Rückkehr der Renditen.

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Zinstrend. Ausschlaggebend für die rückläufige Zinsentwicklung der vergangenen Jahrzehnte war ein oftmals kaum beachteter Einflussfaktor – die Alterung der Gesellschaft. Wenn die sogenannten Babyboomer künftig aus dem Arbeitsleben ausscheiden, könnte aus der Sparschwemme der letzten Jahre eine Sparklemme werden. Dann dürften die Zinsen tendenziell wieder steigen – mit erheblichen Auswirkungen auf die Kapitalanlage.

„Zeit ist Geld“ – hieß es schon in Benjamin Franklins Werk „Ratschläge für junge Kaufleute“. „Auch bei der Entwicklung von Zinsen spielt Zeit eine wichtige Rolle. Schließlich wollen Anleger dafür kompensiert werden, dass sie ihr Kapital anderen für eine gewisse Zeit überlassen“, erklärt Timo Schwietering, Leiter Kapitalmarktanalyse bei Metzler Private Banking.

Mit Blick auf den Anleihemarkt tauchten in den vergangenen Jahren allerdings Zweifel an dieser These auf. Denn mittlerweile werden Anleger dort kaum mehr für den vorübergehenden Konsumverzicht entschädigt. Im Gegenteil: Sie müssen oft sogar dafür bezahlen, bonitätsstarken Schuldnern ihr Geld zeitweise überlassen zu dürfen. Verantwortlich für diese Situation wird vor allem die Europäische Zentralbank (EZB) gemacht. Mit ihrer Reaktion auf die Finanz- und Staatsschuldenkrise, so die gängige These, begünstige sie Schuldner und enteigne den fleißigen Sparer. „Doch das ist nur die halbe Wahrheit“, sagt Schwietering.

Selbstverständlich lasse sich ein massiver Einfluss der Notenbanken nicht leugnen. Schließlich senkte die EZB nach der Finanzkrise den Zinssatz, zu dem sie selbst Gelder der Banken annimmt, auf minus 0,4 Prozent. Seit 2015 tritt sie zudem selbst als großer Käufer von Anleihen auf. Dadurch stieg unter anderem auch die Nachfrage nach Staatsanleihen stark. Weil sich viele Eurostaaten gezwungen sahen, ihre Haushalte zu konsolidieren, erhöhte sich das Angebot an öffentlichen Schuldtiteln gleichzeitig nur unterproportional. „Viel mehr Nachfrage und nur geringfügig mehr Angebot bedeuteten: Staatsanleihen wurden knapp, die Preise stiegen, die Renditen am Anleihemarkt fielen massiv“, so Schwietering.

Die These, Notenbanken seien der alleinige Treiber der Zinsentwicklung gewesen, lasse sich allerdings mit Blick auf die Historie nicht halten. „Denn der eigentliche Renditerückgang begann bereits viele Jahre, bevor die Notenbanken unkonventionelle geldpolitische Instrumente einsetzten.“

In den USA lag die Verzinsung von Staatsanleihen mit zehn Jahren Laufzeit seit 1983 im Hochpunkt bei 13,9 Prozent, in Deutschland bei 9,3 Prozent. Heute sind es nur noch 3,0 und 0,6 Prozent. „Der Zinsabwärtstrend ist also schon sehr lange etabliert und hat Anlegern goldene Zeiten beschert“, macht Schwietering klar. Nicht umsonst hatte der legendäre US-Investor Warren Buffett den Zins einmal als die Schwerkraft an den Kapitalmärkten bezeichnet. Denn theoretisch gilt, dass der Wert einer Aktie oder einer Immobilie der Summe aller diskontierten Zahlungen entspricht, die dem Eigentümer über dessen Lebensdauer der Anlage zufließen. Dieser Gegenwartswert stieg mit fallenden Zinsen.

„Wer heute Kapital anlegt, braucht deshalb eine Idee über den künftig zu erwartenden Zinstrend. Und muss sich im ersten Schritt mit dem Grund für den langfristigen Zinsrückgang auseinandersetzen. Wir vermuten, dass neben Notenbanken und zyklischen Konjunkturschwankungen auch strukturelle Faktoren das Zinsniveau beeinflusst haben“, analysiert Schwietering.

