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  • Dr. Florian Mercker

Wenn allein die Qualität zählt.

(Geschätzte Lesezeit: 5 - 9 Minuten)

Kunst. Warhol, Picasso, Rothko, Monet – die Werke der Bluechips des internationalen Kunsthandels erzielen bei Auktionen Höchstpreise, die für viele Sammler nicht mehr bezahlbar sind. Sie machen sich nun auf die Suche nach Entdeckungen jenseits der schlagzeilenträchtigen Top 100. Alexander Kunkel liefert das Rüstzeug für eine Reise abseits der ausgetretenen Pfade.

Als Johann Charles Palmié Monets Ölgemälde zum ersten Mal sieht, ist der Künstler aus München fasziniert. Welch eine Technik, welch eine künstlerische Qualität. Er fährt nach Giverny, übernimmt, adaptiert, interpretiert neu. Sechs Jahre später, 1911, stirbt Palmié. Monet wird zur französischen Kunstikone. Palmié gerät in Vergessenheit. „Palmiés Kirche von Torbole ist ohne Monets Serienbilder der Kathedrale von Rouen nicht denkbar, behauptet dessen ungeachtet aber eine ganz eigenständige Position in der deutschen Malerei um 1900“, meint Alexander Kunkel, Inhaber von Kunkel Fine Art.

Nur die Preise sind natürlich völlig unterschiedlich. Während für einen Monet zweistellige Millionenbeträge aufgerufen werden, liegt Palmiés Kirche derzeit bei etwa 30000 Euro: „Und das auch nur, weil mittlerweile schon ein paar Sammler den Münchner Künstler wiederentdeckt haben.“

Alexander Kunkel ist eine Art Shooting-Star des Kunsthandels, wenn es um das Thema Entdeckungen geht. „Derzeit sammelt die große Masse doch vor allem zeitgenössische Kunst. Alle folgen denselben Namen“, informiert er: „Gerade in Zeiten, in denen aberwitzige Summen in die zeitgenössische Kunst fließen, ist es aber interessant, den Blick auch auf das Schaffen weitgehend unbekannter Künstler zu richten. Der Kunstbetrieb hat sie noch nicht vereinnahmt, ihre Werke finden sich oft nur in kleinen, zweitklassigen Auktionshäusern. „Neues zu entde­cken, echte Qualität zu erkennen, das ist die Leistung eines Sammlers“, meint Kunkel, „sonst ist der Käufer nur Investor.“

Viele Werke von Bluechip-Künstlern seien mittlerweile eben zur reinen Ware geworden. Sie dienen – völlig legitim, meint Kunkel – allein einer kaufmännischen Perspektive, bei der in der Kunstszene weitgehend Einigkeit über Preis und Wert bestehe. „Da fehlt mir die Spannung, das Ungewisse der künstlerischen Entdeckung“, winkt der Händler ab: „Oft steht dabei sogar der Name des Künstlers über der Qualität der Werke. ,Les femmes d’Algérie‘ ist sicherlich kein Bild, das die Kunstgeschichte revolutioniert hat. Aber es ist eben ein Picasso. Und fast allein deshalb wurden 179 Millionen Dollar dafür bezahlt.“

Bei den Künstlern „ohne Namen“ zähle dagegen einzig die Qualität. „Sie kennen den Künstler vielleicht gar nicht, aber sie sehen sofort: Das Bild kann etwas. Es liefert einen neuen Blick auf eine Kunstepoche, verdichtet eine Idee oder fasst diese zusammen oder interpretiert sie neu“, erklärt der Experte: „Hier geht es um das Auffinden von Werken, die später den Eingang in den Kanon der Kunstgeschichte finden könnten und dadurch auch erst eine preisliche Steigerung ermöglichen.“

Dabei sei oft eine Art Seelenverwandtschaft zu den großen Namen der Kunstszene zu erkennen. „So wie Palmié zu Monet steht, so steht Meyerheim zu Menzel, Greiner zu Klinger oder Arnold zu Grosz – viele potenzielle Entdeckungen segeln quasi im Windschatten anerkannter Meister.“

Künstler aus der zweiten Reihe zu finden und einen Markt für sie zu bereiten, ist die Leidenschaft des Alexander Kunkel. In der Vergangenheit ist ihm dies schon einige Male gelungen. „Eines meiner liebsten Beispiele ist Heinrich Kley (1863–1945). Vor dem Ersten Weltkrieg war er ein prominenter Mitarbeiter der beiden Münchner illustrierten Zeitschriften ,Jugend‘ und ,Simplicissimus‘, die seine Tier-Mensch-Grotesken bekannt machten.“

In den 1920er-Jahren wurde es dann jedoch hierzulande still um den Künstler. „In den 1930er-Jahren war allerdings Walt Disney auf Kleys virtuose Federzeichnungen aufmerksam geworden und nutzte sie als Inspirationsquelle für einige seiner erfolgreichsten Zeichentrickfilme, etwa ,Fantasia‘, ,Dumbo‘ oder ,Das Dschungelbuch‘“, erzählt Kunkel. Ironie der Geschichte: Während Kley in Deutschland fast völlig in Vergessenheit geriet, war er deshalb in den USA auch außerhalb von Kunstkreisen recht bekannt.

