Die Zukunft der Energiewende.

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010 Opinionleader Herausforderung Energiewende

„Die Energiewende ist eine gewaltige Herausforderung“, erläutert Martin Faulstich, bis 2016 Vorsitzender des Sachverständigenrates für Umweltfragen: „Für unsere Industrie liegt darin aber auch eine riesige Chance.“

Wenn wir über Klimawandel und die Industriegesellschaft der Zukunft diskutieren, sind nur wenige Zahlen wichtig. Die weltweiten noch kostengünstig verfügbaren Reserven sowie die aufwendiger zu fördernden Ressourcen an Kohle, Öl und Gas liegen umgerechnet bei etwa 14000 Gigatonnen Kohlenstoff. Wollen wir das Zwei-Grad-Ziel bis 2100 einhalten, dürfen wir aber nur noch 200 bis 300 Gigatonnen in die Atmosphäre abgeben. Das ist die unangenehme Wahrheit.

Die zivilisatorische Grenze ist also nicht mehr die Verfügbarkeit fossiler Rohstoffe, sondern die Aufnahmefähigkeit der Atmosphäre. Wir müssen 98 Prozent der Vorräte an Kohle, Öl und Gas in der Erde lassen. Das bedeutet, eben nicht nur über den Kohleausstieg zu sprechen, sondern auch über den aus fossilem Öl und Gas. Für die Weltgemeinschaft ist dies eine riesige Herausforderung. Denn wir brauchen dafür nicht nur von allen Ländern umzusetzende Klimaschutzabkommen, wir müssen auch politische Rahmenbedingungen setzen, die bis 2050 halten – egal, wer gerade regiert.

Sehen wir uns an, wie weit wir in Deutschland gekommen sind. Bei der Stromwende haben wir zwar schon viel erreicht. Aber wir verstromen immer noch ähnlich viel Braunkohle wie vor 25 Jahren, müssen das jedoch in etwa zwanzig Jahren komplett beenden. Selbst wenn wir dann hundert Prozent erneuerbaren Strom produzieren, wäre das allerdings nur rund zwanzig Prozent unseres Energieverbrauchs – dreißig Prozent sind Kraftstoffe, fünfzig Prozent Wärme.

Energiewende heißt, alle Bereiche zu dekarbonisieren. Da stellen noch viele die Frage – ist das möglich?

Wir wissen mittlerweile, ja, es geht. Wir werden künftig Energie aus vielen Quellen beziehen. Aus Wind, Solar, Wasserkraft, Geothermie oder Bioabfällen. Und vor allem: Wir können mittels Strom durch Elektrolyse aus Wasser Wasserstoff gewinnen. Den können wir speichern und direkt einsetzen, um Zeiten mit wenig Sonne und Wind zu überbrücken. Oder wir nutzen diesen in chemischen Synthesen, genannt Power to Gas und Power to Liquid. Wasserstoff und Kohlendioxid aus industriellen Quellen oder aus der Luft kann in Kohlenwasserstoffe verwandelt werden. Daraus lassen sich regeneratives Methan, Schiffsdiesel, Flugzeugkerosin erzeugen. Aus regenerativ erzeugtem Strom werden klimaneutrale Energieträger. Es gäbe dann keinen Bereich der industriellen Zivilisation, den wir nicht direkt oder indirekt über erneuerbaren Strom betreiben können.

Natürlich geht das mit einem großen Wandel in der Strom­infrastruktur einher. Bisher wird Deutschland durch wenige hundert Kraftwerke versorgt. Künftig werden wir weit über zehn Millionen     Erzeugungsanlagen haben. Und weil im Norden mehr produziert und im Süden mehr verbraucht wird, sind die großen Stromtrassen erforderlich.

Für eine solche echte Energiewende brauchen wir allerdings enorme Flächen. Sollte es gelingen, bis 2050 unseren Energieverbrauch auf die Hälfte zu reduzieren, müss­ten immer noch rund zwei Prozent der gesamten Landfläche für Windenergie und rund fünf Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche für Photovoltaik genutzt werden. Das ist ein Mehrfaches gegenüber heute. Fläche ist in Deutschland also ein knapper Rohstoff, an dem die Energiewende noch scheitern könnte. Wir müssen darum als Weltgemeinschaft in ganz anderen Dimensionen denken. Wir könnten beispielsweise an den Küsten Südamerikas Windenergie nutzen, daraus Treibstoffe produzieren und diese auch nach Europa transportieren.

Gleichzeitig gilt es, viel mehr der für die Energiewende benötigten Rohstoffe zu recyceln. Bei über dreißig der wirtschaftlich wichtigen Elemente unseres Periodensystems – Seltene Erden, Lithium, Tantal, Indium – liegt die Recyclingquote bei unter einem Prozent.

In Zukunft müssen wir Energie zu hundert Prozent regenerativ bereitstellen und insbesondere metallische Rohstoffe weitgehend recyceln. Gelingt es uns in Deutschland, so eine nachhaltige Industriegesellschaft zu etablieren, kann das die Blaupause für die weltweite Energie- und Rohstoffwende sein. Mit den hier entwickelten und umgesetzten Technologien, Infrastrukturen und Dienstleistungen wird unsere exportstarke Wirtschaft die Früchte ernten.  ®