"Wer zu viel Angst hat, verpasst das Leben."
Anlagestrategie. Die Furcht geht um bei vermögenden Investoren. Wie wirken sich die Richtungswahlen in Europa und die schrägen Töne aus dem Weißen Haus auf die Kapitalmärkte aus? Steht die Welt vor einer Zeitenwende? Ist gar die individuelle Freiheit in Gefahr? Werner Döttinger betreut seit mehr als 45 Jahren vermögende Privatkunden. Im Interview rät er zu mehr Gelassenheit. Und verrät nicht nur seine Marktmeinung – sondern enthüllt auch seine eigene, ziemlich radikale Anlagestrategie.
Den langen Gang im Büro von AURETAS family trust ziert ein atemberaubendes Werk der Künstlerin Hanne Darboven. 27 mal 2,5 Meter. „Als wir hier eingezogen sind, war unsere Maxime: Wir brauchen Wände für unsere Kunst, nicht Kunst für unsere Wände“, erzählt der Firmengründer und Kunstsammler Werner Döttinger.
Vermögensverwaltung und Kunst sind die beiden großen Leidenschaften des Nachkommen einer Reutlinger Textilunternehmerfamilie. „Ich bin die dritte Generation. In dieser Generation gibt es häufig die ersten ,Geiger‘ in der Familie, die nicht mehr in der Firma mitarbeiten wollen und müssen.“
Nach dem BWL-Studium nutzt er seine Unabhängigkeit und gründet die Galerie Döttinger. „Kunsthistorisch war das eine außergewöhnlich faszinierende Zeit. Mit der aus Amerika kommenden Pop Art, Concept Art und Minimal Art wurden wir nach der abstrakten Kunst der Nachkriegsjahre mit völlig neuen Sehweisen und Konzepten konfrontiert.“ Künstler wie Joseph Beuys, Hanne Darboven, Cy Twombly und Andy Warhol faszinieren ihn, leidenschaftliche Sammler wie Lothar Schirmer infizieren ihn. „Mein ganzes Leben ist bestimmt durch die Begegnung mit Menschen.“
Durch einen glücklichen Zufall hat Döttinger Ende der 1960er eine Begegnung mit einem weiteren „faszinierenden Menschen“. Nach dem frühen Tod seiner Eltern hat er ein kleineres Wertpapierdepot geerbt, das er selbst verwaltet. Auf eine Zeitungsannonce hin fordert er Informationsmaterial zu einem japanischen Aktienfonds an, damals ein exotisches Investment. Kurze Zeit später klingeln zwei Herren an seiner Haustür – Albrecht Graf Matuschka und Rolf Christof Dienst. Beide hatten eine Agentur zum Vertrieb zweier Investmentfonds. „Wer Matuschka kennt, wird nicht überrascht sein, dass ich mich sofort für den Fonds begeisterte. Und ich habe sogar Geld damit verdient.“
Es ist der Beginn einer langjährigen Beziehung. „Matuschka ließ nicht locker und gewann mich – charismatisch, wie er war – für seine Vision, die Lücke zu füllen, die Privatbankiers hinterließen, wenn es darum ging, Vermögen wohlhabender Familien individuell und engagiert zu betreuen.“ 1970 gründen die beiden die TRV TreuhandVermögensverwaltung.
