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  • Gerd Hübner, Klaus Meitinger

Gefährlicher Balanceakt.

(Geschätzte Lesezeit: 4 - 7 Minuten)

Lerbach_Balanceakt.pngInflation. Die Preise steigen so schnell wie seit 30 Jahren nicht mehr. Ist dies wirklich nur eine vorübergehende Erscheinung? Oder ist der Geist der Inflation nun aus der Flasche? Und vor allem: Wie werden die Notenbanken reagieren? Die Lerbacher Runde analysiert.

Soll die Lerbacher Runde die Frage definieren, die über den Anlagetrend 2022 entscheidet, fällt die Antwort eindeutig aus: Ist der Anstieg der Inflationsrate wirklich nur vorübergehend oder steigen die Preise weiter und es kommt zu einer echten Zinswende? „Die aktuellen Bewertungen an den Aktien- und Immobilienmärkten hängen ja allein an einer Größe – den niedrigen Zinsen“, erklärt Lutz Welge, Bank Julius Bär.

„Zunächst einmal sollten wir die aktuellen Zahlen nicht überbewerten“, ordnet Thomas Neukirch, HQ Trust, ein, „vor zwölf Monaten sind die Preise pandemiebedingt sehr niedrig gewesen. Nun haben sie sich wieder erholt. Und das führt eben zu hohen Veränderungsraten im Jahresvergleich. Wenn wir die letzten 24 Monate betrachten würden, läge die Inflation im Schnitt nur bei rund zwei Prozent.“

Um das Thema in den Griff zu bekommen, raten die Experten, die kurz- und mittelfristigen Perspektiven zu trennen. „Mit Blick auf die nächsten sechs Monate ist das Bild ziemlich klar: Die Inflationsraten dürften im Dezember ihren Höhepunkt erreichen und dann wieder zurückgehen“, analysiert Welge. „Aktuell sehen wir ja viele Sondereffekte. In Deutschland sind das zum Beispiel die Mehrwertsteuererhöhung, die CO2-Steuer und höhere Abgaben. Weltweit gehören die Anspannungen durch die Lieferkettenproblematik und ein zu geringes Angebot in vielen Bereichen nach den Corona-Einschränkungen dazu“, zählt Thomas Neukirch auf und folgert: „Das könnte sich in den nächsten sechs bis zwölf Monaten wieder geben, sofern nicht zu viele zusätzliche Effekte wirksam werden – wie beispielsweise längerfristig anziehende Energiepreise.“

Danach allerdings werde es spannend. „Entscheidend ist ja, wann eine kurzfristige Inflation in eine langfristige übergeht. Das hat eine Menge mit Erwartungsbildung zu tun und mit den Verträgen, die auf Basis dieser Erwartungsbildung geschlossen werden“, erklärt Karsten Tripp, HSBC Deutschland. Die Schlüsselfrage laute: Was passiert im zweiten Halbjahr 2022 in Sachen Inflation?

Karsten Tripp ist da gar nicht so pessimistisch. „Die preisdämpfenden Effekte von Globalisierung, Digitalisierung und Arbeitsmarktliberalisierung wirken weiter. Entspannt sich die Lieferkettenproblematik und steigt das Güterangebot, treten sie wieder stärker in den Vordergrund.“

„Ich nehme allerdings schon eine deutliche Veränderung wahr“, widerspricht Bernd Meyer, Berenberg, „vor allem China hat bei den Arbeitskosten enorm aufgeholt. Der größte Teil der stabilisierenden Effekte der Globalisierung liegt deshalb hinter uns. Und die Digitalisierung nutzt sich auch immer mehr ab.“ „Dazu kommt nun das Risiko Demografie. Wir werden vor allem in Europa eine dramatische Angebotsverknappung am Arbeitsmarkt bekommen. Das kann zu einer Lohn-Preis-Spirale führen – vor allem, weil auch das politische Umfeld höhere Löhne begünstigt“, ergänzt Axel Angermann, FERI Trust. „Im Moment ist das bei den Tarifabschlüssen zwar noch nicht zu sehen. Aber das kann sich schnell ändern, wenn die Inflationsraten noch länger so hoch bleiben. Und vergessen wir nicht: Auch der klimagerechte Umbau der Wirtschaft wird die Preise nach oben schieben“, nickt Daniel Oyen, von Plettenberg, Conradt & Cie. Family Office. So schnell möchte sich Karsten Tripp aber nicht geschlagen geben.„Ja, China ist teuer, aber Indien und Indonesien nicht. In der physischen Welt mag die Globalisierung abnehmen. Doch die großen, wachsenden Wirtschaftsbereiche wie IT gehen nach wie vor in die Niedrigst-Kosten-Standorte.“ Und Europa, so die Runde, habe zudem langfristig die Möglichkeit, über eine kluge Migrationspolitik die Lohnproblematik zu dämpfen.

