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  • Gerd Hübner und Klaus Meitinger

Die Lerbacher Runde. Mission possible.

(Geschätzte Lesezeit: 8 - 15 Minuten)

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Expertengremium. Die Lerbacher Runde – Bankiers, Vermögensverwalter und Family Officer – traf sich in diesem Frühjahr zum siebten Mal. Das diesjährige Motto in Schloss Bensberg: Wer glaubt, Kapitalanlage sei in der Vergan­gen­heit schon ungewöhnlich schwierig gewesen, täuscht sich gewaltig. Die Aufgabe „wird noch herausfordernder“.

Anlagestrategie. Die Herausforderungen werden immer größer. Extrem hohe Verschuldung weltweit, kreative Geldpolitik, Nullzins, geopolitische Risiken und stark schwankende Aktienkurse machen es Investoren schwer, den Überblick zu behalten. Die Lerbacher Runde setzt nicht nur Leitplanken für die künftige wirtschaftliche Entwicklung. Sie leitet daraus auch konkrete Strategien und Handlungsempfehlungen ab.

Mitte Oktober 2016 wird der ExoMars-Orbiter samt Testlandegerät Schiaparelli den Roten Planeten erreichen. Die Weltraumforschung macht damit einen Schritt auf unbekanntes Terrain. „Dort bewegen wir uns als Kapitalanleger schon lange. Die Experimente der Notenbanken sind ebenso beispiellos – aber viel wichtiger als die Marsmission. Denn sie betreffen uns alle“, meint Kai Röhrl, Robeco Deutschland.

Ein Rückblick zeigt, wie dramatisch sich die Geldpolitik in den letzten Jahren geändert hat. Die US-Notenbank FED brauchte zum Beispiel von 1913 bis 2008, um ihre Bilanz auf eine Billion Dollar auszuweiten. Nur acht Jahre später hat sich diese Summe vervierfacht. Die Bank von Japan kauft heute nicht nur fast alle neu emittierten japanischen Staatsanleihen, sondern auch Aktien. Sie ist inzwischen bei mehr als 200 der Nikkei-225-Firmen unter den zehn größten Aktionären zu finden. Und die EZB fordert Strafzinsen von Banken, die bei ihr Geld anlegen. Gleichzeitig refinanziert sie Institute, die Kredite vergeben, zu einem Satz von minus 0,4 Prozent – sie gibt also noch Geld dazu. Aus ZIRP (Zero Interest Rate Policy) wird NIRP (Negative Interest Rate Policy).

Unterstützt durch die Maßnahmen der Zentralbanker wachsen die weltweiten Schuldenberge bei Staaten und in der Privatwirtschaft weiter. „Als die Lerbacher Runde im Frühjahr 2010 gegründet wurde, hätte das noch niemand für möglich gehalten“, erinnert sich Bernd Riedel, Robeco Deutschland. 

„Die Notenbanken haben so immerhin die politische Stabilität in Europa erhalten“, sagt Michael Fabricius, Fabricius Vermögensverwaltung. „Und den ökonomischen Totalkollaps verhindert“, ergänzt Alexander Ruis, SK Family Office. „Die Kernfrage ist jetzt: Findet die Welt in einen Wachstumsmodus ohne Notenbankunterstützung zurück?“

„Wir befinden uns schon irgendwie an der Kante“, überlegt Jörg Hundhausen, Tresono Family Office: „Inflation oder Deflation? Aufschwung oder Rezession? Der Grat zwischen Schwarz und Weiß ist ziemlich schmal geworden.“

Die Nervosität der Aktienanleger sei deshalb durchaus verständlich. Auf ZIRP und NIRP hatten sie schließlich ihr ganz eigenes Akronym aufgebaut: TINA (There Is No Alternative, es gibt keine Alternative zur Aktie). Als zum Jahreswechsel die Konjunkturfrühindikatoren abtauchten und weltweit die Furcht vor einer Rezession schürten, verloren die Kurse massiv an Wert und TINA viel von ihrer Anziehungskraft.

