• Prof. Jochem Marotzke

"Zwei Grad können wir noch schaffen."

(Geschätzte Lesezeit: 4 - 7 Minuten)

Opinionleader 2 Grad

Was sind die wissenschaftlichen Fakten rund um Klimawandel? Die Lerbacher Runde fragt, Professor Jochem Marotzke, koordinierender Leitautor für das Kapitel „Zukünftiges Weltklima“ im aktuellen IPPC-Bericht, antwortet.

Lerbacher Runde (LR) COP26 wurde als Last Chance Saloon bezeichnet. Hat die Welt die letzte Chance genutzt?

Jochem Marotzke (JM) Bei mir hat das Ergebnis des Klimagipfels gemischte Gefühle hinterlassen. Glasgow hat uns keinesfalls zurück auf den Weg zum 1,5-Grad-Ziel geführt und war insofern für viele enttäuschend. Andererseits hat die Konferenz aber auch viele wichtige Fortschritte gebracht. Trotz aller Abschwächungen: Das Ende der Kohle wurde eingeläutet. Das ist ein Fanal.

LR Ist das 1,5-Grad-Ziel realistisch überhaupt noch zu erreichen?

JM Ich glaube nicht. In den Szenarien, die mit 1,5-Grad-Erwärmung vereinbar sind, müssten gigantische Mengen an CO2 aus der Atmosphäre entnommen werden. Wir haben ziemlich robuste wissenschaftliche Analysen, die belegen, dass diese Kombination aus Emissionsminderung und CO2-Speicherung nicht plausibel ist.

LR Was ist noch möglich?

JM Wir haben eine ordentliche Chance, das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen. Allerdings erfordert das sehr schnelles Umsteuern. Auch das wird enorm schwer.

LR Was bedeuten zwei Grad Erderwärmung für uns alle?

JM Generell gilt, dass mehr Klimawandel auch mehr Risiken birgt. Es erhöht sich einfach die Wahrscheinlichkeit von zerstörerischen Ereignissen, der Meeresspiegel steigt schneller. Aber es gibt keine klare Grenze zwischen sicherem und gefährlichem Klimawandel. Nur wenn der Klimawandel immer weitergeht, werden wir manches unwiderruflich verlieren. Am gefährdetsten sind die Korallen.

LR In der Vergangenheit wurde viel über ähnliche Kipppunkte wie die Störung der ozeanischen Zirkulation, Versauerung der Ozeane oder das Schmelzen der Gletscher dis­­kutiert. Haben wir einige davon schon passiert?

JM Nein. Ein endgültiges Kippen, wie sich das viele vorstellen, ist auch bei vielen Aspekten eher unwahrscheinlich. Am kritischsten sehr ich den Kipppunkt noch beim grönländischen Eisschild. Aber auch der wird nicht in Jahrzehnten verschwinden. Selbst wenn es schnell geht, wird es ein paar Tausend Jahre dauern. Er kommt dann aber auch tatsächlich nicht wieder. Das ist ein wirkliches Umkippen.

LR Lassen sich singuläre Ergebnisse wie Hitzewellen tatsächlich heute schon auf den Klimawandel zurückführen?

JM Es gibt eine Studie zur Rekordhitze im Westen Kanadas im Juni 2021. Der Ort Lytton ist abgebrannt, nachdem es dort fast 50 Grad heiß geworden war. Es wurde untersucht, ob eine solche Hitze ohne Klimawandel stattgefunden hätte. Die Antwort ist: Es ist praktisch ausgeschlossen. Das konnte nur durch den Klimawandel kommen.

LR Vom Klimawandel werden ja nicht alle Länder gleich betroffen sein. Können Sie die Unterschiede skizzieren?

JM Deutschland wird sich 1,5 Mal so stark erwärmen wie das globale Mittel, die Arktis drei Mal so stark, das südliche Afrika zwei Mal so stark. Bei einer zwei Grad wärmeren Welt wird es also in Afrika vier Grad wärmer. Die Sorgen bezüglich dramatischer Dürreperioden in dieser Region sind deshalb absolut berechtigt. Dies zeigt auch, warum wir eine globale Erwärmung von vier Grad unbedingt vermeiden müssen. Denn für das südliche Afrika würde dies sieben oder acht Grad bedeuten. Dann könnte sich der Mensch dort nicht mehr draußen aufhalten. Die physiologische Widerstandsfähigkeit des menschlichen Körpers wäre überschritten, weil die Kombination aus Hitze und Feuchtigkeit vom Körper nicht mehr abgepuffert werden kann. Das wäre eine Katastrophe und würde globalpolitische Verwerfung nach sich ziehen.

LR Die Frage ist nun, was können wir tun? Und vor allem, was können einzelne Länder wie Deutschland tun?

JM Am Ende kommt die Welt nicht an der Notwendigkeit vorbei, aus der fossilen Brennstoffwirtschaft auszusteigen. Alle anderen Maßnahmen reichen nicht aus, wenn wir das nicht hinbekommen. Die fossilen Brennstoffe machen alles zunichte, was wir sonst an Fortschritten erreichen könnten. Isoliert kann Deutschland da natürlich nichts bewirken. Die EU als Ganzes hat als drittgrößter Emittent von CO2 aber schon eine Bedeutung. Natürlich hat derjenige, der vorangeht, immer Angst, für die anderen, die Trittbrettfahrer, die Kastanien aus dem Feuer zu holen. Weil der Ausstieg natürlich auch zunächst mit ökonomischen Kosten verbunden ist. Ich möchte aber trotzdem dazu ermutigen. Wer als Erster handelt, bestimmt, in welche Richtung Technologien, neue Verfahren, neue Systeme gehen. Und kann dann auch die erheblichen Chancen besser nutzen, die damit verbunden sein werden.