Um diese zu identifizieren, eigne sich ein Ländervergleich. Schließlich sind vornehmlich die Industrieländer vom Nied­rigzins betroffen. In den Schwellenländern sind die Renditen von Staatsanleihen noch immer deutlich höher als in den Industrieländern. „Natürlich spielen bei den Zinsdifferenzen zwischen den jeweiligen Regionen auch politische Unwägbarkeiten, unterschiedliche Wachstumsperspektiven oder Bonitäts-, Währungs- und Inflationsrisiken eine Rolle. Ebenso wichtig seien aber die Unterschiede in der demografischen Entwick­lung. Je höher das Durchschnittsalter einer Region, desto niedriger ist offenbar die aktuelle Verzinsung langlaufender Staatsanleihen – und umgekehrt. Statis­tisch lassen sich rund 60 Prozent der Zinsunterschiede zwischen den untersuchten Ländern allein mit der Alterskomponente erklären.“

Das ist beeindruckend. Wie lässt sich dieser Zusammenhang zwischen Zins und Demografie erläutern?

Die Rendite von Staatsanleihen,  führt Schwietering aus, ergebe sich – abseits von Risikoprämien – aus zwei Komponenten: den Inflationserwartungen und dem Realzins. Anleger stellen ihr Kapital in der Regel nur zur Verfügung, wenn sie für die künftige Inflation entschädigt werden und darüber hinaus noch einen zusätzlichen Ertrag bekommen – den Realzins. Er sorgt dafür, dass das Angebot an Kapital, also die Ersparnisse einer Volkswirtschaft, der Nachfrage nach Kapital, also den Investitionen, entspricht. Gibt es einen Überhang an Ersparnissen – ein übergroßes Kapitalangebot –, sinkt der Realzins. 

„Beide Faktoren haben zum langfristigen Renditerückgang beigetragen“, erklärt Schwietering (Grafik unten). Konkret ist sowohl in den USA als auch in der Eurozone etwa die Hälfte des Renditerückgangs der Vergangenheit auf fallende Inflationsraten zurückzuführen. Die andere Hälfte geht auf das Konto einer sinkenden Realverzinsung.

Wenn es tatsächlich einen wesentlichen Einfluss der demografischen Entwick­lung auf das Zinsgefüge gebe, überlegt der Experte weiter, müsse sich dieser in mindestens einer der beiden Komponenten niederschlagen. Deshalb hat er sich diese Faktoren genauer angesehen.

„Für den Rückgang der Realzinsen kann es eigentlich nur zwei mögliche Ursachen geben: Entweder sind die Ersparnisse im Verhältnis zu den Investitionen gestiegen. Oder die Investitionsabsichten haben im Verhältnis zu den Ersparnissen nachgelassen.“

Die Bank of England kommt im Rahmen einer Studie zu dem Ergebnis, dass ein Rückgang der weltweiten Investitionsdynamik zwar nicht von der Hand zu weisen sei. Den größeren Effekt habe aber eine globale Sparschwemme gehabt. „Diese Zunahme an Sparkapital steht in engem Zusammenhang mit dem demografischen Wandel. Schließlich hängt das Sparverhalten jedes Einzelnen erheblich von seinem Lebensalter ab“, analysiert Schwietering mit Blick auf den typischen Lebenszyklus.

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In den Kinder- und Jugendjahren ist der Mensch finanziell auf die Zuwendungen seiner Eltern oder anderer Personen angewiesen, um seine langsam wachsenden Konsumbedürfnisse zu stillen. Beim Eintritt in das Erwerbsleben steigt dann das Einkommen stark an und erreicht zumindest in den Industrieländern seinen Höhepunkt, wenn die Sparer im Alter von 45 bis 55 Jahren sind. Die Konsumbedürfnisse verändern sich jedoch gegenüber dem frühen Erwachsenenalter wenig. Weil in dieser Zeit das Einkommen deutlich über den Konsumausgaben liegt, nehmen die individuellen Ersparnisse merklich zu. Es wird vorgesorgt, um den Lebensstandard im Alter aufrechterhalten zu können.

