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  • Dr. Florian Mercker

„Just do it.“

(Geschätzte Lesezeit: 5 - 9 Minuten)

078 Stephan Erfurt DvB 14

Kunstausstellungen. Stephan Erfurt, Spross einer seit dem 19. Jahrhundert erfolgreichen Unternehmerfamilie, hat sich ganz der Fotografie verschrieben. Mit der C/O Berlin Foundation führt er eine der bedeutendsten Fotogalerien in der Bundeshauptstadt – und zwar ohne regelmäßige staatliche Unterstützung. Das funktioniert nur, weil er die Herausforderungen unternehmerisch angeht.

Im Sommer 2000 zieht eine Ausstellung der legendären Agentur Magnum durch Deutschland – und fast an Berlin vorbei. Denn in der Bundeshauptstadt finden sich keine passenden Räumlichkeiten für die Bilder von Robert Capa oder Henri Cartier-Bresson. „Ich dachte, das kann doch gar nicht sein“, erinnert sich Stephan Erfurt, selbst Fotograf. Gemeinsam mit dem Designer Marc Naroska und dem Architekten Ingo Pott macht er die Ausstellung im alten Postfuhramt in Berlin-Mitte möglich. Es ist die Geburtsstunde von C/O Berlin.

Die postalische Abkürzung „c/o“ steht im Englischen für „care of“. Seit dieser Zeit kümmert sich Stephan Erfurt um das Thema Fotokunst in Berlin – und zwar auf eine ganz besondere Art und Weise. „Wir finanzieren fast alles durch Eintrittsgelder und Spenden. Das Land Berlin unterstützt nur unregelmäßig einzelne Projekte.“

Stephan Erfurt stammt aus einer Wuppertaler Unternehmerfamilie, die als Erfinderin der Raufasertapete seit fast 190 Jahren im Segment der überstreichbaren Wandbeläge erfolgreich tätig ist. Geführt wird das Unternehmen gemeinsam von Stephan Erfurts Bruder Martin und seinem Großcousin Henrik Erfurt. Stephan Erfurt ist der Erfurt-Gruppe eng verbunden. Sein Unternehmergen wird in der Umsetzung von C/O Berlin sichtbar. „In unserer Familie galt schon immer: anpacken, selbst machen – just do it! Mein Vater, Wilhelm Erfurt, hat zu uns Kindern gesagt: ,Wir sind Unternehmer und keine Unterlasser.‘ Das begleitet mich bis heute.“

Es gibt in den Anfangsjahren vieles, das Stephan Erfurt anpacken muss. Ausstellungen organisieren, Künstler überzeugen, Räumlichkeiten finden. Vor allem aber geht es immer wieder ums Geld. Als C/O Berlin zum Beispiel nach langem Hin und Her eine dauerhafte Bleibe im Amerika Haus findet, müssen die Räume erst einmal umgestaltet werden. Allein der Innenausbau nach modernem Museumsstandard kostet 2,5 Millionen Euro. Eine Million akquiriert Erfurt bei der Lottostiftung. Licht- und Tontechnik wird über ein Crowdfunding mitfinanziert. Der große Rest kommt über Spenden und Sponsoring. „Unser Mietvertrag läuft nun fix über 21 Jahre“, erzählt Stephan Erfurt nicht ohne Stolz. „Das gibt uns auf der einen Seite die Standortsicherheit, die wir für C/O Berlin brauchen und die wir in den letzten Jahren nicht immer hatten.“

Die Kehrseite der Medaille: Jedes Jahr wird nun eine Viertelmillion Euro an Miete plus Neben- und Betriebskosten fällig. „Bei einem Budget von drei Millionen Euro pro Jahr ist das schon eine ziemliche Größenordnung. Da bin ich das ganze Jahr unterwegs, um potente Förderer zu finden.“

Gerade hat Stephan Erfurt deshalb ein Board of Trustees aufgestellt – mindestens zehn herausragende Persönlichkeiten verpflichten sich, jährlich einen Betrag von wenigstens 25000 Euro zu spenden, um so den Betrieb langfristig zu sichern. Dafür können sie auf Wunsch ihren Namen auf einer Wand bei C/O Berlin lesen.

