerweile ist jedoch aus dem Krisenmanagement eine versteckte Staatsfinanzierung geworden“, kritisiert Daniel Schär die Europäische Zentralbank. Und Ivo Schwartzkopff moniert: „Man muss die Volkswirte dort leider fragen: Habt ihr eigentlich schon einmal selbst in einem Betrieb gesessen?“ Bei einer Investitionsentscheidung gehe es nun einmal zunächst um die Nachfrageperspektiven. Dann um Arbeitskräfte, rechtliche Fragen. Steuern. „Und erst in der 15. Zeile stehen Finanzierung und Fremdkapitalzins. In diese Zeile kommen Unternehmer aber erst gar nicht, wenn es in der Industrie Überkapazitäten oder niedrige Nachfrageerwartungen gibt“, erklärt Schwartzkopff weiter: „Das muss den Notenbanken mal einer sagen. Diese Geldpolitik kann nicht funktionieren.“

„Das Schuldenthema geht so nicht weg“, folgert Daniel Schär: „Das bleibt. Die Notenbanken werden zwar versuchen, das System so lange es geht am Laufen zu halten. Doch irgendwann werden wir an den Punkt kommen, wo die Verantwortlichen eine schmerzliche Entscheidung treffen müssen.“

Ein Blick in die Bilanzen der Notenbanken zeigt, dass der Anteil der Staatsanleihen dort immer mehr wächst. In Japan zum Beispiel hält die Notenbank mittlerweile 38 Prozent aller ausgegebenen japanischen Staatsanleihen. Das sind Papiere im Wert von 75 Prozent des nominalen Sozialproduktes. In Europa sind es 22,5 Prozent aller Staatsanleihen. Das entspricht etwa 15 Prozent des Sozialproduktes. „Das sind Werte, die mit Fug und Recht als unzulässige Staatsfinanzierung durch die Notenbank bezeichnet werden dürfen“, macht Hollidt klar: „Das werden wir nicht auf Dauer fortschreiben können.“

Was, wenn niemand außer den Notenbanken mehr Staatsanleihen kauft, weil deren Rückzahlung angesichts der Schuldenlast immer unwahrscheinlicher wird? Steigen dann die Zinsen massiv? Oder kaufen die Notenbanken alle Staatsanleihen auf und finanzieren die Staaten offiziell? Irgendwann, meint die Lerbacher Runde, werde der Moment kommen, da die Notenbanken das System nicht mehr stabilisieren können. Dann bleibe nur der harte Schnitt.

„Ich halte es durchaus für möglich, dass wir im Zeitraum bis 2030 tatsächlich irgendwann mit den Themen Staatsbankrott und Währungsreform konfrontiert werden“, konstatiert Max Schott nüchtern: „Ich habe davor aber gar nicht so viel Angst. Als der Euro eingeführt wurde, hat meine Großmutter – sie war damals 90 Jahre alt – gesagt: ,Ach Bub, das ist meine dritte Währungsreform. Und es ging danach immer weiter.‘ Die Frage ist nur: Wie bin ich bei einem solchen Währungsschnitt positioniert?“

In der Vergangenheit war es in solchen Situationen immer entscheidend, in der Währung investiert zu sein, die das Schlamassel am besten übersteht. Die Logik: Wer diese Währung besitzt, kann nach den entsprechenden Preisanpassungen, die eine derartige Krise mit sich bringt, bestehende Vermögenswerte – Aktien, Immobilien – wieder günstig erwerben. Denn ein solches Szenario werde unweigerlich mit einer globalen Rezession einhergehen.

In der Vergangenheit war diese Fluchtwährung immer der US-Dollar. Und auch heute nennt die Lerbacher Runde, befragt nach den langfristig stärksten Währungen, den Greenback neben Schweizer Franken und chinesischem Renminbi.