Ist der Wirtschaftsaufschwung nach sieben Jahren zu Ende? Hat die Entzauberung der Notenbanken begonnen? Oder sind die Ängste übertrieben? Und vor allem: Wie sollten sich Anleger in diesem unbekannten Terrain positionieren? „Das ist zwar herausfordernd, hat aber auch einen positiven Aspekt“, überlegt Kai Röhrl: „In einer Welt voller Unsicherheiten können die Profis zeigen, was sie draufhaben.“

Seit der Gründung der Lerbacher Runde im Frühjahr 2010 versuchen Bankiers, Vermögensverwalter und Family Officer auf Einladung von private wealth und Robeco, vermögenden Investoren Orientierung zu geben. Heute trennen sie dabei stärker als in der Vergangenheit zwischen langfristiger Strategie und kurzfristiger Taktik.

In der strategischen Ausrichtung hält die Runde seit sieben Jahren konsequent an der Idee fest, den Anteil an Sachwertanlagen im Depot auszubauen. „Schon 2010 galt der Grundsatz, dass Beteiligungen an Produktivkapital das Vermögen langfristig am sichersten erhalten“, informiert Riedel. „Entscheidend ist dabei aber, dass der Sachwert auch seine Sache wert ist – es geht also um Qualität. Dazu bedarf es heute noch genauerer Analyse im Vorfeld als in der Vergangenheit“, macht Marc Vits, Bankhaus Metzler, klar.

Das größte strategische Risiko sei eine Investition in überbewertete Vermögensgegenstände. „Und das sind eben derzeit vor allem Staatsanleihen“, verdeutlicht Michael Huber, VZ VermögensZentrum. Seit drei Jahren verschiebt die Lerbacher Runde deshalb ihre langfristige Ausrichtung von Zinspapieren hin zu alternativen Investments. „Anleger sind gut beraten, einen Teil der Rentenanlagen in Absolute-Return-Investments umzuleiten“, meint Lars Edler, Sal. Oppenheim. „Dort ist Know-how bei der Selektion sogar noch wichtiger“, ist Armin Eiche, Pictet, überzeugt: „Wissenschaftliche Ausarbeitungen zeigen schließlich, dass höchstens 20 Prozent dieser Fonds halten, was sie versprechen.“

„Angesichts großer konjunktureller und (geo-)politischer Unsicherheiten müssen wir uns aber im nächsten Jahr auch auf große Kursschwankungen an den globalen Kapitalmärkten in allen liquiden Anlageklassen einstellen“ mahnt Daniel Fechtelpeter, Bankhaus Lampe. „Damit wird die Taktfrequenz der Anlageentscheidungen viel höher. Es tauchen immer wieder kurzfristige Gelegenheiten auf, die Investoren nutzen müssen, um Zusatzrendite zu erwirtschaften“, unterstreicht Stefan Ebner, FOCUS Asset Management: „André Kos­to­lanys ,Kaufen und halten‘ funktioniert allein nicht mehr.“

Um erfolgreich taktisch agieren zu können, brauchen Anleger in unbekanntem Terrain allerdings einen funktionierenden Kompass. Die Lerbacher Runde liefert Orientierung.

// Die Weltkonjunktur im nächsten Jahr.

Ein Ende des seit 2009 anhaltenden Aufschwungs und eine neuerliche Rezession hatte die Lerbacher Runde schon bei ihrem Treffen im Frühjahr 2015 nicht auf dem Zettel gehabt. Auch diesmal halten die Experten entsprechende Ängste für übertrieben. Vier der 20 Teilnehmer meinen sogar, das Wachstumstempo in der Welt würde sich auf Sicht von zwölf Monaten leicht beschleunigen. Die Mehrheit – 16 – hält ein „Auf“ ohne Schwung für das wahrscheinlichste Szenario, ein geringes, aber immerhin positives Wachstum.

„Einer der häufigsten Auslöser für Rezessionen waren in der Vergangenheit – neben Finanzkrisen – Überinvestitionen in der Realwirtschaft. Diese führten dann oft zu einem Boom. 