Mit Beginn des Ruhestands versiegt das Erwerbseinkommen eines Menschen. Die Konsumausgaben nehmen im hohen Lebensalter allerdings noch einmal deutlich zu, insbesondere aufgrund eines höheren Bedarfs an medizinischer Versorgung. Nun müssen die Menschen ihre Reserven angreifen – sie „entsparen“ (siehe Grafik unten).

„Ob die Gesamtersparnisse innerhalb einer Volkswirtschaft zu- oder abnehmen, wird also in hohem Maße von der Altersstruktur der Bevölkerung bestimmt“, folgert Schwietering. Deutschland ist in dieser Hinsicht ein sehr anschauliches Beispiel. Die „bauchige“ Struktur der Bevölkerungspyramide resultiert daraus, dass die Altersgruppen zwischen 45 und 65 Jahren besonders prominent vertreten  sind.

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Da in der Vergangenheit relativ wenige Kinder und Rentner von der Erwerbsbevölkerung finanziert werden mussten, herrschten hierzulande lange Zeit optimale Bedingungen, um zu sparen.  Vergleichbares gilt für  China, wo die Altersstruktur aufgrund geburtenstarker Jahrgänge um das Jahr 1965 sowie der später einsetzenden Ein-Kind-Politik ähnlich aussieht. Weil die sozialen Absicherungssysteme dort weniger entwi­ck­elt sind als hierzulande, war der Anreiz zu sparen und Rücklagen für den Ruhestand zu bilden sogar noch ausgeprägter.

„Per saldo überschritten in den genannten Regionen die gesamtwirtschaftlichen Ersparnisse die Investitionsmöglichkeiten. Ein Teil der immensen Sparguthaben floss daher ins Ausland. Diese Sparschwemme drückte den globalen Realzins  nach unten“, erklärt der Experte.

Mittlerweile dürfte der Höhepunkt dieser Entwicklung allerdings hinter uns liegen. „Mit Blick nach vorn wird das weltweit angebotene Sparkapital abnehmen.“ Die bevölkerungsreichen Alterskohorten der Babyboomer-Generation stehen kurz vor dem Renteneintritt. Bald werden sie selbst zu wirtschaftlich abhängigen Personen. Dann werden sie damit beginnen, ihre Ersparnisse sukzessive aufzuzehren. „Um das Jahr 2015 herum gab es – von vielen unbemerkt – den Wendepunkt auf dem Weg von der ,Sparschwemme‘ zur ,Sparklemme‘“, analysiert Schwietering und folgert: „Das historisch günstige Verhältnis von wirtschaftlich abhängigen Personen zur Erwerbsbevölkerung wird sich zukünftig verschlechtern. Damit dürfte auch der Aufwärtsdruck auf den Realzins steigen.“

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Ob dann die Nominalrenditen am Rentenmarkt ebenfalls deutlicher anziehen werden, hängt auch von der Entwick­lung der Inflation ab. Die Preissteigerungsraten in den Industrieländern gehen seit Mitte der 1970er-Jahre zurück und haben wesentlich zum Rückgang des allgemeinen Renditeniveaus beigetragen. So ist die jährliche Geldentwertung in entwickelten Volkswirtschaften von 16,0 Prozent im Hochpunkt 1974 auf nunmehr 1,1 Prozent gesunken.

Dass die Preise aktuell trotz der sehr guten Lage an den Arbeitsmärkten in vielen Ländern nicht stärker steigen, gibt Ökonomen derzeit Rätsel auf. Denn bei Vollbeschäftigung sollten Angestellte theoretisch höhere Löhne durchsetzen können und damit indirekt für Inflation sorgen. „Möglicherweise werden Veränderungen der weltweiten Rahmenbedingungen in der Wirtschaft einfach unterschätzt“, überlegt Schwietering: „Globalisierung, internationale Wertschöpfungsketten und Arbeitnehmerfreizügigkeit sind hier die Stichworte.“

Spätestens seit der Öffnung Chinas, die in den 1980er-Jahren unter Deng Xiaoping eingeleitet wurde, vollzog sich ein Wechsel vom lokalen zum globalen Arbeitsmarkt. „Rein demografisch bedingt ist das Arbeitsangebot der Industrieländer auch ohne den Globalisierungseffekt von 1950 bis heute um rund 300 Millionen Personen gewachsen. Mit China als zusätzlicher Quelle an Arbeitnehmern kam es zu einem regelrechten Arbeitsangebotsschock“, informiert der Analyst. Dieser dürfte wesentlich dazu beigetragen haben, dass die Reallöhne in den Industrieländern nach 1980 nur sehr moderat gestiegen sind.