„Wir können uns vielleicht auf folgende Formel einigen“, fasst Daniel Oyen zusammen: „In den letzten zehn bis 20 Jahren hatten wir eine Inflationsrate in Deutschland von zwei Prozent minus x. In den nächsten zehn bis 20 Jahren werden wir zwei Prozent plus x haben.“

Die Zentralbanken werden in diesem Umfeld ihre ultraexpansive Geldpolitik langsam straffen. „Die US-Notenbank FED beginnt nun, ihre Anleihekäufe zu reduzieren. Bis Mitte des nächsten Jahres wird sie damit durch sein. Und im zweiten Halbjahr 2022 gibt es dann die erste Zinserhöhung“, skizziert Bernd Meyer den Fahrplan. „Die EZB wird sich das ansehen und dann vorsichtig nachziehen – erst mit einer Einschränkung der Anleihekäufe, 2023 dann mit der ersten Zinserhöhung“, ergänzt Neukirch. „Das wird auch höchste Zeit“, macht Daniel Oyen klar, „die nächste Rezession kommt bestimmt. Die Notenbanken brauchen dann wieder Spielraum. Sich jedes Mal neue Maßnahmen einfallen zu lassen, um einen Stimulierungsimpuls zu setzen, ist keine gute Idee.“

Dies hinzubekommen hört sich einfacher an, als es wahrschein­lich werden wird. Bisher suggerieren die Notenbanken, dass sie die Lage im Griff haben. „Wir dürfen aber nicht vergessen, dass sie lange Zeit nur das Ziel hatten, die Preisstabilität zu sichern. Jetzt ist dieses Zielsystem stark erweitert – Staatenfinanzierung sicherstellen, für Wachstum sorgen, Vollbeschäftigung, grüne Transformation“, erklärt Tripp, „da besteht selbst für die besten Notenbanker die Gefahr von Politikfehlern.“

Schon im Sommer 2022 könnte es turbulenter werden: „Die Inflationsraten kommen zunächst runter. Und alle freuen sich. Doch dann werden sie wieder ansteigen. Das wird dann die echte Überraschung sein“, skizziert Meyer. „Und je nachdem, wie groß das X ausfällt, desto schwieriger wird der Balanceakt dann für die Geldpolitiker“, prophezeit Oyen. „Sollten die Notenbanken handeln, wird es an den Märkten wilder“, verdeutlicht Angermann, „tun sie aber zu wenig – und danach schaut es aus –, kann dies zu einem Vertrauensverlust in unser Geldwesen führen. Das kann sich aufschaukeln. Und ob wir dann ein entspanntes Gleichgewicht zwischen zwei und drei Prozent Inflation finden, halte ich für sehr fraglich.“

// Was bedeutet das neue Inflationsregime für Anleger?

„Wir sehen nun natürlich schon eine vorsichtige Zinswende. Solange die Inflation aber im von uns erwarteten Rahmen bleibt, droht den Anlagemärkten dadurch wenig Gefahr“, ist Neukirch überzeugt. „Ein gewisses Maß an Inflation ist ja gut“, ergänzt Welge: „Gerade für Kapitalanleger waren ein bis drei Prozent immer eine Art sweet spot – die beste aller Welten.“ „Diesmal kommt hinzu, dass die Realzinsen wohl dauerhaft deutlich negativ blieben. Für Wirtschaft und Unternehmen wäre das ideal – hohes nominales Wachstum bei extrem güns­tigen Finanzierungsbedingungen“, sagt Tripp. „Der Druck auf Anleger, aus Nominalwerten raus- und in Sachwert reinzugehen, wird dann wohl noch größer“, ergänzt Welge.

„Blieben die Inflationsraten länger über drei Prozent, würde es aber irgendwann kritisch“, macht Angermann klar, „die Renditen von Anleihen mit längerer Laufzeit würden steigen und die Bewertungen an den Märkten sinken. Das Aktienmarktumfeld könnte sich dann spürbar eintrüben.“ „Der Realzins ist also tatsächlich die entscheidende Größe, auf die Anleger achten müssen“, fasst Meyer zusammen: „Bleibt er stark negativ, ist alles in Ordnung. Sorgen die Notenbanken dafür, dass er wieder in Richtung null geht, werden alle Assets leiden.“   

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Und wenn sie aber kommt?

Inflationsraten, die mittelfristig deutlich über drei Prozent liegen, sind zwar nicht das Basisszenario der Lerbacher Runde. Aber für die Mehrzahl der Experten stellt dies doch ein nicht zu vernachlässigbares Risiko dar. Welche Anlagen sind ein Schutz im Portfolio, falls die Inflation doch stärker kommt als erwartet?

Wer höhere Inflationsraten erwarte, so die Runde, solle auf Aktien von Unternehmen mit Alleinstellungsmerkmalen und hoher Preissetzungsmacht setzen. Auch Gold und Rohstoffe, speziell Industriemetalle, seien dann interessant. Daniel Oyen rät für diesen Fall zu inflationsindexierte Anleihen und Strategien, die profitieren, wenn die Volatilität zunimmt. „Auf fallende Kurse bei Staatsanleihen zu setzen, ist ebenfalls eine Absicherung“, ergänzt Bernd Meyer. Kars­ten Tripp favorisiert Bankaktien und erinnert daran, dass es Länder gibt, die weniger inflationsgeneigt sind und deren Währungen sich deshalb besser behaupten sollten – als Beispiel nennt er den Yen.

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