Erfüllten sich die Erwartungen später nicht, folgte der Abschwung“, erklärt Karsten Tripp, HSBC Trinkaus & Burk­hardt: „Doch die In­ves­titionen sind ja seit 2009 nie mehr richtig in Gang gekommen. In der Eurozone liegen sie noch immer 16 Prozent unter dem Niveau von 2008. Deshalb ist das Wachstum ja so gering. Dieser Grund für eine Rezession fällt also weg.“

„Ein zweiter kritischer Punkt war immer eine deutliche Zinsanhebung nach einer Phase steigender Inflationsraten“, ergänzt Jörg Laser, Donner & Reuschel, „und auch davon ist weit und breit nichts zu erkennen.“

Natürlich werde es immer wieder einzelne, regionale Problemfelder geben – „das ist vielleicht sogar ein neues Muster, stärkere regionale Ausschläge, aber insgesamt ein flacherer Trend im Weltwachstum“, meint Michael Gollits, von der Heydt AG. Entscheidend für die Weltwirtschaft sei aber die Konjunktur in den drei größten Regionen – USA, China, Europa: „Und dort sind die Perspektiven gar nicht so schlecht“, meint Gottfried Urban, Bayerische Vermögen.

Den größten Unterschied zu gefühlten und tatsächlichen Risiken sieht die Runde im Land der Mitte. „Vor wenigen Wochen brachte die Furcht vor einer harten Landung in China und einer massiven Abwertung des Renminbi das Weltgefüge noch gehörig durcheinander“, analysiert Oliver Leipholz, Oppenheim Family Office, „doch das hat sich mittlerweile relativiert. China intervenierte im Bankbereich, stimulierte die Kreditvergabe und kurbelte so das Wachstum wieder an.“

„Die Regierung hat dort trotz aller marktwirtschaftlicher Reformen offensichtlich immer noch einen funktionierenden Zugriff auf die Wirtschaft“, folgert Michael Fabricius: „Die größte Wahrscheinlichkeit hat für mich deshalb ein Szenario, in dem dies so bleibt – und China weiter evolutionär stabil ist.“

Warum haben dann so viele Marktteilnehmer Angst? „Der Grund dafür ist, dass niemand den offiziellen Zahlen traut“, vermutet Matthias Wesseling, Bethmann Bank. „Wenn Anleger nicht zuverlässig wissen, ob die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt mit zwei oder mit zehn Prozent wächst, verunsichert das einfach“, stimmt Karsten Tripp zu.

„Unsere Volkswirte haben sich dieses Themas genauer angenommen – China zwischen Dichtung und Wahrheit“, berichtet Marc Vits: „Danach gibt es zwar durchaus berechtige Zweifel an der chinesischen Datenqualität, vollkommen unrealistisch sind die veröffentlichten Zahlen aber auch nicht.“ „Diese Daten zeigen zwei Dinge ganz klar“, erläutert Stephan Jäggle, Münster Stegmaier Rombach: „Nur in der chinesischen Industrie ist das Wachstumstempo deutlich langsamer geworden. Der Dienstleistungssektor – Tourismus, Green Energy, E-Commerce – wächst dagegen sehr dynamisch weiter. Wir dürfen nicht den Fehler machen, aus der Entwick­lung der Industrie auf rezessive Tendenzen zu schließen.“

„Ich glaube sogar, dass Chinas Dynamik mittlerweile unterschätzt wird“, meint Michael Gollits: „Der Umbau zur Dienstleistungs- und Konsumwirtschaft ist unumgänglich und richtig. Kommen dazu noch Initiativen wie One belt, one Road, also die Wiederbelebung der alten Seidenstraße, bleibt China auf einem stabilen Wachstumspfad.“

Natürlich gibt es auch Risiken. „Umweltverschmutzung, Flucht der reichen Elite, Korruption, Investitionen, die zurück­gefahren werden müssen, Massenentlassungen, um Staatsbetriebe zu sanieren“, zählt Joachim Meyer, Meyer & Cie., auf. „Dieser Wechsel von der Export- zur Binnenwirtschaft ist in diesem Umfeld definitiv eine Herausforderung“, stimmt

Stefan Ebner zu: „Da wird es auf dem Weg immer wieder zu Irritationen kommen.“

Per saldo bleibt die Lerbacher Runde aber zuversichtlich. „Selbst wenn China nur mit fünf Prozent wachsen würde, entspräche diese zusätzliche Nachfrage in absoluten Zahlen dem gesamten Sozialprodukt der Niederlande“, rechnet Armin Eiche vor. „Prozentual mag Chinas Wachstum langsamer werden, in absoluten Zahlen ist dies aber immer noch viel mehr als vor zehn Jahren“, macht Gottfried Urban klar.

