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  • Prof. Maximilian Werkmüller

Was darf der Staat?

(Geschätzte Lesezeit: 2 - 3 Minuten)

Die Regierung hat Bürgern in der Corona-Krise erhebliche Einschränkungen abverlangt. War das rechtens? Und: War es verhältnismäßig? Maximilian Werkmüller, Professor an der Allensbach-Hochschule, gibt Antworten.

Wer sich mit derartigen Fragen auseinandersetzt, tut gut daran, sich kurz in den März dieses Jahres zurückzudenken. Zahlreiche Erkrankte mussten intensivmedizinisch betreut werden. Die Gesundheitssysteme unserer Nachbarn brachen zusammen. Von der „Triage“ war zu lesen.

Dass die Bundesregierung der deutschen Bevölkerung ähnliche Zustände und Bilder ersparen wollte, ist (ex ante wie ex post) nachvollziehbar. Das Infektionsschutzgesetz räumt dem Bund und den Ländern die Möglichkeit ein, geeignete Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung zu treffen. Damit ist bereits eine wesentliche Antwort gegeben: Der Staat muss vor Bedrohungen schützen. Dies „darf“ er nicht nur, er „muss“ es sogar. Und dieser Schutz kann auch mit der Einschränkung von Grundrechten verbunden sein. Hiervon wurde während des Lockdowns flächendeckend Gebrauch gemacht. Auch die jüngste Änderung des Infektionsschutzgesetzes, die den weitestgehenden Abbau bürgerlich-demokratischer Freiheiten seit den Notstandsgesetzen 1968 beinhaltet, ist a priori nicht zu beanstanden. Gleichwohl liegt die „Würze“ in der Anwendung des Gesetzes durch die Verwaltung und der zeitlichen Begrenzung der Maßnahmen. Diese muss angemessen sein.

Die absehbaren Folgen für die Wirtschaft sind schon jetzt verheerend. Je länger anerkannte Virologen sich öffentlich widersprechen, je länger das Leben der Bürger dem Grunde nach auf die eigenen vier Wände reduziert wird und je öfter darüber berichtet wird, dass die bereitgestellten Notfallkapazitäten gottlob nur in minimalem Umfang in Anspruch genommen wurden, desto höher wird der Rechtfertigungsdruck auf die staatlichen Organe, die Einschränkungen der persönlichen Freiheit zu lockern.

Inzwischen haben sich die ersten Gerichte mit den Covid19-bezogenen Einschränkungen befassen müssen. So war insbesondere die Regelungstechnik Gegenstand mehrerer Verfahren. Dabei ging es darum, wie Grundrechte beschränkt werden dürfen – nur per Gesetz und nicht durch eine Allgemeinverfügung, die in etwa auf der Höhe eines „Knöllchens“ rangiert. In Bayern hatte die Landesregierung nach Kritik des Verwaltungsgerichts München nachträglich auch das in der Normenhierarchie „höhere“ Instrument einer Rechtsverordnung auf Grundlage eines Gesetzes gewählt, um potenzielle verfassungsrechtliche Mängel rückwirkend zu heilen – eine Lernkurve mit Signalwirkung. Stützten die Gerichte zu Beginn des Lockdowns noch die angeordneten Maßnahmen, so stellte unlängst der Verfassungsgerichtshof des Saarlands bereits die Eignung eines Lockdowns mit Blick auf das zu erreichende Ziel an sich infrage – eine schallende Ohrfeige für die Verwaltung. Diese und ähnliche Entscheidungen mahnen die Regierenden, den Umfang der Beschränkungen der jeweiligen Entwicklung der Lage anzupassen.

Grundrechtsschutz findet der Bürger vor allem beim EuGH und dem Bundesverfassungsgericht: Nur diese Gerichte können Normen und Gesetze unmittelbar und für die Zukunft außer Kraft setzen sowie selbst eine Regelung vorgeben, bis der Gesetzgeber nachgebessert hat.

„Flatten the curve“ – dieses erklärte Ziel wurde (scheinbar) erreicht. Die wichtigste Frage lautet nun: Was passiert im Fall einer zweiten Welle? Darf der Staat dann einen weiteren Lockdown verordnen und damit Teilen der eigenen Wirtschaft trotz umfassender Hilfen den sicheren Todesstoß versetzen? Sicherlich nicht. In diesem Fall wird es meiner Meinung nach zu Verfahren auch vor dem Verfassungsgericht kommen. Dass die „Hüter der Verfassung“ aktuell zum ersten Mal Klagen von Bürgern gegen die Anleihekäufe durch die EZB stattgegeben haben, ist für mich ein deutliches Signal für den Grundrechtsschutz in schwierigen Zeiten.

Wir werden Corona überleben und unser System ebenfalls. Nach Abklingen der Bedrohung erhalten wir unsere Freiheiten zurück – daran besteht für mich kein Zweifel.

Es ist die Herkulesaufgabe der gewählten Regierenden, die widerstreitenden Interessen der Erkrankten einerseits und der Gesunden und der Wirtschaft andererseits miteinander in Ausgleich zu bringen. Hierfür benötigt man eine gute Übersicht, einen klaren Kopf und eine ruhige Hand. Bislang, so scheint es, hatten wir davon reichlich.

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