Auch institutionell ist C/O Berlin nun gut aufgestellt. Seit dem Jahr 2013 ist C/O Berlin Foundation als operative Stiftung Trägerin aller Aktivitäten. „Die Stiftungslösung hat für uns erhebliche Vorteile“, erklärt Erfurt: „Sie ist die ideale Rechtsform für eine Kulturinstitution. Denn sie ist unabhängig von den Interessen und Einflüssen einzelner Personen und kann im Prinzip ewig fortbestehen. Eine Besonderheit bei der C/O Berlin Foundation ist der geringe Vermögensstock, der nicht für das operative Geschäft eingesetzt werden darf und immer unangetastet bleibt. Das wirkliche Kapital der Stiftung sind deshalb die Menschen, die diese Idee einer internationalen Kulturinstitution umsetzen und leben.“

Heute gilt C/O Berlin mit 20 Ausstellungen pro Jahr als erfolgreichste privat geführte Fotoinstitution der Hauptstadt: „Das zu organisieren, ist für eine private Initiative schon eine gewaltige Aufgabe.“ 

private wealth Herr Erfurt, Sie heben den ganzheitlichen Ansatz von C/O Berlin hervor. Was verbirgt sich genau dahinter?

Stephan Erfurt  Drei Punkte sind quasi unser Credo: Professionalität, Leidenschaft und Neugierde. Eine ganzheitliche Markenentwicklung benötigt hochwertige Ausstellungen mit einem klaren Design und guter Architektur. Prägend war da meine Zeit in New York von 1984 bis 1999, in der ich für das Magazin der ,Frankfurter Allgemeinen Zeitung‘ als Fotograf tätig war. Hier entstand auch die Idee von C/O Talents, um jungen Fotografen in der schwierigen Phase zwischen Ende der Ausbildung und den ersten Aufträgen Unterstützung zu geben. Dabei war mir klar, dass diese nicht im Zuschustern von Aufträgen liegen kann. Das musste nachhaltiger sein. Wichtig ist auch, diese noch unbekannten Fotografen mit bekannten und berühmten Fotografen in Austausch zu bringen. Mit Annie Leibovitz, Anton Corbijn beispielsweise.

pw Sind die großen Namen nicht vor allem Zugpferde?

SE Sie bringen natürlich auch Prestige. Und locken Besucher an. Die kann ich dann aber mit den Arbeiten unbekannter Talente überraschen. Diese Begegnungen sind elementar. So nimmt auch die Öffentlichkeit Notiz von diesem Format. Das wiederum unterstützt die Entwicklung weiter.                                                               

pw Wie überzeugen Sie diese großen Künstler, gerade bei Ihnen auszustellen?

SE Wie bei jeder Freundschaft auf Augenhöhe – mit Offenheit, Interesse und Transparenz. Wir sprechen die Künstler nie allein als C/O Berlin an, sondern als Menschen, die sich mit den Werken und Themen des jeweiligen Künstlers beschäftigen. In der Regel ist es auch keine kurzfristige Begegnung, sondern ein langfristiger Austausch. Vielleicht schafft man es nicht, einen Wunschkandidaten sofort zu gewinnen, aber in the long run ... Da habe ich großes Vertrauen in unsere Expertise und mittlerweile auch in die Strahlkraft unserer Kulturmarke.

pw Ist es dabei ein Vorteil, privat organisiert zu sein?

SE Da bin ich sicher. Unsere Entscheidungswege sind viel kürzer als in staatlichen Museen. Außerdem fühlen wir uns nur dem Künstler, unseren Besuchern und uns selbst verpflichtet. Wir müssen uns nicht politisch aufstellen und mögliche Interessen der öffentlichen Hand bedienen. Das bedeutet natürlich einerseits, dass wir das volle finanzielle Risiko tragen, andererseits aber alle unternehmerischen Chancen nutzen können.

pw Was bedeutet es, die gemeinnützige Stiftung „unternehmerisch“ zu führen?

SE Wirtschaftlich und strategisch zu handeln, ohne gewinnorientiert zu sein. Wie jedes andere Unternehmen haben natürlich auch wir ein Produktportfolio entwickelt, um flexibel auf Veränderungen des Markts reagieren zu können. Nicht jede Ausstellung ist gleich erfolgreich, auch wenn wir uns das natürlich wünschen. Daher mischen wir Blockbuster mit Nischenkünstlern und sind auch als Bildungsanbieter und Buchhändler aktiv. Das verbindende Element ist immer das Medium Fotografie. Um die feinen Entwicklungen und Tendenzen auf dem Ausstellungsmarkt wahrnehmen zu können, müssen Sie viel unterwegs sein. Das ist Teamarbeit. Mein Credo ist darum das Prinzip der horizontalen Führung

pw Was verstehen Sie darunter?

