• Gerd Hübner, Klaus Meitinger

Mehr Regeln, mehr Steuern, mehr Staat.

(Geschätzte Lesezeit: 3 - 5 Minuten)

Lerbach RegelnPolitische Chancen und Risiken. Der Staat greift immer stärker in die Gesellschaft und die Wirtschaft ein. Ein Trend, der sich nach Ansicht der Lerbacher Runde fortsetzen wird. Für Kapitalanleger werden die Karten damit neu gemischt.

„Gefühlt sehen wir nach jeder Krise stärkere Eingriffe des Staats in die private Wirtschaft“, stellt Fabian Strube, Robeco, fest. „Die massiven Ausgabenprogramme nach der Pandemie, die Diskussion um den Stabilitätspakt in Europa, Steuererhöhungen oder die Eingriffe des Regulators in China sind nur einige wenige Beispiele dafür.“

Doch es gibt auch harte Fakten, die diese Empfindung stützen. So kletterte die Staatsquote, die Relation zwischen Staatsausgaben und Bruttoinlandsprodukt (BIP), in Deutschland im vergangenen Jahr erstmals über 50 Prozent.

„Zunächst ist allerdings festzustellen, dass es in der Corona-Krise unverantwortlich gewesen wäre, nichts zu tun“, meint Philipp Dobbert, Quirin Privatbank, „die Eingriffe des Staats und die derzeitigen Ausgabenprogramme waren notwendig.“ Das beurteilt Jan Viebig, ODDO BHF, ebenso. „Es war wichtig und richtig, dass einerseits die Geldpolitik aktiv wurde, andererseits aber auch die Politik nachfragewirksam eingriff und eingreift.“

Das Problem, so die Lerbacher Runde, sei nicht der Notfall. „Sondern der grundlegende gesellschaftspolitische Trend. Ich gehe davon aus, dass der Staat in Zukunft noch stärker in den Markt eingreifen wird“, meint Viebig. „Mich irritiert, dass sich die grundlegende Fragestellung geändert hat“, skizziert Christian Jasperneite, M.M.Warburg & CO: „Lange Zeit ging es darum, zu erkennen, wo der Markt ausnahmsweise nicht funktioniert und der Staat deshalb eingreifen sollte. Heute dis­kutieren wir fast nur noch darüber, was der Staat noch leisten soll und welche Probleme der Markt grundsätzlich mit sich bringt.“ Carsten Mumm, Donner & Reuschel, identifiziert gar einen Wertewandel und daraus folgend einen politischen Re­gimewechsel. „Vor rund 40 Jahren bewegten wir uns in Richtung einer angebotsorientierten Fiskalpolitik mit mehr Liberalisierung sowie weniger Steuern und Regulierung. Heute haben wir es genau mit dem Gegenteil zu tun.“

Ein Kernproblem stelle dabei die zunehmende Ungleichheit bei der Vermögensverteilung dar. „Mit der angebotsorientierten Politik der vergangenen Jahrzehnte haben wir den Kuchen sehr groß gemacht, doch er wurde schlecht verteilt“, erläutert Mumm. „Die Reaktion darauf sehen wir nun ganz klar in China, wo die Regierung mit ihrem Common-Prosperity-Programm Wohlstand für alle schaffen will.“ Sozialen Zielen wird in China nun Vorrang auf Kosten privater Unternehmen eingeräumt. Deshalb griff Peking massiv in die Geschäftsmodelle von Online-Bildungsplattformen oder der großen Technologiekonzerne ein.

Nicht in jedem Fall, so die Runde, sei „mehr Staat“ allerdings schlecht. „Es wäre ja auch denkbar, dass der Staat das derzeit niedrige Zinsniveau nutzt, um Schulden aufzunehmen und damit in das Produktionspotenzial der Zukunft zu investieren“, so Dobbert, „damit könnte er langfristig die Basis für künftiges Wachstum schaffen.“ „Würde sehr viel Geld in wichtige Bereichen fließen – Infrastruktur, Digitalisierung oder alles, was mit der Energiewende zu tun hat –, könnte daraus tatsächlich eine Aufwärtsspirale entstehen“, meint Mumm.

