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  • Sonderveröffentlichung: B. Metzler seel. Sohn & Co.

U(ndecided) States of America.

(Geschätzte Lesezeit: 5 - 9 Minuten)

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US-Wahlen. Im Herbst finden in den USA Präsidentschaftswahlen statt. Carolin Schulze Palstring, Leiterin Kapitalmarktanalyse Metzler Private Banking, untersucht die Wahlchancen der Kandidaten sowie mögliche Auswirkungen auf Wirtschafts- und Geldpolitik.

Noch vor wenigen Monaten schien eine Wiederwahl von Donald Trump so gut wie ausgemacht. Schließlich tendieren US-Bürger dazu, Amtsinhaber wiederzuwählen – zumindest solange die Wirtschaftslage gut ist. „Von den zwölf Präsidenten, die seit dem Zweiten Weltkrieg für eine zweite Amtszeit angetreten sind, wurden neun im Amt bestätigt“, informiert Carolin Schulze Pals­tring, Leiterin Kapitalmarktanalyse Metzler Private Banking.

Die drei Bewerber, die nicht wiedergewählt wurden, waren Gerald Ford, Jimmy Carter und George H. W. Bush. Unter Ford war es zur berühmten Stagflation gekommen, einer Kombination aus schleppendem Wirtschaftswachstum bei gleichzeitig hoher Inflation. In Carters Amtszeit waren die Nachwirkungen der Volcker’schen Zinsanhebungen zu spüren. Und in der Ära Bush kollabierte das amerikanische Sparkassensystem. Jedes Mal befand sich die Wirtschaft also in schwierigem Fahrwasser.

Ray Fair, Ökonomieprofessor an der Yale University, hat US-Daten seit 1916 ausgewertet und herausgefunden, dass vor allem Wirtschaftslage und Inflationsentwicklung maßgeblich für die Mehrheitsverhältnisse in Washington sind. „Wir simulierten deshalb auf Basis seines Modells verschiedene Szenarien für den Wahlausgang in diesem Jahr“, erläutert Schulze Palstring. Das Ergebnis: Hätten sich Bruttoinlandsprodukt und Preise 2020 so entwickelt wie im Durchschnitt der bisherigen Amtszeit von Donald Trump, wäre ihm eine zweite Legislaturperiode so gut wie sicher gewesen. Mit dem Ausbruch von Covid-19 ist dies aber nicht mehr realistisch. „Fällt die US-Wirtschaft – wie gegenwärtig von den meisten Beobachtern erwartet – in eine tiefe Rezession und lässt die Inflation vorübergehend etwas nach, sinken seine Chancen auf eine Wiederwahl drastisch.“

Einen Hoffnungsschimmer gibt es jedoch für die Republikaner: Sollte sich die Konjunktur im Anschluss an die Rezession schnell v-förmig erholen, hätte der Präsident – Fairs Modell zufolge – noch immer eine realistische Chance. „Die Wiederwahl von Donald Trump ist unmittelbar mit der Konjunkturent­wick­­lung verknüpft. Darum ist anzunehmen, dass die aktuelle Regierung weiterhin alles tun wird, um die Wirtschaft zu stützen und Turbulenzen im Finanzsektor sowie Insolvenzwellen von Unternehmen zu vermeiden“, ist Schulze Palstring überzeugt.

Bei diesen Wahlen – und das sei vielen Beobachtern gar nicht bewusst – stehe schließlich deutlich mehr auf dem Spiel als nur die nächste Legislaturperiode. „Es geht um den Machterhalt im kommenden Jahrzehnt.“

Schon jetzt lässt sich beobachten, dass die Demokraten stärker von demografischen Veränderungen profitieren als die Republikaner. Liberal orientierte Bevölkerungsschichten, die in der Regel auch ethnische Minderheiten und junge Menschen umfassen, wachsen stetig, während die klassische Wählerklientel der republikanischen Partei anteilig schrumpft. Zu Letzterer zählen vor allem weiße und ältere Menschen.

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Durch einen politischen Kniff könnte es der „Grand Old Party“ (GOP) dennoch gelingen, sich – entgegen dem Bevölkerungstrend – längerfristig politische Mehrheiten zu sichern. In den USA herrscht das relative Mehrheitswahlrecht, auch „Winner takes it all“-Prinzip genannt. Es gilt: Derjenige Kandidat, der die meisten Stimmen in seinem Wahlkreis bekommen hat, ist gewählt. Alle Stimmen, die nicht für den Sieger abgegeben wurden, fallen unter den Tisch. Je nachdem, wie die Wähler der Parteien regional verteilt sind, können die Wahlergebnisse deshalb stark vom eigentlichen Proporz in der Gesamtbevölkerung abweichen.

Darum versuchen die großen Parteien, sich durch einen geschickten Zuschnitt von Wahlkreisen Vorteile zu verschaffen. Das ist möglich, weil die regierende Partei in vielen Bundesstaaten die Wahlkreise alle zehn Jahre auf Basis einer neuen Volkszählung mehr oder weniger willkürlich festlegen darf. Sie müssen nur dieselbe Anzahl an Einwohnern umfassen, und es dürfen keine ethnischen Minderheiten diskriminiert werden. Die Ergebnisse des nächsten Census werden im Dezember 2020 vorliegen. Das Privileg, die Wahlkreise neu festzulegen, fällt deshalb dem Gewinner der diesjährigen Wahlen zu. 

