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  • Dr. Peter Bofinger

"Jetzt ist es dann aber auch genug."

(Geschätzte Lesezeit: 5 - 9 Minuten)

08 20180420 DSF4613

Der Wirtschaftsweise Peter Bofinger hat die Geldpolitik der EZB immer verteidigt. Warum Mario Draghi (fast) alles richtig gemacht habe, jetzt aber auf die Bremse treten sollte, diskutiert Bofinger mit der Lerbacher Runde.

Ich finde, Mario Draghi hat Fantastisches geleistet. Wie er damals – im Juli 2012 – den Zusammenbruch des Euro verhindert hat, war großartig. Wir profitieren bis heute davon, dass sich die Märkte immer noch von „whatever it takes“ beeindrucken lassen. Der Zauber funktioniert.

Im Sachverständigenrat ist die Politik der EZB trotzdem umstritten. Meine Kollegen sagen schon länger, dass die Niedrigzinsen weder für Euroraum noch für Deutschland angemessen seien. Grundlage dieser Kritik ist die sogenannte Taylor-Regel. Sie geht zurück auf John Taylor, der Anfang der 1990er Jahre – auf der Basis der tatsächlichen Zinspolitik der FED – eine einfache Formel entwickelt hat, mit der eine Notenbank eine stabilisierende Geldpolitik hinbekommt. Lange Zeit deckte sich die Regel in etwa mit der tatsächlichen Zinspolitik. Seit 2011 liegt der Taylor-Zins für Deutschland allerdings rund zwei bis drei Prozentpunkte über der EZB-Rate. Auch im Euroraum wären im Jahr 2017 nach der Taylor-Regel rund 2,5 Prozent angemessen gewesen – nicht minus 0,4 Prozent.

Aber die Taylor-Regel ist nur eine Art Navigationssystem. Wenn Sie im Auto sitzen, und Ihr Navi führt Sie immer weiter in den Wald, dann müssen Sie das System irgendwann hinterfragen. Die Arbeitslosigkeit in Europa war extrem hoch, die Wirtschaft kam nicht in Schwung, und die Staaten mussten zusätzlich sparen, um die Finanzmärkte angesichts hoher Schuldenstände zu besänftigen. Diesen Teufelskreis konnte die EZB durchbrechen. Die Arbeitslosigkeit in Europa ist deutlich zurückgegangen. Weil Mario Draghi den Druck der Märkte von den Staaten nahm, konnte behutsamer konsolidiert werden. Heute wächst Europa wieder, die Staatseinnahmen steigen, das stabilisiert die Schuldensituation. Fehlentwicklungen im Finanzsystem sind bisher nicht zu erkennen.

Trotzdem reißt die Kritik an der EZB nicht ab. Sie enteigne den deutschen Sparer, heißt es, und mache den Banken ihre Zinsmargen kaputt. Ist das wirklich so?

Ich sehe das anders. Die Zinsmarge der Banken liegt seit Jahren flach wie ein Brett. Jede Bank kann schließlich im Wettbewerb die Kreditzinsen verlangen, die sie braucht, um Profit zu machen. Ein Fehler ist es allerdings, dass die EZB Unternehmensanleihen ankauft. Damit hat sie eine Grenze überschritten. Denn sie ist so in den Wettbewerb mit den Banken getreten. Die Unternehmen können nun sagen: „Toll, ich gehe nicht mehr zur Bank, sondern zu Draghi, da ist es günstiger.“

Nun zum Sparer. Von 1967 bis heute war die reale Rendite eines Sparbuchs 0,003 Prozent. In der Amtszeit von Draghi waren es minus 0,4 Prozent. Das ist nicht schön, aber auch keine Katastrophe. Wenn es um Anleihen geht, ist außerdem immer noch die Steuer zu berücksichtigen. Viele träumen ja von der guten alten Zeit, da es noch acht Prozent Anleihezins gab. Aber damals lag die Inflationsrate auch bei sechs Prozent. Investoren bezahlten 50 Prozent Steuern – netto blieben ihnen nur vier Prozent übrig. Real – nach Inflation – waren das dann minus zwei Prozent. Heute machen Anleihekäufer real ein Minus von 1,5 Prozent. Die Mär von der guten alten Zeit ist also Illusion – eine Geldillusion. Das Grundproblem besteht einfach da­rin, dass deutsche Anleger falsch sparten – zu viel Geldvermögen, zu wenig Immobilien und Aktien.