„Auf diese Weise konnte ich meine beiden Interessen kultivieren: bildende Kunst, losgelöst vom Kommerziellen, und die Vermögensverwaltung als meine eigentliche professionelle Berufung“, erzählt Döttinger. Sein erster Assistent wird Achim Hartz. Später kommt Bert Flossbach dazu. Heute sind Hartz, Flossbach und Dienst große Namen im deutschen Vermögensverwaltungsgeschäft: „Ich war schon immer überzeugt, dass es mit Intuition und Erfahrung möglich ist, Menschen mit herausragenden Fähigkeiten zu identifizieren – als Mitarbeiter, Unternehmer oder Fondsmanager. Das ist, glaube ich, auch heute noch meine Stärke.“
Die Matuschka-Gruppe entwickelt sich zu einem weltweit agierenden Finanzunternehmen mit über 20 Partnern und mehr als 400 Mitarbeitern. Dann überzieht der Graf. Viel zu schnelle Expansion, inflationäre Ausweitung der Geschäftsfelder, Entwicklung eigener Produkte statt objektiver Beratung. Negative Presseberichte häufen sich. Das Vertrauen der Finanzwelt nimmt ab. Partner, Mitarbeiter und Kunden verlassen die Gruppe. Um den völligen Niedergang abzuwenden, müssen Geschäftsbereiche verkauft werden – „auch meine Abteilung, die Vermögensverwaltung“, berichtet Döttinger.
1992 löst sich die Gruppe auf. Die Kunden nehmen zwar keinen Schaden, aber die Partner haben ihr Geld verloren. Für Döttinger ist es eine Katastrophe. „Ich büßte mein berufliches Betätigungsfeld und mein gesamtes unternehmerisches Vermögen ein. Damals baute ich gerade ein altes Gemäuer um. Das musste noch bezahlt werden. Ich war existenziell gefährdet.“
Jetzt rettet ihn die Kunst. Mehr als die Hälfte seiner Sammlung lässt er bei Christie’s versteigern. Die Staatsgalerie kauft einen Twombly, den er 1972 für 40000 Mark erworben hat. Für eine Million Mark. „Das hat mir sehr geholfen. Aber heute wäre er zehn Millionen Euro wert“, schmunzelt Döttinger.
Was dann kommt, gibt einen tiefen Einblick in die Persönlichkeit des Unternehmers und Investors Werner Döttinger. Weil er nur noch wenig hat, darf er sich eigentlich keine großen Risiken mehr erlauben. „Wenn Sie aber kein Risiko nehmen, haben Sie auch keine Chance, sich zu erholen. Also bin ich ins Risiko gegangen – als Investor und als Unternehmer.“
1992 gründet er, 54-jährig, die Döttinger/Straubinger Vermögensverwaltung. Die beiden Partner ergänzen sich ziemlich gut. Alfred Straubinger ist der Analytiker. Werner Döttinger dagegen verlässt sich auf seine Intuition, sein Bauchgefühl. Gemeinsam ist ihnen der Fokus auf unternehmerisches Investieren. „Das ist so etwas wie die DNA all derer, die mit Graf Matuschka groß geworden sind.“
Schnell ist das Team wieder in der Erfolgspur. Später fusionieren Döttinger/Straubinger mit dem Family Office Spudy und Co. und firmieren seit dem Jahr 2015 unter AURETAS family trust. Döttinger selbst verkauft seinen Firmenanteil, bleibt aber als Aufsichtsrat involviert.
Werner Döttinger, 79, macht den Eindruck eines Menschen, der mit sich selbst im Reinen ist. Als Investor hat er in den vergangenen 45 Jahren alles gesehen. Alles am eigenen Leib erfahren. Es gibt heute, da so viel über Politik, Regimewechsel und große Risiken für Vermögen geschrieben wird, kaum einen besseren Gesprächspartner, um die Welt zu sortieren. Und Schlussfolgerungen für die Kapitalanlage zu ziehen.
private wealth Herr Döttinger, spüren Sie heute mehr Furcht in Ihrem Netzwerk als in den letzten Jahren?
Werner Döttinger Es ist eine andere Angst. Lange Zeit waren die Menschen geprägt von der Gefahr einer Verschärfung des Kalten Krieges. Die Sehnsucht nach Frieden ist auch Thema der 1982 entstandenen „Ost-West-Demokratie“ von Hanne Darboven (Bild oben links). Ihre Metapher für Frieden und Freiheit war, „in Ruhe ein Brötchen mit Butter und Marmelade essen“.
pw Und heute?