Eine Auswertung des Center for American Progress belegt, dass zuletzt vor allem die Republikaner vom Wahlkreiszuschnitt profitiert haben. In den vergangenen drei Kongresswahlen der Jahre 2012, 2014 und 2016 wurden im Durchschnitt 59 Sitze allein aufgrund von Wahlkreiszuschnitten umverteilt. 39 davon gingen an die Republikaner und 20 an die Demokraten. „Netto“ hat die GOP also 19 Sitze hinzugewonnen.

Auf den ersten Blick scheint das nicht besonders viel. Aber diese 19 Sitze repräsentieren immerhin rund 14,3 Millionen Amerikaner und stehen stellvertretend für die Bevölkerung der 13 kleins­ten US-Bundesstaaten. „Die Schlussfolgerung lautet: Mit einem Wahlsieg der Republikaner in diesem Jahr erhöhen sich gleichzeitig ihre Chancen, auch entgegen dem demografischen Trend in der nächsten Dekade an der Macht zu bleiben“, sagt die Expertin.

Dieser Zusammenhang ist den gegnerischen Demokraten natürlich nicht verborgen geblieben. Deshalb haben sie – einer Analyse der University of California, Irvine, zufolge – zuletzt so viele Klagen gegen vermeintlich repressive Wahlgesetze und Wahlkreiszuschnitte eingereicht wie noch nie seit Beginn der Auswertung 1996. Ihr Problem: Grundsatzentscheidungen werden in den USA üblicherweise durch den Obersten  Gerichtshof gefällt, und der ist momentan eher republikanisch geprägt. Fünf der neun amtierenden Richter sind dem konservativen Lager zuzurechnen.

In Zukunft könnte sich dieses Kräfteverhältnis sogar noch weiter verschieben. Die Richter des Supreme Courts werden auf Lebenszeit ernannt. Zu Rücktritten kommt es daher oft nur aus gesundheitlichen Gründen. Zwei der vier von den Demokraten ernannten Amtsinhaber sind über 80 Jahre alt. Sollten sich in der kommenden Legislaturperiode Vakanzen ergeben, darf der neue Präsident mit Zustimmung des Senats diese Stellen neu besetzen. Ein Wahlsieg von Trump könnte also einen enormen Machtgewinn für die Republikaner bedeuten. 

Ähnliches gilt auch in Bezug auf die US-Notenbank. Das Führungsgremium der Federal Reserve besteht aus sieben Personen. In den vergangenen drei Jahren hat Donald Trump drei neue Mitglieder bestimmt und Jerome Powell zum Vorsitzenden gemacht. Da zwei Posten in dem Gremium derzeit unbesetzt sind, wurde von den aktuellen Fed-Mitgliedern einzig Lael Brainard nicht von Trump nominiert.

In der nächsten Legislaturperiode kann der neue Präsident die Posten des Vorsitzenden und der Vize-Vorsitzenden neu vergeben. Und Nachfolger für Michelle Bowman, Richard Clarida sowie für die beiden vakanten Stellen mit einer Amtszeit von jeweils 14 (!) Jahren bestimmen. Kurzum: Sollte Donald Trump wiedergewählt werden, hätte er die Möglichkeit, der Fed für die gesamte Dekade seinen Stempel aufzudrücken.

„Die Folge wäre vermutlich eine lang an­haltende Tendenz zur Niedrigzinspolitik“, macht Carolin Schulze Palstring klar, „kurzfristig kann dies richtig und wichtig sein, um die Konjunktur in Zeiten von Corona zu stabilisieren. Langfris­tig wird dadurch jedoch der Grundstein für die nächste Krise gelegt, da makroökonomische Ungleichgewichte, zum Beispiel in Form von Verschuldungs- oder Immobilienpreisexzessen, wachsen werden.“ 

Angesichts der massiven institutionellen Gestaltungsmöglichkeiten steht zu befürchten, dass die beiden Parteien im Wahlkampf ihre Feindseligkeiten so offen austragen werden wie nie zuvor. Eine konstruktive Zusammenarbeit nach den Wahlen ist deshalb unwahrscheinlich. „Für den mittelfristigen Konjunkturausblick ist also weniger entscheidend, welche Partei die Wahlen gewinnt. Vielmehr geht es darum, ob der Wahlsieger auch den Kongress kontrolliert.“

Zwar verfügt der Präsident über Vorrechte in der Außenpolitik und bei der Nominierung von Amtsträgern (Fed, Supreme Court), in der Innenpolitik und der Haushaltsgesetzgebung ist er allerdings auf den Kongress angewiesen. 

