„Die Aktienkurse werden weiter steigen.“
Obwohl die Notierungen der meisten Aktienindizes in der Nähe ihrer Rekordniveaus liegen, setzen zwei Drittel der Mitglieder des Lerbacher Kompetenzkreises auch in den kommenden sechs Monaten auf steigende Kurse. Dafür haben sie gute Argumente.
„Eigentlich“, überlegt Gottfried Urban, Urban und Kollegen, „spricht derzeit doch kaum etwas gegen Aktien. Denn die Kombination aus ultralockerer Geldpolitik bei gleichzeitigem Wirtschaftsboom und leicht höherer Inflation in den USA und zum Teil auch in Europa ist fast schon ein Idealzustand.“ „Außerdem ist die Liquiditätsflut, die wir derzeit sehen, historisch betrachtet unvergleichbar hoch. Das ist und bleibt ein wesentlicher Treiber an den Kapitalmärkten“, macht Jörg Rahn, Wirtgen Invest, klar. „Aus meiner Sicht sind Aktien in Zeiten anhaltender finanzieller Repression und negativer Realzinsen ganz einfach alternativlos“, fügt Investmentexperte Stefan Hollidt hinzu.
Schon in den vergangenen Monaten sei klar geworden, was es bedeute, wenn viele Marktteilnehmer von Sparkonten oder Anleihen in Aktien umschichten. Dass allein in den letzten fünf Monaten weltweit mehr Kapital den Aktienfonds zugeflossen ist als in den gesamten vergangenen zwölf Jahren, hat die Kurse unzweifelhaft beflügelt. „Trotzdem ist der Geldüberhang noch immer riesig. Deshalb wird es immer nur kurze Rückschläge am Aktienmarkt geben, die von denen genutzt werden, die noch nicht investiert sind“, erläutert Urban. Tatsächlich betrug dieser Rekordzufluss gerade 576 Milliarden Dollar. Allein auf deutschen Sparkonten liegen noch knapp 2,9 Billionen Euro. Und weitere fast fünf Billionen Dollar sollen in US-Geldmarktfonds angelegt sein. „Es stehen einfach noch viele Anleger an der Seitenlinie und haben Sorge, die Rally zu verpassen“, fasst Joachim Meyer zusammen.
Die gewaltige Unterstützung durch die Geld- und Fiskalpolitik werde unweigerlich dazu führen, dass das ökonomische Umfeld in den nächsten sechs Monaten sehr positiv bleibe. „Allein in den USA beläuft sich die staatliche Unterstützung seit August 2020 auf 5,3 Billionen Dollar. Wenn Sie nun noch die Wertpapierkäufe der Fed und die geplanten Infrastrukturinvestitionen dazunehmen, dann sind wir bei über zehn Billionen US-Dollar“, rechnet Carsten Mumm, Donner Reuschel, vor. Das entspricht etwa der Hälfte des 2020 erwirtschafteten Sozialprodukts der USA.
„Auch Chinas Wirtschaft brummt, und davon ausgehend sollte auch das Wachstum in ganz Südostasien anspringen“, ergänzt Stefan Ebner, Focus Asset Management. „Und nicht zuletzt sollten wir die durch die Lockdowns angestaute Nachfrage, die sich bei einer fortschreitenden Impfkampagne entfalten dürfte, nicht vernachlässigen. Das wird einen echten Konsumboom entfesseln“, ergänzt Alexander Ruis, SK Family Office.
„Ich gehe deshalb davon aus, dass wir in diesem und im nächsten Jahr einen sehr dynamischen globalen Aufschwung mit überdurchschnittlichen Wachstumsraten sehen werden“, folgert Mumm. Tatsächlich hat der Internationale Währungsfonds Anfang April seine Schätzung für das globale Wachstum in diesem Jahr auf sechs Prozent angehoben – der höchste Wert seit 1980.
„Aus Anlegersicht ist vor allem sehr wichtig, dass wir uns dabei erst am Beginn eines lang anhaltenden Konjunkturzyklus befinden“, meint Rahn. „Wir müssen also keine Sorge haben, dass der Gewinntrend bei den Unternehmen in nächster Zukunft abbricht. Aktien sollten sich deshalb noch sehr lange positiv entwickeln“, ergänzt Arne Sand, Sand & Schott.
Die große Sorge vieler Anleger, dass diese Perspektiven sich längst in den aktuellen Notierungen spiegeln, teilen die Experten nicht. „Die Dynamik dieses Aufschwungs wird meiner Meinung nach noch immer unterschätzt“, sagt Robert Greil, Merck Finck, und folgert: „Da sind noch sehr viele positive Überraschungen denkbar.“ „Ich könnte mir vorstellen, dass wegen des Nachholbedarfs beim Konsum Preiserhöhungen möglich sind und wir einen Produktivitätsschub durch die Digitalisierung sehen. Beides würde die Gewinne weiter steigern“, meint Ruis.
Per saldo dürften deshalb die Prognosen für die Firmengewinne noch zu niedrig sein. „Unserer Ansicht nach sind noch weitere Aufwärtsrevisionen bei den Erträgen je Aktie deshalb wahrscheinlich“, mein Greil. „Das hat sich übrigens auch in der Berichtssaison zum ersten Quartal 2021 gezeigt. 86 Prozent der Firmen aus dem S&P 500 haben die Erwartungen der Analysten übertroffen. Ich sehe keinen Grund, warum dies künftig nicht ähnlich sein sollte“, ergänzt Stefan Mayerhofer, Bayerische Vermögen.
