"Idorsia wird unser Vermächtnis."
Unternehmertum. Ihr erstes Start-up – das Biopharma-Unternehmen Actelion – verkaufte das Ehepaar Martine und Jean-Paul Clozel im Jahr 2017 für 30 Milliarden Dollar. „Wir haben nicht verkauft, wir wurden gekauft“, präzisieren die Gründer, „das ist ein gewaltiger Unterschied.“ Im Nachfolgeunternehmen Idorsia wollen die beiden weiter nach unbekannten Medikamenten forschen und so fortführen, was sie bei Actelion begonnen haben. „Idorsia soll wie Actelion sein, nur erfolgreicher, besser und für die Ewigkeit gemacht.“
Unsere unternehmerischen Ziele waren immer schon sehr klar“, erzählt Jean-Paul Clozel. „Wir wollen Dinge entdecken, die andere nicht entdeckt haben. Wir wollen sehen, wie die Projekte ausgehen, die wir angefangen haben. Wir möchten sie selbst kommerzialisieren. Kurz – wir möchten unsere Wege weitergehen. Deshalb soll unsere Firma 100 Jahre überdauern. Oder länger.“
Wenn das Ehepaar Clozel über die Perspektiven ihrer 2017 gegründeten Biotechfirma Idorsia spricht, hört sich das tatsächlich ein wenig wie der Gegenentwurf zu den meisten Firmen in diesem Sektor an. „Viele Biotech-Unternehmen sind gezwungen, sich zu beeilen, weil sie zu wenig Zeit und zu wenig Geld haben. Sie können nicht alle interessanten Projekte entwickeln oder gar optimieren. Forschung braucht aber Zeit. Wir arbeiten manchmal 25 Jahre lang an einer Entwicklung. Unsere Wissenschaftler sollen keinen Druck spüren. Sie sollen sich auf ihre Arbeit konzentrieren und tiefer graben können – auch wenn es dauert.“
Martine und Jean-Paul Clozel, das wird schnell spürbar, haben ihr Leben der Medikamentenforschung verschrieben. Die beiden lernen sich 18-jährig als Medizinstudenten im ersten Jahr an der Uni Nantes kennen. „Wir wollten damals schon zusätzlich zum Medizinstudium an den Wochenenden alles lernen, was nötig ist, um Research zu betreiben – die Techniken, Statistik. Wir hatten gemeinsame Interessen, dasselbe Ziel, dieselbe Vision“, erinnert sich Martine.
Nach dem Studium geht der ausgebildete Kardiologe Jean-Paul zur Roche-Holding. Später folgt ihm seine Frau. Martine Clozel entdeckt einen Wirkstoff gegen Bluthochdruck in der Lunge – Tracleer. Aber Roche glaubt nicht an das Potenzial, möchte das Projekt nicht weiterverfolgen. Es gibt, wie so häufig in der Branche, zu wenig Zeit, zu wenig Geld, zu wenig Geduld. „Immer wieder werden vielversprechende Ansätze einfach nicht weiterverfolgt. Wir waren damals 40 Jahre alt und wollten noch mindestens 20 Jahre an unseren Ideen arbeiten. Es gab keine andere Möglichkeit, als selbst eine Firma zu gründen“, erklärt Jean-Paul Clozel.
Mit drei Mitstreitern gründen sie 1997 Actelion. Tracleer wird später unter dem Namen Bosentan zum Blockbuster, der Börsengang ist ebenfalls ein großer Erfolg. Aber gleichzeitig erlebt das Paar nun in der eigenen Firma die Zwänge in der Biotech-Industrie hautnah. Die ständige Suche nach Finanzmitteln, um Forschung und Kommerzialisierung zu stemmen. Die Verwässerung der eigenen Beteiligung. „Wir hatten damals einfach nicht die nötigen Mittel. Am Schluss lag unser Anteil nur noch bei knapp fünf Prozent.“
Im Jahr 2011 geschieht dann etwas, das die beiden bis heute prägen soll. Der britische Ableger des US-Hedgefonds-Managers Elliott Advisors versucht, die Firma zu übernehmen. „Es war, als ob dir jemand dein Kind wegnehmen möchte“, sagt Clozel damals der ,Neuen Zürcher Zeitung‘. Auch jetzt ist ihm noch anzumerken, wie tief ihn dies getroffen hat. „Der Hedgefonds wollte eine Schwäche ausnutzen, um schnelles Geld zu machen. Er wollte uns zwingen, zu einem Kurs von 30 Franken zu verkaufen. Wir hätten dann all das verloren, was wir in langen Jahren erarbeitet hatten. Unsere Arbeit wäre wieder unvollendet geblieben.“
Nach klärenden Gesprächen mit Aktionären wurden die Intentionen von Elliott erklärt und seine Darstellung hinterfragt. Die anschließende Aktionärsgeneralversammlung schmetterte dann die Anträge des Aktivisten ab. Elliott verkaufte anschließend seine Position unter 40 Franken je Aktie und zog von dannen.