Die spannende Frage lautet nun: Kann dieser Trend anhalten? „Mittlerweile scheint der Globalisierungsprozess weit fortgeschritten. Ob da noch mehr geht, ist fraglich“, zweifelt Schwietering. „Zum einen sind fast alle Länder mittlerweile der Welthandelsorganisation beigetreten. Zum anderen schwenkt die politische Rhetorik in wichtigen Regionen, beispielsweise den USA, wieder deutlich in Richtung Protektionismus. Fakt ist aber: Das Angebot an Arbeitskräften in den entwickelten Volkswirtschaften wird perspektivisch schrumpfen. Denn der demografische Wandel sorgt sowohl in der westlichen Welt als auch in China für einen natürlichen Rückgang der Erwerbsbevölkerung. In der Folge sollten Unternehmen künftig bereit sein, wieder höhere Gehälter zu zahlen. Die Bevölkerungsentwicklung dürfte also über ein knapperes Arbeitskräfteangebot und steigende Löhne auch zu höheren Preisen führen.“ Die Konsequenz: Künftig verlieren zwei strukturelle Faktoren an Kraft, die den Zins lange gedrückt hatten. Das „Entsparen“ der Babyboomer dürfte zu einem Realzinsanstieg führen, höhere Löhne die Inflationsraten nach oben schieben. „Wie stark der Zinsanstieg dann insgesamt ausfallen wird, ist allerdings schwer abzuschätzen. Denn in einer alternden Gesellschaft sinkt auch die Dynamik des Wirtschaftswachstums und damit die Nachfrage nach Sparkapital. Zusätzlich wirken auch die global hohe Verschuldung und der Siegeszug der Digitalisierung zinsdämpfend“, verdeutlicht Schwietering.

Im Weltbild des Metzler Private Banking wird der Zinsanstieg deshalb zwar nicht dramatisch verlaufen. Die wichtige Botschaft für Anleger bleibt aber bestehen: „Der jahrzehntelange Rückgang der Nominalrenditen am Anleihemarkt ist Geschichte. Von nun an dürfte der langfristige Zinstrend eher aufwärts gerichtet sein“, ist Timo Schwietering überzeugt. „Für Anleger ist das eine Zeitenwende. Die Erfolgsrezepte der Vergangenheit funktionieren nicht mehr.“ Konnten Anleiheinvestoren in den vergangenen Jahrzehnten zu den Kupons zusätzlich noch stetige Kursgewinne vereinnahmen, so zeichnen sich hier zukünftig Verluste ab. „Der jahrzehntealte Bullenmarkt bei Anleihen liegt im Sterben“, so Schwietering. „Tatsächlich ist dieser Prozess bereits in vollem Gange. Noch hat er zwar weniger mit der Demografie als mit dem allmählichen Exit der großen Notenbanken zu tun. Die Zeit der Kursgewinne am Anleihemarkt ist jedoch auf jeden Fall vorbei.“

Auch am Aktienmarkt werde das Umfeld dadurch herausfordernder. „Aber hier wird sich auch in Zukunft noch Geld verdienen lassen. Der Schlüssel zum Anlageerfolg liegt dann aber nicht in Indexinvestments, sondern vor allem in der Einzeltitelselektion – dem ,Stock- Picking‘,“ ist Timo Schwietering überzeugt: „Denn die sich ändernden Rahmenbedingungen werden dazu führen, dass die Gewinner von gestern nicht die Gewinner von morgen sind.“   ®

Sonderveröffentlichung:

B. Metzler seel. Sohn & Co.

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60329 Frankfurt am Main