Das aktuell niedrige Zinsniveau hat auch damit zu tun, dass es eigentlich kaum mehr neues Angebot am Anleihemarkt gibt. Der Staat fährt die schwarze Null. Und der deutsche Unternehmenssektor ist auch schon seit Langem Netto-Anleger. Er sitzt auf seinen Geldsäcken. Gleichzeitig haben wir in Deutschland eine Sparquote von zehn Prozent. Jedes Jahr suchen ein paar Hundert Milliarden Euro eine Anlage, aber niemand braucht das Kapital. Dafür kann doch Mario Draghi nichts. Wenn jetzt ein Sparer will, dass ihm jemand auf zehn Jahre vier Prozent gibt, da frage ich mich: Wer soll das eigentlich sein?

Ich plädiere dafür, das Gesamtpaket zu sehen. Wir sind nicht nur Sparer, sondern Arbeitnehmer, Unternehmer und Steuerzahler. Mit Draghis Politik und der Währungsunion sind wir als Volkswirtschaft sehr gut gefahren, weil wir mit dem Euro für unsere Industrie eine Währungsabsicherung gegenüber dem Euroraum haben und global eine Währung, die nicht so stark ist, wie es eine Mark gewesen wäre.

Insgesamt ist die Bilanz der EZB-Politik für Deutschland positiv. Dass hierzulande trotzdem eine so negative Einstellung gegenüber der EZB vorherrscht, ist nicht nur unangemessen, es ist auch brandgefährlich. Denn wenn es im Euroraum krachen sollte, wären wir in Deutschland die Hauptbetroffenen.

Mein  Fazit: Ich bestreite ja nicht, dass die EZB zur Überdosierung tendiert. Ich persönlich finde, wir wären auch mit einer etwas weniger expansiven Geldpolitik zurechtgekommen. Der Negativ-Einlagensatz zum Beispiel war unnötig. Bringt minus 0,4 wirklich mehr Wachstum als null? Wissenschaftlich fundiert lässt sich das nicht belegen. Politisch hat dieser Schritt aber viel Ärger gebracht. Das hätte besser vermieden werden sollen. Aber ich habe Verständnis für den Ansatz. Wenn niemand wissen kann, was zu viel und was zu wenig ist, um die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen, dann ist es besser, etwas zu viel zu tun. Dies gilt insbesondere auch deshalb, weil die Geldpolitik wegen der Nullzinsgrenze im Deflationsbereich kaum noch handlungsfähig ist. Allerdings ist dann ständig zu prüfen, ob die Überdosierung zu Fehlentwicklungen führt.

Die schlimmste Fehlentwicklung wäre Inflation. Ich kann aber nicht erkennen, dass es irgendwo Inflation gibt. In Bundesbankzeiten hatten wir eine durchschnittliche Preissteigerungsrate von 2,7 Prozent. Und alle waren zufrieden. Seit es den Euro gibt, sind es im Schnitt 1,4 Prozent, unter Draghi 1,2 Prozent. Selbst wenn die Inflation in Deutschland künftig auf 2,7 Prozent stiege, ginge die Welt auch nicht unter.

Auf der vorgelagerten Stufe ist die Kreditentwicklung ein wichtiger Indikator für Fehlentwicklungen. Die enorme Expansion 2006 und 2007 hätte ein Warnsignal sein müssen. Heute ist die Kreditvergabe im Euroraum moderat.  Ich finde es eher merkwürdig, dass so wenig investiert wird. Offenbar haben die Firmen hohe Renditevorgaben für ihre Investitionen. Dann ist es fast egal, ob der Zins bei null oder eins liegt. Auch da leuchtet keine Warnlampe auf.

Lerbacher Runde Herr Professor, ist es nicht ein Sündenfall, wenn die Notenbank den Markt außer Kraft setzt und den wichtigsten Preis, den Zins, manipuliert?

Professor Peter Bofinger Zunächst einmal ist ja der Leitzins immer eine politische Größe. Diesen bestimmt zu 100 Prozent die Notenbank mit Blick auf das wirtschaftliche Umfeld. Der langfristige Zins spiegelt theoretisch die Meinung der Marktteilnehmer über die künftigen Leitzinsen wider. Und die Inflationserwartung. Bei dieser Preisbildung über die Erwartungen ist der Zusammenhang zur Geldpolitik natürlich etwas locker. Mit ihren Anleihekäufen hat die EZB die Zügel etwas enger genommen. Das halte ich nicht für problematisch. Und es war übrigens auch nicht die Ursünde. In den 1960er- und 70er-Jahren hatte die Bundesbank schon Anleihen gekauft, um die langfristigen Zinsen zu drücken.