Positiv sehen die Experten auch den zweiten großen Wirtschaftsraum – die USA. „Im Grunde haben die USA die Rolle der Wachstumslokomotive wieder übernommen“, analysiert Oliver Leipholz: „Starkes Wachstum im Arbeitsmarkt. Stabiler Immobilienmarkt. Der Servicesektor funktioniert. Das sorgt für stabiles Wachstum im privaten Verbrauch.“ Zuletzt sei die US-Konjunktur nur durch den Einbruch der Investitionen im Ölsektor belastet gewesen: „Bei einem Ölpreis von 30 Dollar pro Barrel haben die Produzenten richtig gelitten.“

„Zum Glück hat sich der Ölpreis nun stabilisiert“, überlegt Oliver Borgis, Weberbank: „Mit Preisen zwischen 45 und 70 Dollar können die Produzenten leben und der Konsum profitiert immer noch.“ „Werden die Investitionen im Ölsektor nun weniger stark gekürzt, resultiert allein daraus ein positiver

Effekt für das Wachstum“, erklärt Matthias Wesseling.

In den Himmel werden die Bäume aber auch in den USA nicht wachsen: „Wir dürfen nicht vergessen, dass sich die US-Wirtschaft schon nahe der Vollauslastung befindet. Das kann kaum noch besser werden. Wir sollten uns mittelfristig auch hier auf niedrigere Wachstumsraten einstellen“, meint Ebner.

Wie in den USA trägt auch in Europa der Verbraucher die Konjunkturhoffnungen. „Ich nenne das fatalistischen Konsum“, sagt Joachim Meyer, „angesichts von Null- oder Minuszinsen steigt die Bereitschaft, Geld auszugeben.“ „Sie wird auch hier durch die weiter niedrigen Ölpreise unterstützt“, erklärt Gottfried Urban: „Lange hatten die Verbraucher offenbar nicht geglaubt, dass diese Kostenentlastung dauerhaft sein könnte und haben mehr gespart. Jetzt kommt dieser Effekt voll zum Tragen. Es muss einfach für die Weltwirtschaft positiv sein, wenn eine wichtige Ressource günstiger wird.“

„Selbst im krisengeplagten Südeuropa tut sich etwas“, informiert Michael Fabricius: „Die Kreditvergabe dort steigt erstmals seit Jahren wieder.“ „Die KfZ-Zulassungen sind sogar um über 20 Prozent gewachsen“, ergänzt Alexander Ruis, „das ist wirklich ein sehr positives Indiz. Die Wirtschaft dort scheint wieder Boden unter den Füßen zu bekommen.“

„Wir sollten aber auch hier nicht zu optimistisch sein“, überlegt Daniel Fechtelpeter: „Gerade in den kommenden Wochen sind die Risiken sehr hoch. Ein Brexit würde die Zukunft Europas und des Euros wieder infrage stellen, die Flüchtlingszahlen dürften im Sommer wieder steigen. Viele Impulse – fallender Ölpreis, Euro-Abwertung – sind zudem Auslaufmodelle.“ „Dass die Verbraucher trotzdem einfach immer weiter konsumieren, kann schon infrage gestellt werden“, meint Joachim Meyer: „Ich überlege immer: Was würden in diesem Fall die Themen sein, die das Wachstum stimulieren könnten?“

„Es gibt schon neue, potenzielle Treiber“, antwortet Oliver Borgis: „Industrie 4.0, Robotik, Autonomes Fahren. Die Investitionszurückhaltung der letzten Jahre hat ja auch eine positive Seite. Wenn der Knoten da platzt, kann dies einen ziemlichen Schub entwickeln.“

Das Fazit der Lerbacher Runde ist entsprechend entspannt: Trotz vieler Fragezeichen wächst die Weltwirtschaft weiter – wenngleich sehr langsam. Und die Rezession fällt wieder aus.

// Geldpolitik – was machen FED & Co.?

Bei der Einschätzung der Geldpolitik hatte die Lerbacher Runde 2015 einen perfekten Job gemacht. Während die Mehrheit der Analysten damals eine Zinswende in den USA mit einer Reihe von Zinserhöhungen erwartete, rechnete die Runde nur mit einem „symbolischen“ Schritt. Und behielt recht. Wie sieht Lerbach heute die geldpolitischen Perspektiven?