SE Meine Aufgabe liegt mehr in der Motivation, Moderation und Steuerung als in der einsamen Zielvorgabe. Wir haben aktuell 45 Mitarbeiter aus sieben Nationen. Das Kernteam von zehn Mitarbeitern trifft sich einmal wöchentlich zum Jour­fixe. Hier werden alle wichtigen Themen kurz und knapp besprochen. Dann bilden wir ad hoc Arbeitsgruppen oder Ausschüsse, die sich des betreffenden Themas annehmen und innerhalb einer vorgegebenen Zeitdauer Lösungsvorschläge präsentieren. So entsteht immer ein adäquates Verantwortungsdiagramm. Das alles ist sehr effizient und spart kostbare Zeit, die vor allem ich dringend für die Akquisition von Mitteln benötige.

pw Also hängt in der Stiftung doch alles an Ihnen?

SE In der täglichen Arbeit nicht. Da ist jede Funktion so besetzt, dass bei einem Ausfall – Urlaub, Krankheit oder sich überschneidende Termine – ein anderer nahtlos mit demselben Informationsstand übernehmen kann. Das gilt auch für meine Person. Herrschaftswissen darf es nicht geben!

pw Warum sind Ihre Mitgründer nicht mehr im Vorstand?

SE In unserer Kommanditgesellschaft waren die Anteile zu Beginn im Verhältnis 80:10:10 verteilt. Ich hatte zwar die Idee von C/O Berlin mit aus den USA gebracht, war aber überzeugt davon, dass ein solches Projekt den perfekten Dreiklang braucht – Fotografie, Architektur, Design. Beide Mitgründer sind aus Compliancegründen nicht mehr im Vorstand, aber auf Lebenszeit im Kuratorium der Stiftung.

pw Welche Rolle spielt das Familienunternehmen Erfurt?

SE Eigentlich keine große. Beide Familienstämme verfolgen ihre unterschiedlichen Engagements. Für C/O bedeutet es eine jährliche Projektförderung durch die Firma im unteren fünfstelligen Bereich, keine regelmäßige Förderung. Aber sicher, eine unternehmerische Grundveranlagung könnte hier schon in den Genen liegen. Entscheidend für C/O Berlin ist aber vor allem, dass sich alle Mitarbeiter – teilweise schon über zehn Jahre – mit C/O Berlin als dem „idealisierten Wahnsinn“ identifizieren und sich für den Erfolg verantwortlich fühlen.

pw Jeder Euro, den Sie zusätzlich erwirtschaften, fließt ja laut Satzung wieder zurück in die Stiftungsarbeit. Ist das „genug“ Ertrag für den Unternehmer Stephan Erfurt?

SE Es gibt ja noch viel mehr. Mit 250000 Besuchern im Jahr sind wir mittlerweile ein echter Wirtschaftsfaktor für Berlin. Die landeseigene Investitionsbank Berlin hat kürzlich die wirtschaftlichen Effekte der C/O-Berlin-Besucher ausgerechnet: Über die kommenden fünf Jahre steigert unsere Existenz das Sozialprodukt um durchschnittlich 14,5 Millionen Euro, schafft 95 Arbeitsplätze und sorgt für zusätzliche öffentliche Einnahmen in Höhe von 1,8 Millionen Euro.

pw Würden Sie sich wünschen, dass Berlin angesichts dieser Vorteile mehr zur Finanzierung beiträgt oder würde das Ihre Freiheit dann zu sehr beschneiden?

SE Tatsächlich tragen wir mit C/O Berlin nicht nur finanziell, sondern auch ideell zum positiven Image Berlins als Kulturstadt bei. Wenn uns das Land Berlin finanziell stärker unterstützen würde, den von uns eingeschlagenen Weg weiter fortzusetzen, würden am Ende alle gewinnen.

pw Was möchten Sie erreicht haben, wenn wir uns in zehn Jahren wieder sprechen?

SE Als Vater zweier inzwischen erwachsener Kinder weiß ich, dass die Pubertät eine spannende, aber auch schwierige Zeit ist. C/O Berlin wird in diesem Juli 16 Jahre alt und kann sehr stolz auf das bisher Erreichte sein. Jetzt gilt es, die Zukunft der Stiftung in einer sich radikal verändernden Gesellschaft zu sichern. Ich wünsche mir, dass C/O Berlin diese Herausforderungen auch ohne mich souverän meistert und in zehn Jahren immer noch ein Kulturmagnet in der Hauptstadt sein wird – ganz nach dem Motto meines Vaters Wilhelm Erfurt: „Denke nicht in Quartalen, denke in Generationen.“ ®

Autor: Dr. Florian Mercker

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