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  • Gerd Hübner

Eine Frage des Gewissens.

(Geschätzte Lesezeit: 4 - 7 Minuten)

Investment-Philosophie. Die umstrittene Reaktion der türkischen Regierung auf den gescheiterten Putschversuch stellt Anleger vor ein klassisches Dilemma. Sollen sie die Chancen nutzen, die sich aus politisch verursachten Kursrückgängen ergeben? Oder sind Investments in Ländern, deren Politik fragwürdig agiert, ganz zu meiden?

„Kaufen, wenn die Kanonen donnern – verkaufen, wenn die Violinen spielen“, lautet der Ratschlag, der dem Bankier Carl Mayer von Rothschild zugeschrieben wird. In der Türkei hätte sich diese Strategie – zumindest kurzfristig – wieder einmal bewährt. Direkt nach dem Putschversuch hatten der Aktienmarkt etwa 13 Prozent und die Währung rund sechs Prozent an Wert verloren. Die Rendite zehnjähriger türkischer Staatsanleihen war um fast 200 Basispunkte in die Höhe geschnellt. Einen Monat später waren die Verluste jedoch schon wieder zur Hälfte aufgeholt. Jetzt sortieren sich die Investoren neu. 

„Zweifellos haben sich die wirtschaftlichen Aussichten für die Türkei verschlechtert“, meint Volker Kleff, Volkswirt der Feri Trust GmbH. „Die konkreten Auswirkungen genau zu quantifizieren ist zwar schwierig, wir rechnen aber nach ersten Schätzungen in diesem Jahr noch mit einem Wirtschaftswachstum von etwa 2,7 Prozent. 2017 dürften es nur 0,3 Prozent werden.“ Zuvor lagen die Prognosen bei 3,1 und 2,0 Prozent.

Dass das Land wirtschaftlich Probleme bekommen dürfte, ist alles andere als überraschend. Immerhin trägt allein der Tourismussektor laut dem türkischen Amt für Statistik mit einem jährlichen Umsatz von umgerechnet 31,5 Milliarden Dollar rund 4,4 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei. Dieser hatte schon vor dem Putschversuch unter der Serie von Terroranschlägen und den Reisebeschränkungen für russische Touristen gelitten. Zum Beispiel lag die Zahl der Besucher im Juni rund 40 Prozent unter dem entsprechenden Vorjahresmonat. „Angesichts der aktuellen politischen Unsicherheiten dürfte sich dies noch verschärfen“, macht Kleff klar. Zudem könnten Unternehmer nun Investitionen aufschieben oder sogar ganz streichen „Das wird das Wirtschaftswachstum zusätzlich belasten.“

Während die Akteure am türkischen Aktienmarkt deshalb weiter vorsichtig sind, wittern Investoren am Anleihemarkt eher Chancen. Immerhin bieten türkische Staatsanleihen noch immer 9,4 Prozent Rendite. Im Vergleich zu Staatstiteln aus Russland oder Brasilien, deren Renditen bei schlechterer Bonität nur etwas höher ausfallen, scheint das attraktiv. Denn viele Wirtschaftsdaten sehen in der Türkei besser aus als in anderen „aufstrebenden“ Nationen.

„Die Staatsschulden liegen nur bei 35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, das Bankensystem ist gesund und das Budgetdefizit mit 2,4 Prozent niedrig“, erklärt Steve Drew aus dem Emerging-Market-Team von Henderson Global Investors. Schwächt sich das Wirtschaftswachstum am Bosporus wie erwartet ab, dürfte die türkische Notenbank zudem mit Zinssenkungen reagieren. Dann kämen zu den hohen Kupons vielleicht sogar noch Kursgewinne hinzu.

Eigentlich keine schlechte Ausgangssituation für Bondanleger. Investoren, die ihr Kapital bewusst und nachhaltig arbeiten lassen möchten, stellt sich allerdings eine ganz andere Frage: Soll die Politik der Türkei tatsächlich durch den Kauf von Staatsanleihen unterstützt werden? Die Antwort darauf ist das Metier der Nachhaltigkeitsexperten. Sie analysieren neben Umweltthemen auch die sozialen Bedingungen in einem Land. Dazu gehören Fragen nach der Todesstrafe, der Höhe des Lebens- und Bildungsstandards oder der Gesundheitsversorgung. Zusätzlich werden sogenannte Governance-Kriterien untersucht – Faktoren wie das Maß an Korruption, die Flüchtlingspolitik eines Landes, die Militärausgaben oder die Einhaltung vom Bürgerrechten.

„Die Idee ist“, erläutert Simone Schärer, Nachhaltigkeitsanalystin von Swisscanto Invest, „dass wir so grundlegende Risiken für Investoren frühzeitig erkennen und dann unter dem Strich langfristig eine bessere Rendite erzielen können.“ Wer nachhaltig agiert, wirtschaftet besser, wird mit höherer Wahrscheinlichkeit seine Schulden zurückzahlen, weist eine stabilere Währung auf und verdient auch eine höhere Bewertung am Markt. Die Analysten der Swisscanto Invest untersuchen deshalb laufend 52 Länder und erstellen daraus ein Ranking. Für die streng nachhaltigen Produkte und Mandate der Schweizer Bank qualifizieren sich grundsätzlich nur diejenigen Länder, die zum besten Drittel gehören. „Natürlich ergänzen das unsere Portfoliomanager dann durch eine gründliche Betrachtung aller relevanten fundamental-ökonomischen Kennzahlen, um aus diesem Drittel die aussichtsreichsten Länder herauszufiltern.“