Kontrollierte der Präsident früher den gesamten Kongress, setzte er im ersten Amtsjahr mehr als die Hälfte seiner Vorhaben um. Bei geteilten Machtverhältnissen sank die Umsetzungsquote auf bis zu 25 Prozent. „Sollte der nächste Präsident keine Mehrheiten im Kongress besitzen, wäre innenpolitisch nur ein Minimalkonsens durchzusetzen. Die USA wären weitgehend gelähmt. Und dem Präsidenten bliebe nichts anderes übrig, als sich – wie in den vergangenen zwei Jahren – auf die Außenpolitik zu konzentrieren und per Dekret zu regieren“, macht Schulze Palstring klar. 

Wie wahrscheinlich ist es, dass sich die bisher geteilten Machtverhältnisse im Kongress auflösen lassen?

Bei den Abstimmungen am 3. November stehen neben dem US-Präsidenten alle 435 Mitglieder des Repräsentantenhauses und ein Drittel des Senats zur Wahl (33 von 100 Sitzen).

In der ersten Kammer des Kongresses, dem Repräsentantenhaus, verfügen die Demokraten mit 232 Sitzen über eine komfortable Mehrheit. Die Republikaner müssten zu ihren bestehenden 196 Sitzen 18 Sitze hinzugewinnen (zuzüglich der vier vakant gewordenen Pos­ten), um als Sieger aus der Wahl hervorzugehen. Laut dem Cook Political Report von Anfang 2020 gibt es gegenwärtig in 18 demokratischen Wahlkreisen ein Kopf-an-Kopf-Rennen, während dies nur in fünf republikanischen Wahlkreisen der Fall ist. Die GOP müsste also alle Wahlkreise mit „Wackelkandidaten“ der Demokraten gewinnen und dürfte gleichzeitig keine eigenen Sitze verlieren. „Theoretisch ist das zwar nicht unmöglich, jedoch scheinen die Hürden für eine Machtübernahme der Republikaner im Repräsentantenhaus sehr hoch zu sein“, folgert die Expertin.

Umgekehrt müssten die Demokraten im Senat alle vier Mandate mit „Wackelkandidaten“ der Republikaner für sich entscheiden, ohne eigene Sitze zu verlieren, um die Mehrheit dort zurückzuerlangen. „Auch dies scheint gegenwärtig wenig wahrscheinlich. Vieles spricht also darum für weiter geteilte Machtverhältnisse in der kommenden Legislaturperiode“, meint Schulze Palstring. 

Was bedeutet das für die zukünftig zu erwartende Politik? „Zwar setzen beide Parteien unterschiedliche Schwerpunkte in den Bereichen Gesundheitssystem, Immigration, Steuern und Umweltschutz – eines dürfte aber klar sein: Die Staatsverschuldung wird weiter stark steigen“, sagt die Analystin. „In den nächsten Quartalen sorgen ein Anstieg der Arbeitslosigkeit sowie Unternehmenspleiten für niedrigere Steuereinnahmen. Dies allein reißt bereits bei unverändertem Ausgabeverhalten ein großes Loch in die Staatskasse“, analysiert Schulze Palstring. Darüber hinaus sei zu erwarten, dass die Konjunktur auch nach Überstehen der akuten Phase der Corona-Epidemie Impulse vonseiten des Staats benötigt.

Die Ausgestaltung dieser Maßnahmen kann jedoch in Abhängigkeit der regierenden Partei variieren: So sind die Republikaner für eine wirtschaftsfreundliche Fiskalpolitik bekannt, die sich vordringlich auf die Einnahmeseite – also Steuererleichterungen – konzentriert. Viele Marktteilnehmer versprechen sich darum von einem Wahlsieg Trumps positive Impulse für die Wirtschaft und den Aktienmarkt.

Dabei wird übersehen, dass auch die Demokraten Konjunkturhilfen im Programm haben. Ihr Fokus liegt jedoch klar auf der Ausgabenseite des Staatshaushalts. In der Diskussion sind zum Beispiel Infrastrukturprogramme oder Hilfen für Privathaushalte. „Ein Sieg der Demokraten muss darum nicht notwendigerweise dämpfend auf die Wirtschaftstätigkeit in den USA wirken“, erläutert Schulze Palstring. Studien des Congressional Budget Office würden sogar belegen, dass höhere direkte Staatsausgaben deutlich stärkere Effekte auf die Wirtschaft entfalten als Steuersenkungen.

Auch in einem anderen Punkt ähnelt sich die Agenda beider Parteien: beim Protektionismus. Einer Umfrage des PEW Research Center zufolge sehen mehr als zwei Drittel der Republikaner, aber auch deutlich mehr als die Hälfte der Demokraten das Geschäftsgebaren Chinas kritisch.

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„Selbst in einem Szenario geteilter Macht ist also davon auszugehen, dass die USA ihre Strategie der dauernden Nadelstiche und Drohgebärden fortsetzen werden, um den Einfluss Chinas einzudämmen“, ist Schulze Pals­tring überzeugt und schließt: „Die Hoffnung auf eine dauerhafte Beilegung des Handelskonflikts ist daher unseres Erachtens unbegründet. Vielmehr muss damit gerechnet werden, dass die protektionistische Handelspolitik der USA auch nach den Wahlen im November fortgeführt wird. Der Trend zur Deglobalisierung dürfte deshalb anhalten.“   ®

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