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  • Dr. Christian Jasperneite

"Schluss mit der Schuldenbremse."

(Geschätzte Lesezeit: 2 - 4 Minuten)

2102 PW A letter from Dr C Jasperneite

A letter from … Dr. Christian Jasperneite. Der Chefstratege von M.M.Warburg & CO sagt, warum nach dem Rücktritt von Bundesbankpräsident Weidmann Sparen keinen Sinn mehr ergibt.

Ich weiß schon – wer mich länger kennt, wird sich angesichts dieser Überschrift vielleicht verwundert die Augen reiben. Schließlich habe ich seit Jahrzehnten gegen eine ausufernde Staatsverschuldung argumentiert.

Aber hier stehe ich und kann nicht anders. Seit zehn Jahren hat Jens Weidmann als Bundesbank-Chef unermüdlich darum gekämpft, dass die EZB nicht zu einer Institution wird, die ihre wesentliche Aufgabe darin sieht, die Staaten der Eurozone günstig zu refinanzieren. Nun hat er das Handtuch geworfen. Vor uns liegt eine Zeit, in der die Geldpolitik der EZB nicht mehr in der Tradition einer unabhängigen Bundesbank steht, sondern in der südeuropäischer Notenbanken, die von ihren Staaten wie Abteilungen des Finanzministeriums behandelt wurden.

Gleichzeitig wird in der EU-Kommission darüber debattiert, die Maastricht-Kriterien aufzuweichen und eine Verschuldung von 100 Prozent statt von 60 Prozent relativ zum Sozialprodukt zuzulassen. Das passt zusammen. Denn bei einer Verschuldung auf 100 Prozent geht die Rechnung bei plausiblen Annahmen hinsichtlich des Wachstums mathematisch nur noch auf, wenn quasi auf ewig Zinsen nahe null Prozent unterstellt werden. Genau das scheint die EZB garantieren zu wollen.

Gleichzeitig entwickelt sich die EU hin zu einer Transfer- und Haftungsunion, in der haushaltspolitische Risiken zunehmend gemeinsam getragen werden. Ein Schritt in diese Richtung ist der 750-Milliarden-Euro Corona-Hilfsfonds. Die Pandemie wird vorübergehen, aber gemeinsame Finanzierung und Haftung werden bleiben.

Ganz offensichtlich haben sich die Regeln in Europa geändert. Ich frage mich: Ist es dann noch ökonomisch rational, eine nationale Schuldenbremse anzuwenden? Schließlich würde diese bei neuen, zukünftig gültigen Maastricht-Kriterien die Lücke in der Verschuldung zwischen Deutschland und den restlichen EU-Ländern zementieren. Deutschland würde sich wieder langsam in Richtung 60 Prozent entwickeln, während für den Rest selbst ein Erreichen von 100 Prozent fast utopisch wäre. Zur Erinnerung: Der EU-Schnitt ohne Deutschland liegt eher schon bei 110 Prozent – Tendenz steigend.

Die Verfechter der Schuldenbremse sagen, Deutschland müsse sparen, um seine Bonität – und damit die der EU – auf Spitzenniveau zu halten. Ich hielte das für ökonomischen Wahnsinn. Kein Land auf der Welt wäre so altruistisch, sich selbst fast totzusparen, um eine Bonität aufrechtzuerhalten, von der in einer Währungs- und Haftungsunion primär die anderen profitieren.

Man kann es noch krasser formulieren. In dieser Gemengelage ergäbe ein deutscher Sonderweg nur Sinn, wenn man plante, den Klub und damit die EU und die Eurozone zu verlassen. Denn dann wäre man perspektivisch wieder allein für seine Schulden haftbar.

Genau das will keiner in Deutschland, und das ist auch gut so. Wenn wir aber bewusst die Entscheidung treffen, Teil der EU und des Euroraums zu bleiben, und wenn wir offensichtlich nicht mehr in der Lage sind, Einfluss auf die Gestaltung der Regeln zu nehmen – siehe Rück­tritt von Bundesbankpräsident Weidmann –, sollten wir unser Verhalten an die neuen Regeln anpassen.

Würde Deutschland beispielsweise die Verschuldung auf das Niveau der anderen EU-Länder anheben, könnten wir fast 1600 Milliarden Euro zusätzlich ausgeben. Wer sich schwertut, diese Zahl einzuordnen: Der gesamte Bundeshaushalt liegt bei etwa 400 Milliarden. Wir könnten problemlos die Bildungsausgaben dramatisch erhöhen und die Steuern massiv senken. Die Infrastruktur könnte von Grund auf erneuert und Investitionen für den Klimawandel könnten mutig angegangen werden.

Skeptiker mögen nun fragen: Kann das gut gehen? Nehmen wir an, dieser Kurs fährt uns alle in 20 oder 30 Jahren vor eine Wand. Dann ist es doch besser, mit einer guten Infrastruktur und gut ausgebildeten Fachkräften einen Neuanfang zu starten als mit einem Land, das sich bis zu dem Zeitpunkt totgespart hat, dann für alle anderen mithaftet und darum trotzdem bei null anfangen muss. Deshalb muss die Schuldenbremse nun weg.

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