WD Heute fürchten wir, das Erreichte wieder zu verlieren. Wir genießen ein extrem hohes Niveau an Freiheit, Freizügigkeit und Wohlstand. Die große Sorge ist, dass dies durch zunehmende staatliche Eingriffe verloren geht. Es gibt ja wirklich besorgniserregende Tendenzen. Der Zulauf für die Populisten – Trump, Marine Le Pen, Geert Wilders. Der Brexit. Die Anti-Europa-Haltung. Daraus kann sich Schlimmes entwickeln: Trump zettelt einen Handelskrieg an, Le Pen gewinnt die Wahl in Frankreich, der Euro bricht auseinander. Und angesichts der hohen Verschuldung von Notenbanken und Staatshaushalte kommt es dann zu einem Kollaps des Finanzsystems. Die Flucht in Sachwerte zeigt ja schon eine Erosion des Vertrauens. Warum kaufen die Leute heute Immobilien, obwohl es auf diesem Preisniveau ökonomisch keinen Sinn mehr macht? Weil sie Horrorszenarien im Kopf haben, in denen das Geld auf der Bank nicht mehr sicher ist und Staaten auch vor Konfiskation nicht Halt machen.
pw Ist diese Furcht aus Ihrer Sicht berechtigt?
WD Nein. Aber ich bin ja auch Optimist. Wenn wir ehrlich sind, müssen wir aber mit John Maynard Keynes bekennen: „Wir wissen nicht, wie das alles ausgeht.“ Doch diese Unsicherheit beinhaltet ja auch die Möglichkeit eines positiven Ergebnisses. Wir sollten uns nicht zu viele Sorgen machen. Wer nur in Ängsten lebt, an dem geht das Leben ungelebt vorbei.
pw Wie sähe denn ein mögliches, positives Ergebnis aus.
WD Wir dürfen nicht vergessen, dass ein gemeinsames Europa politisch sinnvoll und wünschenswert ist. Allerdings müssten sich die politischen Verhältnisse in Ländern wie Italien und Frankreich grundsätzlich zum Positiven ändern, damit die notwendigen Reformen durchgeführt werden können, die diese Länder wieder wettbewerbsfähiger machen würden.
pw Mario Draghi hat den Politikern dafür bisher schon jede Menge Zeit gekauft. Und nichts ist passiert.
WD Weil der Druck gefehlt hat. Der Niedrigzins war ein zu süßes Gift. Entscheidend wird nun sein, welche Lehre die politisch Verantwortlichen ziehen: Desintegration oder Reformen? In mutigen Reformen bestünde eine echte Chance, denn die Zeit nach dem Brexit hat der Welt bereits vor Augen geführt, dass die wortgewaltigen Populisten keine Lösungen anbieten können. Ich hoffe, dass das Votum der Briten sowohl für die politischen Eliten wie auch für die Wähler ein Warnschuss war und die Vision von einem friedlichen und wohlhabenden Europa mit einem stabilen Euro erhalten bleibt.
pw Und Trump? Sehen Sie da auch positive Aspekte?
WD Dessen Politik stört mich tatsächlich sehr. Seine expansive Fiskalpolitik mag zwar kurzfristig positiv erscheinen, die Börsen freuen sich ja darüber. Langfristig ist sie aber extrem bedenklich. Es ist unverantwortlich, auf den Schuldenberg noch mehr Schulden zu setzen. Herr Schäuble könnte nachts nicht mehr schlafen, wenn er so etwas machen würde.
pw Zu welchem ökonomischen Weltbild fügen sich all diese Puzzleteile Ihrer Meinung nach zusammen?