„Als ich Mitte der 1990er-Jahre als Schüler meine erste Federzeichnung von ihm für ein paar 100 Mark auf einer Auktion erwarb, war meine Leidenschaft geweckt und ich begab mich auf Spurensuche. Jahre später hatte ich sein Leben und Werk als Dissertation aufgearbeitet und konnte es als Kurator einer Retrospektivausstellung (Museum Villa Stuck, München, und Wilhelm-Busch-Museum, Hannover, 2011) einer größeren Öffentlichkeit zugänglich machen. Seit Gründung meines Kunsthandels 2012 führe ich stets Werke von Kley im Programm. Wie vor 100 Jahren erfreuen sie sich wieder großer Beliebtheit und liegen nun im vier- bis fünfstelligen Eurobereich.“    

Können private Sammler derartige Entdeckungen auch machen? „Natürlich“, meint Kunkel, „es ist zwar zunächst sehr anstrengend – aber es ist eine sehr befriedigende Arbeit.“

Der Schlüssel zum Erfolg sei natürlich zunächst echte Kennerschaft. „Nur wer fortlaufend sein Auge am Original schult, sein Wissen vergrößert, kann solche Werke finden.“ Dabei sei eine Spezialisierung unumgänglich. „Sie müssen sich beispielsweise auf eine bestimmte Epoche oder Stilrichtung festlegen, vielleicht auch auf Landschafts- oder Porträtmalerei. Oder auf das Schaffen bestimmter Künstlergruppen.“ Dies funktioniert offenbar wie in der Wirtschaft: „Wenn Sie versuchen, sich überall gut auszukennen, werden Sie nie in die Tiefe vordringen. Echte Expertise lässt sich nur in bestimmten Sektoren erlangen. In der Kunst ist das nicht anders.“ Gerade Händler, die derzeit nicht mit zeitgenössischer Kunst handeln, aber auch ebensolche Sammler gleichen so einen Mangel an Kapital mit Wissensvorsprung und einem geschulten Blick aus.

Ist das Feld der Kennerschaft klar umrissen – zeitlich, stilistisch, vielleicht sogar lokal eingegrenzt – beginnt die Suche nach dem visuell überspringenden Funken eines Werks. „Diese Entdeckungen können Sie im Museum machen, bei Auktionen oder bei privaten Sammlern. Der unbekannte Name eines Künstlers ist für mich dann eine echte Herausforderung. Welche Qualitätsmerkmale verursachen diesen Funken? Welche vergleichbaren Werke hat der Künstler sonst noch geschaffen? Wo ist der kunstgeschichtliche Bezug?“

Die Bewertung von Künstlern und ihres Oeuvres, so Kunkel, würde sich durch und mit der Um- und Nachwelt entwickeln, sich verändern. Ein Beispiel: der um 1900 an der Berliner Akademie ausgebildete Sigmund Lipinsky (1873-1940) kam dank eines Stipendiums nach Rom, wo er bis zu seinem Lebensende blieb. Innerhalb von dreieinhalb Jahrzehnten schuf er ein umfassendes druckgrafisches Werk, das sowohl in Deutschland als auch Italien Verbreitung fand. Die meist der antiken Mythologie entnommenen Themen sind von zeitloser Gültigkeit, ihre Umsetzung fasziniert bis heute durch klassische Schönheit. Darüber hinaus war Lipinsky ein brillanter Zeichner, was jedoch kaum jemand wusste, da dieser Teil seines Schaffens nie auf den Kunstmarkt gelangte. Erst vor Kurzem haben sich die Nachkommen des Künstlers dazu entschlossen, auch Teile seines zeichnerischen Oeuvres zu veräußern. 2016 hat die Hamburger Kunsthalle einen größeren Werkblock erworben und bereitet für 2018 eine Lipinsky-Ausstellung vor. Das Schaffen des Künstlers wird nun neu aufgearbeitet und einer größeren Öffentlichkeit bekannt werden. Der Markt reagiert bereits jetzt äußert positiv auf diese Entwicklung.