In den folgenden Jahren feiert Actelion im operativen Geschäft weitere Triumphe. Martine Clozel entwickelt als Chief Scientific Officer zwei weitere Blockbuster. Jean-Paul bringt die Firma als CEO auf Weltniveau – 2500 Mitarbeiter, über zwei Milliarden Franken Umsatz. Doch im Hinterkopf bleibt ein Gedanke: „Mit fünf Prozent bist du zu klein, um die Geschicke einer Firma dauerhaft in deinem Sinne zu lenken.“
Als im zweiten Halbjahr 2016 der US-Pharmariese Johnson & Johnson Interesse an Actelion zeigt, scheint sich diese Sorge zu bestätigen. Doch was dann kommt, ist rückblickend ein unternehmerischer Geniestreich. „Johnson & Johnson war nur an den aktuellen Umsatzbringern interessiert und wollte dafür 30 Milliarden Dollar bezahlen, 280 Franken pro Aktie. Für uns hätte das einen sehr, sehr großen Scheck bedeutet.“
Doch mit über 60 Jahren das Leben als Milliardäre zu genießen, kommt für Martine und Jean-Paul Clozel nicht infrage. „Das schien uns auch unfair. Es hatten ja alle Mitarbeiter teil an diesem Erfolg, nicht nur wir. Außerdem wären wir wieder nicht mit unserer Geschichte weitergekommen. Wer weiß, wie viele Projekte Johnson & Johnson nach einem Verkauf eingestellt hätte. Also suchten wir eine andere Lösung.“
Am Ende willigt Johnson & Johnson ein, die gesamte Forschungs- und Entwicklungsabteilung von Actelion in eine „Newco“ unter der Leitung von Martine und Jean-Paul Clozel sowie deren Führungsmannschaft zu geben. Und diese mit einer Milliarde Dollar Liquidität auszustatten. „Dieses Angebot war für alle gut – für die Aktionäre, die Mitarbeiter, für uns. Niemand verlor seinen Job. Und wir konnten das Projekt Actelion zu Ende bringen – unsere große Pipeline interessanter Wirkstoffe weiterentwickeln und sehen, wie die Resultate das Leben von Patienten verbessern.“
An die Suche nach dem Namen für die neue Fima erinnert sich Jean-Paul Clozel noch sehr gut. „Weil absolute Geheimhaltung Pflicht war, konnten wir es nicht riskieren, einen Namen für die neue Firma zu suchen und öffentlich zu überprüfen, ob er auch verfügbar war. Wir hatten damals ein paar Reservenamen für künftige Medikamente bei Actelion. Johnson & Johnson erlaubte uns, einen für die künftige Firma nutzen. Das war Idorsia.“
Idorsia – ein Kunstname, der eigentlich nichts bedeutet. Für Martine und Jean-Paul Clozel bedeutet er alles. Denn das ist die Chance, im zweiten Anlauf ein Unternehmen aufzubauen, das bleibt und nie mehr durch Börsen-Aktivisten in Bedrängnis gebracht werden kann.
Im Rahmen der Transaktion bekommen die beiden für ihren Actelion-Anteil 3,9 Prozent an Idorsia und eine Milliarde Schweizer Franken in bar. Nach dem Idorsia-Börsengang am 16. Juni 2017 stockt das Paar damit seinen Anteil schnell auf 26 Prozent auf. Später erhöhen sie diesen weiter und ziehen auch bei allen künftigen Finanzierungsrunden mit. „Wir haben das meiste, was wir von Johnson & Johnson erhalten haben, investiert. Bei Actelion waren wir am Schluss kleine Anteilseigner und hatten nichts zu sagen. Bei Idorsia haben wir heute 29 Prozent. Und wir wollen bestimmende Anteilseigner bleiben.“
Ihr Statement an alle, die darauf setzen, dass irgendwann eine Übernahme à la Actelion anstehen könnte, klingt glasklar: „Kauft unsere Aktien nicht. Wir werden diese Firma von einer Generation in die nächste bringen. Und dann in die übernächste. Dieses Mal führen wir die Geschichte weiter.“
Tatsächlich ist die Ausgangsposition diesmal ganz anders als 20 Jahre zuvor bei der Gründung von Actelion. „Wir mussten nun ja nicht bei null anfangen. Wir hatten eine Milliarde Franken in der Kasse, 650 Forscher, eine Pipeline von zehn Produktkandidaten und eine riesige Wirkstoff-Bibliothek chemischer Verbindungen – die Ergebnisse aus 20 Jahren Research. Das war ein unglaublicher wissenschaftlicher Schatz“, erläutert Jean-Paul. „Idorsia“, sagt Martine damals, „soll wie Actelion sein, nur noch erfolgreicher, noch besser.“