WD Für die Entwicklung der Weltwirtschaft bin ich vorsichtig optimistisch gestimmt. Die künstlich niedrigen Zinssätze in Europa und in den USA dürften die Konjunktur am Laufen halten. Die Notenbanken sind in der Falle. Ihnen bleibt gar nichts anderes übrig, als ihre aggressive Geldpolitik fortzusetzen. Weil die Staaten keine höheren Zinsen verkraften können, muss der Ankauf von Anleihen fortgesetzt werden, um den Kollaps des Finanzsystems zu verhindern. Die Immunkräfte des Finanzsystems werden dadurch allerdings immer mehr geschwächt, was die Finanzwelt langfristig zunehmend fragiler macht.
pw Welche Anlagepolitik ergibt sich daraus?
WD Ich lasse mich in meinem Grundoptimismus nicht erschüttern. Aber wir müssen einen schwierigen Spagat schaffen. Die nächste Krise kommt so sicher wie das Amen in der Kirche. Es wäre fahrlässig, darauf zu vertrauen, dass diese dann mit noch drakonischeren Interventionen der Regierungen und Notenbanken erfolgreich bekämpft werden kann. Auf einen „never ending“ Aufschwung an den Kapitalmärkten zu hoffen, wäre blauäugig. Genauso falsch wäre es aber auch, aus Angst vor einer Vertrauenskrise nicht zu investieren. Derart eingeschüchtert, haben viele den Börsenaufschwung der letzten acht Jahre verpasst. Die Lösung kann nur die klassische, über Generationen bewährte Strategie sein, das Vermögen auf verschiedene Anlageklassen und -regionen zu verteilen. So lassen sich in ruhigen Zeiten gute Erträge erwirtschaften. Und etwaige Verluste in turbulenten Zeiten auf ein tragbares Maß begrenzen. Mehr können Sie nicht tun.
pw Geben Sie uns bitte Ihre Einschätzung zu den wesentlichen Bestandteilen eines solchen Vermögens. Beginnen wir mit dem Zinsbereich.
WD Nach der über 30-jährigen Hausse an den Bondmärkten dürfte es nun endgültig zu einer Zeitenwende gekommen sein, zumal die lange totgesagte Inflation wieder aufzukeimen scheint. Anleihen mit längeren Laufzeiten würden schon bei kleineren Zinssteigerungen zweistellige Kursverluste mit sich bringen. Ich würde deshalb nur in Anleihen mit kurzfristigen Laufzeiten oder Cash anlegen.
pw Aktien?
WD Aktien sind für mich nach wie vor die interessanteste Anlageform. Weil die US-Aktienindizes so hoch wie noch nie notieren und auch deutsche Aktien sich wieder ihrem All-Time-High nähern, meinen viele, es bilde sich eine neue Blase, die jede Minute platzen könnte. Aber das wirtschaftliche Umfeld gibt derzeit keine Signale, die auf einen Crash hindeuten. Die Notenbanken haben, wie gesagt, gar keine andere Wahl, als ihre expansive Politik fortzusetzen. Und Hinweise auf eine Rezession sind nicht zu erkennen. Bei mir leuchten deshalb noch keine roten Warnlampen auf. Trotzdem müssen aufgrund des Politikfaktors Kursschwankungen einkalkuliert werden.
pw Die meisten Menschen verkraften hohe Volatilität nicht. Was tun Sie, um diese für Ihre Mandanten erträglich zu machen?
WD Zunächst einmal: Bei einer entsprechenden Qualität der Anlagen bedeuten kurzfristige Kursrückschläge keine nachhaltigen Vermögenseinbußen – im Gegenteil, sie können sogar Opportunitäten bieten. Ich sage immer, von einer niedrigen Volatilität werden meine Kinder nicht satt. Um den Stressfaktor möglichst gering zu halten und die Depots unserer Mandanten vor massiven, abrupten Kursrückschlägen zu schützen, kaufen wir bei AURETAS langfristige Put-Optionen als strategische Absicherung. Das ist eine Art Versicherung gegen Extremrisiken.
pw Wie viel Geld geben Sie dafür aus?