„Für uns“, macht Simone Schärer klar, „war die Türkei aus Nachhaltigkeitssicht noch nie investierbar.“ Schon vor dem Putschversuch lag das Land im Ranking der Swisscanto nur auf Rang 36, wobei insbesondere das Rating im Bereich Soziales negativ hervorsticht. Dort liegt der Staat nur an fünftletzter Stelle. Zu einer ähnlichen Einschätzung kommen auch die Nachhaltigkeitsanalysten der österreichischen Erste Asset Management. „Allein aufgrund des Mangels an Presse- und Meinungsfreiheit ist die Türkei schon vor einiger Zeit aus unserem Universum der nachhaltigen Länder herausgefallen“, erklärt Nachhaltigkeitsanalyst Dominik Benedikt. „Damit kommen türkische Staatsanleihen für unsere nachhaltigen Produkte nicht mehr in Betracht.“

Diese Einschätzung dürfte sich auch nicht so schnell ändern. Schließlich wurden seit dem gescheiterten Putschversuch laut Amnesty International mehr als 10000 Menschen inhaftiert, 45000 Menschen suspendiert oder entlassen, etliche Medienhäuser und Nachrichtenwebsites geschlossen. Dazu kommt die Diskussion um die Einführung der Todesstrafe. Schärer geht deshalb derzeit davon aus, „dass sich das Rating der Türkei in den Bereichen Bürgerrechte, Wahlverhalten oder Korruption eher noch verschlechtern dürfte.“

Solche Betrachtungen sind längst nicht mehr nur für Anlageprodukte aus dem Nachhaltigkeitsbereich wichtig. „Natürlich interessiert es auch den Manager eines traditionellen Fonds, ob sich ein Land im Korruptionsindex verschlechtert oder nicht und worin die Gründe dafür liegen“, macht Benedikt klar. Der Fall Türkei illustriert aber auch, wie schwierig es ist, konsequent nachhaltig anzulegen. „Wenn Sie sehr strenge Kriterien ansetzen und zum Beispiel alle Länder ausschließen, in denen es die Todesstrafe gibt, dann fallen 80 bis 90 Prozent der Emerging Markets, aber auch Industrieländer wie die USA oder Japan aus dem investierbaren Universum heraus“, informiert Benedikt.

Besonders pikant ist die aktuelle Situation in der Türkei, weil – anders als vielleicht in den USA oder Japan – Investoren dort wirklich etwas bewegen könnten. Ein großer Schwachpunkt der türkischen Wirtschaft ist schließlich das hohe Leistungsbilanzdefizit, das mittlerweile ein Niveau von drei bis vier Prozent des Sozialprodukts erreicht hat. „Da die Türkei dieses Defizit größtenteils mit kurzfristigen Kapitalflüssen, also durch Portfolioinvestitionen sowie durch kurzfristige Auslandsverschuldung, finanziert, ist sie sehr anfällig für Vertrauensverluste seitens ausländischer Investoren“, erklärt Christoph Witte vom Warenversicherer Credimundi.

Würden sich internationale Investoren nun abwenden, bekäme die Türkei wohl ein Finanzierungsproblem. Die Zinsen würden weiter steigen, das Land müsste für die Refinanzierung oder Neuaufnahme von Schulden mehr bezahlen, die Währung würde sich weiter abschwächen. Und das könnte letztlich dazu beitragen, ein Umdenken der Politik zu befördern. „Zunächst“, überlegt Witte, „hat sich das Länderrisiko in der Türkei jedenfalls definitiv erhöht.“

Diese Einschätzung teilt offenbar auch die Ratingagentur Standard & Poor’s. Sie hat die Bonität türkischer Staatsanleihen Anfang August, nachdem die Türkei dort bereits vor Längerem ihren Investment-Grade-Status verloren hatte, noch weiter gesenkt. Bei der Ratingagentur Moody’s rangiert das Land zwar noch im Investment-Grade-Bereich. Doch auch diese hat bereits angekündigt, die Kreditwürdigkeit überprüfen zu wollen.

„Die weitere Entwicklung ist höchst unsicher und vor allem auf der Währungsseite, aber ebenfalls bei den Kursen von Staats- und Unternehmensanleihen, sind weitere Verluste nicht auszuschließen“, folgert Feri-Volkswirt Volker Kleff. Auch ein wichtiger Investor wie Aristoteles Damianidis, Fondsmanager des UBS Bond Emerging Europe, zögert noch. „Für mich ist entscheidend, welche Prämie ich für die Übernahme des höheren Risikos bekomme. Wir warten derzeit vor allem ab, bis wir wissen, ob die Türkei ihren Status als Investment-Grade-Land behalten wird“, erläutert der Experte. Sollte das Land tatsächlich seinen Investment-Grade-Status verlieren und die Kurse daraufhin fallen, will er nachkaufen.

In diesem Fall halten Experten einen Anstieg der Renditen auf etwa elf Prozent durchaus für möglich. Auf diesem Niveau lagen sie jedenfalls bei früheren Krisen in den Emerging Markets. Für vermögende Investoren würde sich in diesem Moment wohl die Brecht’sche Frage ernsthaft stellen: Was kommt zuerst: das Fressen oder die Moral? ® 

Autor: Gerd Hübner

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