„Die Argumentationslinie der US-Notenbank FED hat sich verändert“, informiert Jörg Hundhausen, „sie fühlt sich heute

für die ganze Welt verantwortlich und deutete zwischenzeitlich auch an: ,Wir würden die Zinsen ja gern erhöhen, aber wir sind in Sorge, dass dies dann weltweit Konsequenzen hätte.‘“

„Ich habe den Eindruck, die FED achtet vor allem auf die Währungen“, konkretisiert Stephan Jäggle. Tatsächlich ist seit geraumer Zeit eine Art Hässlichkeitswettbewerb im Gange. Wer schafft es, seine Währung am unattraktivsten zu machen, um der eigenen Exportwirtschaft einen Vorteil zu verschaffen? Europa und Japan waren dabei lange sehr erfolgreich. „Weil die US-Firmen und die in Dollar verschuldeten Schwellenländer aber immer weniger mit einem noch stärkeren Dollar zurechtkommen, scheint eine Stabilisierung der Wechselkurse in den letzten Monaten das überragende Ziel gewesen zu sein“, überlegt Jäggle weiter. Entsprechend vorsichtig agierte die US-Notenbank, um den Greenback nicht noch stärker zu machen.

In ihrer Prognose hat die Lerbacher Runde dies berücksichtigt. Ein Teilnehmer geht von keiner Zinserhöhung im nächsten Jahr aus, zwölf erwarten einen Zinsschritt um 0,25 Prozentpunkte, bei sieben stehen zwei kleine Schritte auf der Agenda.

Eine echte Zinswende ist das immer noch nicht. „Und es ist auch die falsche Politik“, kritisiert Lars Edler: „Die US-Notenbank tut sich keinen Gefallen, wenn sie zu sehr nach rechts und links schaut. Es wäre langfristig beruhigender für die Märkte, würde die Geldpolitik die tatsächliche wirtschaftliche Entwicklung begleiten. Meiner Meinung nach braucht die Wirtschaft diese Zinswende sogar als eine Art Ritterschlag, um wieder mehr Vertrauen in die eigene Zukunft zu fassen.“

„Und verkraften könnte sie es auch“, erklärt Michael Huber: „Die Fed müsste angesichts steigender Löhne und Inflationsraten in den USA deutlich mehr tun. Dass sie trotzdem weiter so vorsichtig agiert, ist ein Stabilitätsrisiko.“

Auch die Europäische Zentralbank bekommt von den Teilnehmern der Lerbacher Runde keine guten Noten mehr. „Irgendwann muss es auch hier eine Wende geben“ meint Michael Gollits: „Seit zwei Jahren ist das Thema Systemcrash doch vom Tisch.“

„Seitdem dient die EZB-Politik nur noch der Begünstigung der Politik“, verdeutlicht Jörg Laser: „Das ist ein Fehler. Denn die ist jetzt darauf konditioniert, dass der Staatshaushalt durch immer weiter sinkende Zinslasten entspannt wird. Reformpolitik ist da nicht mehr nötig.“ „Tatsächlich befindet sich die EZB noch immer im Krisenmodus“, kritisiert auch Daniel Fechtelpeter: „Die Programme müssen nun immer größer werden, um überhaupt noch einen Effekt zu haben. Da hat sich die Notenbank selbst in eine Ecke manövriert, aus der sie nur schwerlich wieder herauskommt.“

„Fakt ist, dass die EZB nun fast keine andere Wahl mehr hat, als das Nicht-Handeln der Politik weiter zu alimentieren. Deshalb rückt eine Zinswende in Europa auch in sehr weite Ferne“, fasst Matthias Wesseling zusammen. „Ich glaube nicht daran, dass sich in diesem Jahrzehnt am Niveau der Leitzinsen noch etwas ändert“, konkretisiert Karsten Tripp.

// Die Anlagestrategie der Lerbacher Runde.