LR Wie interpretieren Sie die Rolle Chinas?

JM China möchte bis 2060 treibhausgasneutral sein. Und es will ab 2030 seine Emissionen senken. Ich bin allerdings skeptisch, dass das wirklich umgesetzt wird. Ich denke, es ist ziemlich sicher, dass die eigene Machtpolitik für die chinesische Regierung wichtiger sein wird als weltweiter Klimaschutz. Das macht es für die Klimaziele sehr schwer.

LR Wie stehen Sie zur Nutzung der Atomkraft?

JM Kernkraft als künftige Klimaschutzmaßnahme wäre nach allen Analysen viel zu teuer. Ich würde bestehende Anlagen nicht überstürzt abschalten, aber keine neuen Anlagen bauen. Das ist ökonomisch nicht sinnvoll.

LR Können Gezeitenkraftwerke oder Aufforstung einen Unterschied machen?

JM Das, was an Wasserkraft wirtschaftlich nutzbar ist, ist vielerorts schon umgesetzt. Für neue Gezeitenkraftwerke ist ein enormer Tidenhub nötig. Es gibt nicht viele Stellen in den Weltozeanen, wo das funktionieren kann. Und zur Wiederaufforstung muss man wissen: Nur die Hälfte dessen, was wir durch Aufforstung aus der Luft wieder rausziehen, wirkt sich aufs Klima aus. Alle naturbasierten Verfahren haben ihre Grenzen. Trotzdem sind sie sinnvoll. Aber sie werden das Klima nicht retten, wenn wir weiter fossile Brennstoffe nutzen.

LR Als Lenkungsinstrument dafür sehen viele den CO2-Preis. Wo müsste dieser denn liegen, damit wir das Zwei-Grad-Ziel erreichen?

JM Diese Frage wird unter Ökonomen stark diskutiert. Eine Zahl von 180 Euro pro Tonne geistert da herum. Das hängt auch damit zusammen, dass dann viele Technologien lohnend werden, die CO2 aus der Luft holen, abscheiden oder anderen Nutzungen zuführen. Aber auch das ist ein vielschichtiges Problem. Wenn der Preis erzwungen wird, durch eine Steuer oder Mengenobergrenzen beim Emissionshandel, kann es zu sozialen Verwerfungen kommen. Nicht alle Länder können sich diese CO2-Preise leisten. Und wenn die dann im Inneren instabil werden, ist auch nichts gewonnen. Neben dem Preis braucht es deshalb international abgestimmte Regularien.

LR Ein großer Hoffnungsträger ist schon lange die Fusionstechnologie. Könnte emissionsfreier, nahezu kostenloser Strom aus dieser Technologie die Welt retten?

JM Als junger, an Physik interessierter Mensch habe ich immer gelesen, in 30 Jahren ist die Fusion bereit zur Energie­erzeugung. Diese Zahl steht heute immer noch im Raum. Es lohnt sich zweifellos, diese Arbeit weiterzuführen. Ich glaube allerdings nicht, dass sich so die fossilen Energien zur Stromerzeugung schnell genug ersetzen lassen. Die technischen und wissenschaftlichen Herausforderungen sind einfach zu groß.

LR Kann Geoengineering funktionieren?

JM Es scheint tatsächlich so zu sein, dass Partikel in die Stratosphäre ausgebracht werden könnten, die das Sonnenlicht dann zurückstrahlen. Das macht mir aber mehr Sorge als Hoffnung. Angenommen, ein mächtiges Land entschließt sich dazu. Wenn dann irgendwo auf der Welt ein anderes Land in Schwierigkeiten gerät, weil sich dadurch Niederschlagsgebiete verschieben, wären gravierende internationale Konflikte programmiert.

LR Gerade junge Menschen haben im Zusammenhang mit dem Klimawandel Existenzängste. Ist das berechtigt?

JM Ich würde mir tatsächlich weniger Krisenlyrik und mehr Wissenschaft in der Diskussion wünschen. Dass viele junge Menschen glauben, sie hätten in Deutschland keine Überlebenschance, bedrückt mich. Natürlich steigen die Risiken von Naturkatastrophen. Aber wir können eindeutig sagen: Ihr seid nicht unmittelbar in eurem Leben bedroht. Das gilt aber nicht für jeden Punkt auf der Erde. Deshalb müssen wir jetzt entschlossen handeln.

LR Was macht Sie zuversichtlich, dass dies geschieht, obwohl Glasgow heuer keinen Durchbruch geschafft hat?

JM Der große Fortschritt des Pariser Klimaabkommens von 2015 war weniger die Festlegung auf das 1,5-Grad-Ziel. In Paris ist es gelungen, aus einem globalen Problem, bei dem jeder denkt, der andere löst es für ihn, 195 nationale Probleme zu machen. Nun muss natürlich noch immer jedes Land seine nationalen Klimaziele erreichen, was alles andere als einfach ist. Aber zumindest hat Paris völkerrechtlich verbindlich festgelegt, dass jedes Land selbst dafür verantwortlich ist. Und in diesem Sinne wird die Politik weiter vorangehen. Wie gesagt, das Zwei-Grad-Ziel schreibe ich noch nicht ab. Und damit könnte die Welt leben.      

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