Dem stehen jedoch Risiken gegenüber. Kritisch sieht Viebig beispielsweise die Eingriffe in Teilmärkte. „Am Immobilienmarkt lässt sich das gut nachvollziehen. Durch eine Mietpreisbremse könnten die Mieten zwar eher fallen, aber zugleich dürfte das Wohnungsangebot zurückgehen.“ „Und damit ist ja das Problem der Wohnraumknappheit nicht behoben“, folgert Dobbert. „Außerdem ist es heroisch anzunehmen, dass der Staat der bessere Investor ist und stets effizient investiert“, so Dobbert weiter. 

„Vor allem aber sollten wir nicht vergessen, dass alle staatlichen Maßnahmen auch finanziert werden müssen“, macht Jasperneite weiter klar. Alle Experten rechnen deshalb zukünftig mit steigenden Staatsschulden. „In der Eurozone sehen wir die Aufweichung des Stabilitätspakts. Wir bewegen uns nun ganz klar in Richtung Transferunion“, erklärt Jasperneite weiter. „Und ähnlich wie bei den Anleihekäufen der Notenbanken wurde auch hier die Büchse der Pandora geöffnet. Das ist eigentlich nicht mehr aufzuhalten“, folgert Mumm.

Kurzfristig muss daraus allerdings kein Problem entstehen. „Solange die Notenbanken dies über eine expansive Geldpolitik alimentieren, kann das über viele Jahre so weitergehen“, meint Jasperneite. „Ich kann mir zum Beispiel vorstellen, dass einige Länder – mein Favorit sind die USA – dann auch langfristig wieder aus der hohen Verschuldung herauswachsen“, ergänzt Dobbert, „in Europa dürfte das allerdings angesichts des geringeren Potenzialwachstums schwieriger werden.“

// Was bedeutet mehr Staat für Anleger?

„Es kommt immer darauf an“, wägt Viebig ab: „Wird zum Beispiel das Infrastrukturprogramm der Biden-Regierung über Steuererhöhungen finanziert, würden die Gewinne je Aktie im S&P 500 um acht bis neun Prozent niedriger ausfallen.“ „Gleichzeitig sind Staatsausgaben natürlich auch Nachfrage. Irgendjemand wird also viel mehr Umsatz und Gewinn machen“, ergänzt Mumm, „Vor allem im Zusammenhang mit dem Kampf gegen den Klimawandel wird es dann gewaltige Gewinner und große Verlierer geben.“ Weil die Schere bei den Unternehmen weiter auseinandergehen dürfte als je zuvor, sieht die Lerbacher Runde den Beginn eines neuen Zeitalters der Differenzierung. „Aktives Management und akribische Analyse statt ETFs lautet dann die Devise“, meint Jasperneite.

Komplizierter werde es bei der Regulatorik. „Grundsätzlich gilt natürlich: Faire Märkte sind für Investitionen attraktiver als Märkte, die staatlichen Eingriffen ausgesetzt sind. Deshalb schlägt sich das regulatorische Risiko in einer niedrigeren Bewertung nieder“, erläutert der Experte weiter.

Das Beispiel China zeige, wie die Sache mit dem regulatorischen Discount funktioniert. „In den vergangenen Monaten ist extrem viel Geld aus China abgeflossen“, informiert Viebig. Die Folge: Chinas Aktienmarkt schnitt seit Jahresbeginn rund 30 Prozent schlechter ab als der Rest der Welt. „Und China ist auch derzeit nur selektiv investierbar“, so Viebig weiter, „in Online-Bildungsplattformen, die Videospielindustrie oder den Immobiliensektor würde ich auch jetzt noch nicht anlegen.“

„Weil es keinen echten Anhaltspunkt dafür gibt, wo der faire Discount für diese regulatorischen Eingriffe liegt, wäre ich bei allem vorsichtig, wo dies eine Rolle spielen könnte“, überlegt Christian Jasperneite. „Und dabei geht es nicht nur um China. Wir haben dieses Thema auch beim CO2-Fußabdruck, also der Frage, inwieweit ein Unternehmen mit den Klimazielen des Staats konform geht. Oder bei den US-Technologiekonzernen, wo es ebenfalls Überlegungen gibt, deren Macht zu begrenzen. Diese Fragen werden uns noch sehr lange begleiten“, schließt Carsten Mumm.

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