„Wer in der Lage ist, diese Bilder zu lesen, kann Entdeckungen machen – vielleicht etwas früher als alle anderen“, ist Kunkel überzeugt. Verbunden mit einer soliden Recherche verdichtet sich so die Genese des Umfelds von Werk und Künstler. Sie bilden im Zusammenspiel mit anderen die Anhaltspunkten, die Bewertungskriterien für die Qualität des Werks.

„Wissen Sie, oft hänge ich auf der Messe zwei Werke unterschiedlicher Künstler unmittelbar nebeneinander, zwischen denen ein großes Preisgefälle liegt. Allerdings müssen sich die Werke qualitativ ebenbürtig sein, damit der Kunde merkt: der Preisunterschied resultiert allein aus dem Bekanntheitsgrad der Künstler, nicht aus ihrer schöpferischen Potenz “, erzählt Kunkel: „Das ist für mich als Händler entscheidend, weil ich so meine Arbeit den Sammlern begreifbar machen kann.“

Aussichtsreiche Werke zu finden, ist aber nur der erste Schritt. Damit sich ein Markt für diesen Künstler etabliert, der auch signifikante Preisspielräume erschließt, müssen noch weitere Aspekte hinzukommen.

„Entscheidend ist, dass genügend qualitativ hoch stehende Werke verfügbar sind. Ein Händler oder Sammler muss Zugriff auf wenigstens 20 oder 25 Werke haben.“ Einige interessante Künstler seien so überhaupt nicht sammelbar, da es nur noch drei oder vier Werke gebe. „Damit bildet sich kein Markt.“ Zweitens müsse die objektive Qualität eines Werks von mehreren unabhängigen Experten bestätigt werden. „Es reicht nicht aus, wenn Sie der einsame Rufer in der Wüste und allein von der Qualität eines Werks überzeugt sind.“ Das Wissen um die Qualität muss weitervermittelt werden. „Es geht darum, die Sichtweise auf das Bild mit den entscheidenden Personen zu teilen. Andere Händler müssen aufspringen und sich hierfür einsetzen, Museen stellen Zusammenhänge her, setzen das Werk in Gruppenausstellungen ein, Doktorarbeiten werden über den Künstler geschrieben und schließlich richten auch andere Sammler ihren Blick darauf.“ Ist die Zuschreibung zum Kanon des Beständigen erfolgt – so nennt Kunkel den Ritterschlag durch eine Vielzahl unabhängiger Experten  –, „dann haben Sie eine Entdeckung gemacht“.

Irgendwann komme dann der Punkt, an dem durch das Zusammenspiel von Kunstgeschichte, Museum, Händler und Sammler ein ganz neuer Markt entstehe. Auktionsergebnisse unterstreichen nun, dass für bestimmte Bilder des Künstlers höhere Preise bezahlt werden. Das strahle wieder ab auf Bilder gleicher Qualität desselben Künstlers. „Oft haben dann mehrere Sammler und Händler vor einer Auktion denselben Gedanken. Es kommt zu einem Bietergefecht und ein neuer Preis für den besagten Künstler etabliert sich. Diese fundamentale Neubewertung auf dem Kunstmarkt kann sich innerhalb von Wochen einstellen – oder nur Tage, ja Minuten brauchen.“

Erreicht diese preisliche Entwicklung die Öffentlichkeit, steigt auch das Interesse derer, die über weitere Werke desselben Künstlers verfügen. Nun tauchen die wichtigen Werke aus der Versenkung auf und werden dem Markt zur Verfügung gestellt. „Ein neuer Trend lässt sich schließlich nur am Leben erhalten, wenn eine ausreichende Anzahl geeigneter Werke dauerhaft den Markt erreichen“, erklärt Kunkel.

Sein Teil der Arbeit – die Schaffung eines Primärmarkts – sei dann getan. „Ich habe Erfolg gehabt, wenn der Sekundärmarkt mich überholt, wenn andere Händler den Künstler in seiner preislichen Bewertung so nach oben ziehen, dass ich diesen vielleicht selbst nicht oder kaum noch erwerben könnte.“

Für Alexander Kunkel beginnt dann ein neues Spiel. „Die Verkäufe, die ich aus meinen alten Beständen zu den dann neuen Marktwerten tätigen kann, ermöglichen es mir, ausreichend Kapital vorzuhalten, um neue Entdeckungen zu machen und eine kritische Masse von Werken dieser Künstler zu erwerben. Das ist dann mein Speicher. Niemand kann wissen, wann der Künstler dann wirklich in den Blick der Öffentlichkeit rückt. Wann ihn das vielleicht in den Kanon des Beständigen bringt. Für diesen Tag muss ich gerüstet sein.“  

Autor: Dr. Florian Mercker

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