WD Dies hat uns im letzten Jahr in einem gemischten Portfolio fast zwei Prozent an Rendite gekostet.
pw Ist die Absicherung jetzt aktiv?
WD Ja, das politische Umfeld ist einfach zu unübersichtlich.
pw Welche Rolle spielen alternative Anlagen wie Private Equity?
WD Private Equity hat schon immer eine Faszination auf mich ausgeübt. Bei Matuschka waren wir die Ersten in Deutschland, die aus Amerika stammende Private-Equity-Fonds systematisch für deutsche Anleger erschlossen haben. Wer an Technologie als Wachstumstreiber der globalisierten Welt glaubt, dem bleibt heute gar nichts anderes übrig, als über Venture Capital und Private-Equity-Engagements in privaten Märkten zu investieren, bevor diese an den liquiden Kapitalmarkt gehen.
pw Immobilien?
WD In Backsteine habe ich, abgesehen von den eigenen vier Wänden, nie investiert. Ähnlich wie bei Anleihen, wo wir es mit einer extremen Blase zu tun haben, sind auch die Renditen von Immobilien aufgrund großer Preissteigerungen massiv zurückgegangen. Von einem Zinsanstieg wäre auch der Immobilienmarkt negativ betroffen. Ich glaube, dass sich die Erträge von Firmen stärker steigern lassen als die Mieten. Unternehmerische Anlagen sind darum Immobilien deutlich überlegen.
pw Land- und Forstwirtschaft?
WD Diese Themen funktionieren tatsächlich seit Tausenden von Jahren. Wer sie erschließen will, muss die Assets aber direkt besitzen. Keine Anleihe und keine Aktie kann biologisches Wachstum substituieren.
pw Wie setzen Sie die Anlagestrategie bei den Bestandteilen, die nicht direkt gehalten werden, konkret um?
WD Das Prinzip unserer Firma ist es, die besten Manager zu finden. Es war schon immer unser Ansatz, herausragende Persönlichkeiten zu identifizieren und mit diesen dann zusammenzuarbeiten. Wir investieren nicht direkt in Aktien, sondern in Fonds. Und wir investieren nicht in einzelne Private-Equity-Fonds, sondern in Dachfonds.
pw Obwohl diese sich aufgrund der höheren Kosten oft der Kritik ausgesetzt sehen?
WD Sie bieten dafür aber auch gewaltige Vorteile. Dachfonds haben oft Zugang zu Fonds, die Anleger nicht direkt kaufen könnten. Sie mischen verschiedene Anlagezeitpunkte, Manager, Anlageregionen und bringen so eine Glättung der Performance. Mag sein, dass der Ertrag höher ist, wenn Sie erfolgreich Cherry Picking betreiben. Aber der Portfolioeffekt ist uns da wichtiger.
pw Das waren jetzt die Ratschläge des Vermögensverwalters Werner Döttinger. Handelt die Privatperson genauso?
WD Nein.
pw Wie bitte?
WD Ich investiere für mich persönlich ganz anders als in der Firma. Wer selbst am Steuer sitzt, erlebt die Geschwindigkeit ganz anders als der Beifahrer. Der Mandant muss sich bei uns im Auto wohlfühlen. Und möglichst wenig Stress haben.
pw Wie legen Sie selbst an?
WD In meinem Wertpapierdepot bin ich zu 100 Prozent in Aktien investiert. Und gehe dabei massive Klumpenrisiken ein. 20 Prozent habe ich zum Beispiel in der Beteiligungsgesellschaft Aurelius angelegt.
pw Wenn Sie als Vermögensverwalter auf so ein Depot schauen würden, würden Sie sagen: Wahnsinn!