Auch das zweite Risiko – höhere Inflation und damit einhergehend höhere Zinsen – sehen die Vertreter der Halb-voll-Fraktion entspannt. „Anleger sollten sich nicht vom jüngsten Anstieg der Anleiherenditen aus der Ruhe bringen lassen“, meint Karsten Tripp, HSBC: „Die Inflation ist nur ein Gespenst, das bald wieder Geschichte sein wird. Vor einem Jahr sind die Energiepreise bedingt durch den Lockdown massiv eingebrochen sind. Entsprechend spektakulär sehen nun die jährlichen Veränderungsraten aus. Ab Juni, spätestens im Juli, dürfte die Teuerungsrate in den USA wieder in Richtung des Normalniveaus von zwei Prozent oder darunter zurückkommen.“
Und damit wäre auch die Furcht vor Zinserhöhungen oder einer vorzeitigen Verschärfung der Geldpolitik vom Tisch. „Die Fed hat ja klargemacht, dass sie einen zeitweiligen Anstieg der Inflationsraten tolerieren wird, solange keine Vollbeschäftigung erreicht ist. Und die EZB argumentiert ähnlich“, erinnert Arne Sand.
Bleiben die Zinsen tatsächlich niedrig, gelte auch weiterhin, dass Aktien im Vergleich zu Anleihen günstig bewertet sind. „Meiner Meinung nach haben sich die Akteure am Aktienmarkt immer noch nicht auf ein nachhaltig niedriges Zinsumfeld eingestellt“, analysiert Maximilian Kunkel, UBS Deutschland, und rechnet vor. „Wenn wir zum Beispiel unser derzeitiges Jahresendziel von 4400 Punkten für den S&P 500 annehmen, liegt das Kurs-Gewinn-Verhältnis auf Basis der erwarteten Erträge für 2022 bei 20,9. Die Gewinnrendite, das umgekehrte KGV, hält bei 4,77. Setzen wir dagegen eine von uns erwartete Rendite von zwei Prozent für US-Staatsanleihen mit zehn Jahren Laufzeit, beträgt die Differenz zwischen den Renditen am Aktien- und am Anleihemarkt 277 Basispunkte. Im Durchschnitt der vergangenen 35 Jahre waren es aber nur 200 Basispunkte. So gesehen, sind Aktien immer noch relativ günstig.“
Der Aufwärtstrend, so die Experten, sei fundiert und bleibe völlig intakt. Mittlerweile habe er den breiten Markt erfasst. „Ende März 2020 lagen noch weniger als zehn Prozent der Titel aus dem S&P 500 über ihrer 200-Tage-Linie“, erläutert Alexander Prochnow-Ast vom Family Office der Volksbank Kraichgau. Der Börsenaufschwung war damals nur auf wenige Titel zurückzuführen und stand auf schwachen Beinen. „Aktuell liegen 96 Prozent der Aktien aus dem Index über ihrer 200-Tage-Linie. Der Kursanstieg wird also von vielen Titeln getragen. Auch das spricht dafür, dass Anleger investiert bleiben sollten.“ ®
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// Ganz voll.
„Grundsätzlich gehe ich davon aus, dass sich zyklische und Value-Aktien auf kürzere Sicht gut entwickeln werden, IT und Unternehmen aus dem Gesundheitssektor dürften langfristige Gewinner sein“, eröffnet Robert Greil die Diskussion. „Aufgrund der Knappheit bei Chips sind wir hier zum Beispiel für die Halbleiterbranche optimistisch“, ergänzt Mayerhofer, der auch im Gesundheitssektor strukturelle Wachstumschancen identifiziert. „Da sehen wir Nachholpotenzial, weil einfach viele Behandlungen während der Pandemie zurückgestellt werden mussten.“
Im zyklischen Bereich hat Maximilian Kunkel zwei spannende Sektoren identifiziert: „Banken und Energiewerte sind attraktiv bewertet und profitieren vom konjunkturellen Umfeld.“ Besonderes Augenmerk richtet Prochnow-Ast dabei auf US-Banken. „Durch den Impffortschritt dort und die massiven Staatshilfen dürfte es weniger Kreditausfälle geben als erwartet. Gleichzeitig wirkt sich auf die Erträge positiv aus, dass die Zinsstrukturkurve steil ist, kurze Laufzeiten also weniger Rendite bringen als lange. Banken können sich ja Geld kurzfristig leihen und es dann langfristig verleihen.“
Stefan Ebner rät, Europa nicht zu vergessen: „Die europäische Branchenstruktur ist zyklischer als die in den USA. Der kommende Konjunkturboom dürfte Europa deshalb noch stärker nutzen.“ Zudem wiesen europäische Aktien derzeit auch einen Bewertungsvorteil gegenüber ihren amerikanischen Pendants auf.
Auch Asien zählt zu den Favoriten. „Wir haben dort eine junge, wachsende und vielfach technikaffine Bevölkerung und die Nähe zur Wachstumslokomotive China, was diese Region derzeit besonders spannend macht“, erläutert Carsten Mumm. Ähnlich sieht das Karsten Tripp: „Für mich ist Asien, ebenso wie Technologie, ein strukturelles Thema. Der Einstieg mit einer langfristigen Perspektive ist nach der jüngsten Kurskorrektur besonders lohnenswert.“
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