„Anders als in der Vergangenheit gibt es aber heute keine wirklich starken Währungen mehr“, wendet Matthias Wesseling ein: „Sollte solch ein Worst-Case-Szenario tatsächlich Realität werden, wovon wir nicht ausgehen, wäre unser gesamtes Papiergeldsystem in Gefahr. Die alternative Währung könnte dann Gold sein.“ „Vielleicht“, überlegt Martin Klein: „Wir sollten aber auch den Generationswechsel nicht außer Acht lassen. Unter Umständen ist ja künftig der Bitcoin oder eine andere Krypto-Währung die Alternative.“

Sicher ist nur: Es gibt für Anleger keine Sicherheit. „Insofern gilt das Credo der Lerbacher Runde des Jahres 2010 fast uneingeschränkt weiter“, überlegt Thomas Buckard: „Nominalwerte meiden, ein bisschen Gold in physischer Form halten und in verschiedene Währungen als Notfallpaket diversifizieren. Und natürlich auf Aktien setzen – auch wenn deren Kurse in einer derartigen Krise ebenfalls massiv fallen würden. Sie schneiden in diesem Fall aber wohl immer noch viel besser ab als die scheinbar sicheren Sachwerte Oldtimer, Kunst oder Immobilien. Da wird es dann sehr schwierig, Käufer zu finden.“

Am wichtigsten sei es aber, flexibel zu bleiben. „Ich sehe heute keine Allokation, von der ich sage, das schaue ich mir erst 2030 wieder an. Alles muss regelmäßig auf den Prüfstand gestellt werden“, macht Max Schott deutlich. Deshalb sei es auch so wichtig, darauf zu achten, dass ein hoher Prozentsatz der Anlagen schnell liquidierbar ist. „Liquidität ist ein hohes Gut“, verdeutlicht Martin Klein: „In allen großen Umbruchphasen gab es immer einen Faktor X, den vorher niemand auf der Rechnung gehabt hat. Vor sieben Jahren hätte niemand im Traum an Negativzinsen gedacht. Auch in Zukunft wird es wieder einen Faktor X geben. Die Welt wird nicht untergehen. Entscheidend wird es sein, jederzeit reagieren zu können.“  

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Wird es den Euro 2030 noch geben?

„Ich oute mich jetzt mal als Optimist“, lächelt Thomas Buckard, „Europa hat im Moment wirklich eine Chance. Vielleicht sind wir Herrn Trump ja irgendwann einmal dankbar, dass er den Wählern rechtzeitig vor Augen geführt hat, was dabei herauskommt, wenn sie Populisten wählen. Für die nächste Zeit ist dann auch der Euro alternativlos.“ „Denn die Europäische Zentralbank wird weiter alles tun, was sie im Rahmen ihres Mandates für nötig hält, um den Euro zu bewahren“, ergänzt Stefan Hollidt.

Ob dieses Fundament dann tatsächlich bis zum Jahr 2030 trägt, bezweifeln die Experten allerdings. Der aktuelle Konjunkturaufschwung in Europa möge die strukturellen Probleme derzeit vielleicht ein bisschen in den Hintergrund schieben. An der Tatsache, dass Länder wie Italien, Spanien, Portugal oder Griechenland noch immer nicht wettbewerbsfähig genug sind, um bei den aktuellen Euro-Kursen nachhaltig zu wachsen, ändere dies nichts. Und der Stand der Target-Salden – dieser Indikator für Stress im Euro-System hat ein Rekordhoch von rund 800 Milliarden Euro erreicht – unterstreiche, dass die Probleme im Euroraum alles andere als gelöst sind.

Die Lerbacher Runde hält die Wahrscheinlichkeit insgesamt für sehr hoch, dass einige Länder den Euro auf Dauer nicht aushalten und politische Prozesse dann dazu führen, dass sie sagen, „uns bleibt die Luft weg, jetzt gehen wir raus“.

Bei den Konsequenzen für Kapitalanleger hänge es davon ab, ob es in der Eurozone gelinge, einen geregelten Prozess für einen zeitweisen Austritt zu initiieren. Und davon, wer letztlich austritt. Italien zum Beispiel habe eine Größe, die nur schwer stabilisierbar sei.

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Autor: Klaus Meitinger

 

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