WD Ganz bestimmt. Aber wissen Sie: Ich bin kein ängstlicher Typ. Ich kann massive Kursschwankungen verkraften. Das ist wahrscheinlich typisch für jemanden, der Kunst kauft. Ich kenne keinen Sammler, der ängstlich ist. Aber ich bin kein Spekulant. Ich versuche immer, asymmetrische Chance-Risiko-Verhältnisse zu identifizieren. Eine Gesellschaft wie Aurelius, die ich seit Gründung intensiv verfolge, liefert genau dieses Profil.
pw Was ist an Restrukturierungsgesellschaften so interessant?
WD Das sind Unternehmen, die problembehaftete Firmen, sogenannte „Perlen mit Schönheitsfehlern“, kaufen und wieder auf Vordermann bringen. Sie haben den großen Vorteil, dass sie nur mit wenig Kapital ins Risiko gehen müssen. Die Firmen werden häufig für einen symbolischen Kaufpreis von einem Euro übernommen, restrukturiert, neu positioniert, wieder ertragreich gemacht und nach einigen Jahren wieder veräußert. Gelingt die Sanierung, bekommen sie im Verkauf ein Vielfaches des Gewinns. Das ist das Geheimnis, warum sie ihr Kapital vervielfachen können. Im Erfolgsfall verdienen sie viel, im Misserfolgsfall verlieren sie wenig – das ist Asymmetrie.
pw Das hört sich so einfach an. Aber viele Perlen mit Schönheitsfehlern schaffen doch kein Comeback.
WD Auch da kommt es vor allem auf den Manager an, den Sanierer. Denjenigen, der die Zielfirmen auswählt und restrukturiert. Wie überall gibt es gute und schlechte – wir versuchen, die herausragenden Manager zu finden. Und Dirk Markus von Aurelius ist definitiv einer. Weil er gelernt hat, wie man es macht und wie man es nicht macht.
// Tatsächlich war Werner Döttinger einer der Ersten, der das Potenzial dieser Investmentstrategie erkannte. Sein Investment in Aurelius, erzählt er heute, sei vergleichbar gewesen mit der frühen Entdeckung eines Künstlers, dessen Werke noch günstig gekauft werden konnten, bevor er sich etabliert hatte. „Wir sind in Aurelius seit dem Börsengang im Jahr 2006 investiert. Seither ließ sich damit ein Wertzuwachs von über 4000 Prozent beziehungsweise 44 Prozent per annum erzielen.“ //
pw Welche Restrukturierungsbeteiligungen halten Sie selbst noch für aussichtsreich?
WD Bei Orlando, einer nicht börsennotierten Gesellschaft, sind wir seit zehn Jahren dabei. Auch die Interritus von Patrick Bettscheider, der seit 2014 Banken saniert, ist ein interessantes Konzept. Und dann gibt es noch die Solvesta AG, die gerade begonnen hat und dabei einen etwas holprigen Start hatte. Bei allen gilt: Das Konzept ist überzeugend und die handelnden Personen sind verlässlich und kompetent. Deshalb bin ich dort auch immer schon ganz früh eingestiegen.
pw Ist früh zu investieren eines Ihrer Erfolgsrezepte?
WD Ja, ich investiere sehr gern früh. So wie ich auch Kunst sehr gern früh kaufe. Ideal ist es, wenn sich ein Manager selbstständig macht, nachdem er sich in einer Institution bewährt hat. Seine ersten Fonds sind dann meist die besten. Werden die Fonds größer, nimmt auch der Druck zu. Haben die Manager Verantwortung für Mitarbeiter und sehr viele Investoren, werden sie automatisch defensiver. Wenn mein Freund Bert Flossbach zum Beispiel jetzt einen neuen Fonds auflegen würde, wäre ich sofort wieder als Seed-Kapitalgeber mit dabei.
pw Nutzen Sie angesichts Ihres sehr offensiven Ansatzes irgendwelche Instrumente, um sich – wie die Mandanten von AURETAS – gegen Extremrisiken abzusichern?