„Zunächst gilt es, einen grundsätzlichen Fehler zu vermeiden“, macht Oliver Borgis klar: „Es wird ja oft die Angst geschürt, Vermögen würde real vernichtet, wenn es nicht sofort riskanter angelegt wird. Das ist aber falsch. Durch die Niedrigzinsen wird zunächst kein Vermögen vernichtet. Die Realzinsen sind zwar in der Nähe von Null. Sie sind aber nicht negativ. Privatanleger haben keinen Anlagedruck. TINA ist nicht immer und zu jedem Preis eine gute Idee.“

Noch wichtiger ist aber eine andere Botschaft: Wächst die Weltwirtschaft mit geringem Tempo weiter und bleiben die Zinsen niedrig, droht an den Aktienmärkten weder eine anhaltende Baisse noch ein Crash. „Allerdings wird unser moderat positives Bild im Lauf des Jahres immer wieder infrage gestellt werden“, vermutet Lars Edler: „Dies dürfte dann zu massiven Kursschwankungen führen.“

„Unsere klare Empfehlung ist es, in solchen Schwächephasen die Aktienquoten weiter strategisch zu erhöhen“, macht Stephan Jäggle klar. „Für viele Anleger ist das eine große Chance“, ergänzt Michael Huber, „denn gerade Privatinvestoren haben erst begonnen, den Aktienanteil im Depot signifikant zu erhöhen. Sie sind noch weit von dem entfernt, was eigentlich langfristig sinnvoll ist.“

„Wir sehen das größere Risiko ohnehin auf der Seite der Zinspapiere“, erklärt Armin Eiche: „Da werden von vielen Anlegern exotische, teilweise illiquide Papiere gekauft, nur um ein paar Zehntelpunkte Rendite zusätzlich zu erwirtschaften. Die Risiken dieser Papiere sind aber heute sehr viel höher einzuschätzen als in der Vergangenheit. Die Renditechancen dagegen sind sehr viel geringer. Das passt nicht zusammen.“

Viele konservative Investoren, die bisher noch nicht in Aktien investiert haben, hätten sich mittlerweile tatsächlich auf der Risikoskala bei den Anleihen sehr weit nach oben bewegt, informiert Oliver Leipholz: „Im Grunde haben sie dadurch im Misserfolgsfall aber ein ähnliches Risikoniveau, als wenn sie gleich Aktien gekauft hätten. Riskante Anleihen bezahlen ja höhere Zinsen, weil das Ausfallrisiko höher ist. Im Erfolgsfall ist die Rendite aber nach oben gedeckelt. Da wäre mir die Aktie lieber. Wenn schon mehr Risiko, dann durch die Beimischung von Aktien.“

Wie gehen die Profis dann mit den größeren Schwankungen im Depot um? „Wir müssen künftig viel flexibler und aggressiver agieren“, meint Jörg Laser: „Es geht nicht darum, die Quoten um fünf oder zehn Prozent in die eine oder andere Richtung zu verändern – sondern um 50 oder 60 Prozent.“

Nicht alle Teilnehmer der Runde sind überzeugt, dass es gelingt, dies systematisch erfolgreich umzusetzen: „Viele wissenschaftliche Untersuchungen belegen, wie schwer es ist, durch taktische Entscheidungen überdurchschnittliche Gewinne zu machen“, argumentiert Marc Vits: „Wann verkaufen Sie, um Buchverluste zu vermeiden? Wann investieren Sie wieder? Kursschwankungen sind für einen privaten Anleger ohne Bilanzierungspflichten vor allem dann ein Risiko, wenn die Qualität des Investments nicht stimmt.“

„Das ist“, überlegt Jörg Hundhausen, „tatsächlich eine individuelle Entscheidung. Privatkunden haben ja oft keinen Index als Referenz für den Anlageerfolg, sondern die schwarze Null im Portfolio. Ihr großer Vorteil ist es, auch eine ganze Weile an der Seitenlinie stehen zu können. Sie müssen dann natürlich bereit sein, auch nach oben hin etwas abzugeben.“

Alexander Ruis setzt den Schwankungen an den Aktienmärkten die lange Frist entgegen: „Ich sehe Strategien, die Volatilität glätten, eher skeptisch, weil diese immer Geld kosten. Als Langfristanleger kann ich die Schwankungen aussitzen und bewusst akzeptieren.“ ®

Autoren: Gerd Hübner und Klaus Meitinger

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