LR  Werden wir diese Geister jemals wieder los?

PB Ich vermute, nein. Die Notenbank wird wohl nie mehr eine Situation zulassen, in der die langfristigen Zinsen plötzlich um ein oder zwei Prozentpunkte nach oben springen. Aber müssen wir sie loswerden? Dem Finanzsystem sollte dies tendenziell mehr Stabilität geben.

LR Gleichwohl scheinen immer mehr Menschen diesem „Geldmanagement“ zu misstrauen. Werten Sie das Auftreten von Kryptowährungen nicht als Indiz dafür?

PB Zunächst würde ich sagen: Kryptowährungen sind eine geniale Art, Anlagebetrug zu begehen, ohne belangt werden zu können, und dadurch reich zu werden. Stellen Sie sich vor, ich verspreche Ihnen 20 Prozent Rendite auf Bofinger-Invest. Jeder von Ihnen gibt mir eine Million Euro. Dann stellt sich heraus, dass ich nie vorhatte, dieses Kapital zu investieren. Ich käme in den Knast.

Ich könnte aber auch sagen, es gibt den Bofinger-Coin. Der wird eine fantastische Wertentwicklung haben, weil wir ein extrem intelligentes limitierendes Emissionsverfahren entwickelt haben. Und nun gebe ich Ihnen einen Schuldschein – vorn steht Bofinger-Coin, eine Million Euro. Und auf die Rückseite schreibe ich: „Dieser Schein verpflichtet zu nichts. Sie werden niemals im Leben für diesen Schein von mir irgendetwas bekommen.“ Wenn Sie mir dann trotzdem Ihre Million Euro geben, ist das rechtlich völlig in Ordnung.

Natürlich machen es die Kryptowährungen intelligenter. Aber im Kern ist es dasselbe. Dies sind Schuldscheine, hinter denen nichts steht und die nichts versprechen. Genial ist, dass eine Knappheit vorgegeben wird und der Mensch, der das alles erdacht hat, der Schöpfer des Bitcoin, vom Buchungssystem getrennt ist. Damit bekommt das Ganze etwas völlig Unpersönliches. Sie geben Ihr Geld ja nicht dem Bofinger, sondern kaufen Bitcoins. Und haben dadurch plötzlich nicht mehr das Gefühl, völlig wertloses Zeug zu erwerben. Das ist schon genial.

LR Bleibt die Frage nach dem Misstrauen in das Geldsystem.

PB Es wurden noch nie so viel Geldbestände in Relation zum Bruttoinlandsprodukt gehalten wie im Augenblick. Das wäre doch nicht so, wenn es einen massiven Vertrauensverlust gäbe. Dann würden die Geldbestände ausgegeben, und die Güterpreise würden massiv steigen. Wir sehen eher das Gegenteil. Von der Entwicklung des Geldwerts aus gesehen sind wir weit weg von einem Vertrauensverlust.

LR Aber sehen wir nicht Inflation in den Preisen von Vermögenswerten – Immobilien, Aktien, Kunst?

PB Na ja – verglichen mit anderen Ländern ist die Immobilienpreisentwicklung gar nicht so dramatisch. Und die Aktienkurse sind auch nicht extrem hoch. Daran die These vom Misstrauen festzumachen, halte ich für übertrieben. Wenn wir drei Prozent Inflation hätten und die EZB würde nicht bremsen, dann würde ich nervös werden.

LR Wie sieht Ihre Prognose der EZB-Politik aus?

PB Die EZB wird vor dem nächsten Sommer bei den kurzfristigen Zinsen nicht viel tun. Sie wird an ihrem Ansatz, lieber zu viel als zu wenig zu tun und auf die Nebenwirkungen zu schauen, festhalten. 

LR Halten Sie das immer noch für richtig?

PB Sobald die Inflationsprognosen für den Euroraum die Zwei-Prozent-Marke erreichen, sollten die Anleihekäufe gestoppt werden. Dann sollte auch relativ bald der Zinssatz für die Einlagenfazilität auf Null angehoben werden. Zugleich würde ich klar kommunizieren, dass im Fall zu heftiger Reaktionen am Kapitalmarkt – nach dem Vorbild der japanischen Notenbank – eine Kontrolle der Zinsstruktur vorgenommen wird. ®

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