WD Nein. Meine Absicherung ist die Risikostreuung. Ich kombiniere die besten Manager. Diese suchen dann die besten Unternehmen und diversifizieren dabei ja auch. Auf diese Art und Weise lässt sich langfristig so viel Geld verdienen, dass auch ein herber Rückschlag in Kauf genommen werden kann. Mein Vater hat immer gesagt: „Ich schließe keine Versicherungen ab. Ich kann persönliche Risiken als Unternehmer selbst tragen.“ Er hatte tatsächlich überhaupt keine Versicherung. Das hat mich geprägt. Wer in so einem Umfeld aufwächst, hat vielleicht weniger Angst vor einem Crash.
pw ... und wenn er aber kommt?
WD Dann wird er ausgesessen. Das Problem ist, dass viele Investoren in den Krisen immer glauben, jetzt ginge die Welt unter. Aber die Welt geht nicht unter. Sie kann nur durch einen Krieg untergehen. Dieses Risiko können Sie aber nicht absichern. Denn dann sind auch ausländische Lagerstätten betroffen. Immobilien sind gar nichts mehr wert. Und der Besitz von Gold wird verboten.
pw Welche Rolle spielen dann die eingangs angesprochenen politischen Angstthemen für Ihre Anlagestrategie?
WD Es macht mir natürlich Sorgen. Aber an meiner persönlichen Anlagestrategie ändert sich dadurch nichts. Ich bin davon überzeugt, dass sich ein Vermögen durch diversifizierte Beteiligungen an erstklassigen Unternehmen langfristig besser erhalten und vermehren lässt als mit anderen Anlagen. Ich selbst bin deshalb immer voll investiert.
Der Investor und die Kunst.
Weil er sich intensiv um die beiden Bereiche Kunst und Vermögensverwaltung kümmere, erzählt Werner Döttinger, sei er schon oft gefragt worden, ob er nicht einen Kunstfonds auflegen möchte. „Doch das wäre mir nicht einmal im Traum eingefallen. Echte Kunstliebhaber sammeln Bilder aus Freude am Objekt und, wenn überhaupt, erst in zweiter Linie unter Anlagegesichtspunkten. Ich habe selbst immer nur das gekauft, was mir gefallen hat, und nicht darauf spekuliert, einen Wertzuwachs damit zu erzielen.“ Obwohl, wie er anmerkt, die Preissteigerungen von Spitzenwerken der klassischen Moderne wie von Andy Warhol, Cy Twombly oder auch von Cindy Sherman jede andere Anlageform weit in den Schatten gestellt hätten.
Wie ordnet Döttinger die aktuelle Entwicklung am Kunstmarkt ein?
„Schon seit Jahren wird hier von einer irrationalen Übertreibung gesprochen. Deshalb kam es auch nicht ganz unerwartet, als sich zum Beispiel die Preise für zeitgenössische Fotokunst in den letzten zwei Jahren nahezu halbierten, nachdem sie sich zuvor vervielfacht hatten“, erläutert Döttinger. Grundsätzlich sei eben nichts schwerer vorherzusagen als die Preisentwicklung von Kunstwerken. „Wer hätte es für möglich gehalten, dass die Wertsteigerungen von Arbeiten moderner, selbst heute noch umstrittener Künstler wie Joseph Beuys die Preisentwicklung von Alten Meistern in den letzten Jahrzehnten weit in den Schatten stellen würden?“
Könne sich der Investor bei der Auswahl von Aktien an objektiven Kriterien orientieren wie dem Kurs-Gewinn-Verhältnis oder dem Buchwert des jeweiligen Unternehmens, fehle dieser Anker beim Versuch, Preistendenzen an den Kunstmärkten oder gar bei einzelnen Künstlern vorherzusagen, völlig. „Hier geht es allein um das (rechtzeitige) Erkennen von Qualität und somit um eine durch die intensive Beschäftigung mit der Kunst entwickelte Sensibilität und den unerschütterlichen Mut, an die eigenen Entdeckungen zu glauben und sie gegen alle Anfechtungen zu verteidigen.“
Jedes Investment, gleich welcher Art, müsse allerdings immer durch akribische Recherchen abgesichert werden. „Auch das Sammeln von Kunst ist somit nicht nur eine Kunst. ,Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit‘“, zitiert Döttinger Karl Valentin. „Doch es lohnt sich, und zwar nicht nur finanziell. Es gibt nicht vieles, das nachhaltig so viel Erfüllung bietet wie die leidenschaftliche Beschäftigung mit der Kunst.“
Besonders groß sei die emotionale Befriedigung, wenn Kunst nicht nur betrachtet, sondern tatsächlich gesammelt würde. „Wer hart verdientes Geld dafür auf den Tisch legen muss, ist plötzlich nicht mehr so gelassen wie auf einem Spaziergang durch die Hallen einer Kunstmesse, bei dem das ein oder andere Kunstwerk mehr oder weniger schön gefunden wird. Erst wenn sich ein Sammler nach einer höchst aufregenden, geradezu erotischen Annäherungsphase endgültig für ein Kunstwerk entscheidet und somit finanziell etwas riskiert, ist das Bekenntnis nicht mehr nur eine unverbindliche, rein platonische Wertung. Sondern ein erfüllendes und zutiefst beglückendes nachhaltiges sinnliches Erlebnis.“
Derzeit nähert sich Werner Döttinger der asiatischen Kunst an. „Ich sammle vor allem Khmer-Kunst. Ich bin regelmäßig in Südostasien, vor allem in Kambodscha, und habe mir in den letzten Jahren dadurch neue Welten erschlossen.“ Vor vier Jahren, erzählt der Sammler, habe er im Nationalmuseum von Phnom Penh einen Buddha gesehen, eine Khmer-Skulptur aus dem 7. Jahrhundert. „Ich war völlig fasziniert. Zwei Jahre später war ich in Bangkok und entdeckte bei einem Händler den ,Bruder‘ dieses für mich unerreichbaren Buddhas. Im ersten Moment hatte ich die Ähnlichkeit gar nicht realisiert. Erst am nächsten Morgen im Hotel fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Die Möglichkeit, diesen Buddha dann kaufen zu können – er steht jetzt bei mir zu Hause – setzte ein unvorstellbares Glücksgefühl frei.“
Tatsächlich kann Werner Döttinger bei jedem Kunstwerk, das er besitzt, genau sagen, wie, wann und wo er es gekauft hat. Wie der Prozess der Annäherung ablief. Welche Gefühle er dabei hatte. „Ist das nicht faszinierend? Genau das ist das Privileg des Sammlers. Dass er Dinge nicht nur schön findet, sondern sich dazu bekennt. Geld dafür ausgeben muss. Es dann auf-, anderes dafür weghängen muss. Das ist die stetige Auseinandersetzung mit der Kunst. Einfach etwas Wunderbares.“
Werner Döttinger empfiehlt deshalb auch jedem seiner Mandanten, ebenfalls Kunst zu sammeln oder philanthropisch tätig zu werden. „Es gibt viele Vermögende, die mit ihrem Geld überhaupt nichts Sinnstiftendes anfangen. Die einfach nicht die Gabe haben, es zu genießen, etwas damit zu machen.“
In Myanmar finanziert Werner Döttinger zum Beispiel eine Boarding School, die Kinder auf das Abitur vorbereitet. „Zu sehen, was sich hier bewirken lässt, das ist wunderschön. Deshalb regen wir bei unseren Mandanten auch immer wieder an, eine Stiftung zu machen, etwas zurückzugeben von dem, was das Leben einem geschenkt hat. Denn dann macht dieses Leben auch bis ins hohe Alter große Freude.“ ®
Autor: Klaus Meitinger