Wo sehen die beiden selbst den wichtigsten Erfolgsfaktor? „Das größte Risiko in unserer Branche ist es, dass Entscheidungen auf Management-Prinzipien basieren und nicht auf wissenschaftlichen Erkenntnissen“, erläutert Jean-Paul Clozel. Nicht das Business dürfe die Wissenschaft treiben, es sei umgekehrt: „Die Wissenschaft treibt das Business.“
Dieser Grundsatz ist so wichtig, weil es im Leben einer Biotech-Firma immer irgendwann zu etwas kommt, was Jean-Paul Clozel mit „financial interference“ umschreibt. „Nehmen wir an, ein Medikament wirkt in zwei Dosierungen. Die hohe Dosis hat natürlich einen höheren Preis. Was ist zu favorisieren? Ich habe schon große Firmen gesehen, die sich am höchsten Profit orientieren. Dabei ist die Antwort so einfach. Die Wissenschaft belegt, was für den Patienten das Beste ist. Ein anderes Beispiel: Bei der Medikamentenentwicklung zeigen sich kleinere Nebenwirkungen. Die Finanzanalysten sagen, wie wichtig das Produkt für die Zukunft der Firma ist und dass es fortgeführt werden muss. Die Wissenschaft aber sagt: Vergiss es.“
Das konsequent umzusetzen, erklärt Jean-Paul Clozel, sei natürlich nicht immer ganz einfach. „Martine und die anderen im Team verbringen Wochen damit, die Daten zu analysieren. Und versuchen wirklich zu sehen, was ist – nicht, was sie sehen wollen. Sie müssen vergessen, was kurzfristig gut für sie selbst ist, für das Unternehmen oder den Aktienkurs. Wunschdenken zählt nicht – nur die pure Wissenschaft. Denn diese hilft dem Patienten und à la longue dem Unternehmen und dem Aktienkurs.“
Auch die Führungsphilosophie ist bei Idorsia etwas anders als in anderen Unternehmen. „In vielen Firmen kommen die Ideen von oben und setzen sich kaskadenförmig nach unten fort. Dann muss die Firma zwingend um diese Person herumorganisiert werden. Das ist nicht mein Ansatz.“ Jean-Paul Clozel versteht sich eher als Ermöglicher, als einer, der dazu da ist, seinen Mitarbeitern Steine aus dem Weg zu schaffen. „Der Boss bei uns“, lächelt er, „hat viele Pflichten und wenig Rechte.“
Dann erzählt er von einem Projekt, das er persönlich schon vor 15 Jahren stoppen wollte. „Aber immer wieder sagte das Team: ,Nein, nein, wir sollten es fortsetzen.‘ Ich antwortete: ,Warum, ihr habt keinen Erfolg und es macht keine Fortschritte.‘ – ,Aber wir haben einen weiteren Ansatz gefunden.‘ Und wissen Sie was: Tatsächlich haben sie nun etwas Interessantes entdeckt. Wenn ich ein autoritärer CEO wäre, hätte das Projekt niemals zu dieser bahnbrechenden Entdeckung geführt.“
Zu welcher genau? „Kann ich leider nicht sagen, das ist noch ein Geheimnis.“
In der Biopharma-Branche, erläutert der Unternehmer weiter, sei es ein bisschen wie beim Fußball. „Wenn Sie die besten Spieler haben und ihnen die nötigen Freiräume geben, gewinnen Sie zwar nicht immer. Aber die Wahrscheinlichkeit zu gewinnen, ist einfach größer. Wir haben ein sehr erfahrenes Team, das nun seit mehr als zehn Jahren zusammenarbeitet. Das ist schon etwas ganz Besonderes.“
Tatsächlich hat das Team in den vergangenen vier Jahren beeindruckende Ergebnisse erzielt. Bei zwei Medikamenten haben die Wirksamkeitsstudien (Phase 3) positive Ergebnisse gebracht – die Zulassung bei den Gesundheitsbehörden ist beantragt. Drei Projekte sind in der entscheidenden Phase 3. Zwei Präparate sind in Phase 2, in der erste Bewertungen der Sicherheit und Wirksamkeit bei Patienten vorgenommen werden. Drei befinden sich in der Phase 1, wo an gesunden Probanden untersucht wird, ob der Wirkstoff verträglich ist und sich die in Tierversuchen gewonnenen Erkenntnisse auch am Menschen beobachten lassen. Und eines hat die Phase 1 eben abgeschlossen.
Ein Spiel hat Idorsia allerdings gerade verloren. Im Oktober meldete die Firma, dass die Wirksamkeitsstudie ihres Medikaments Lucerastat zur Behandlung erwachsener Patienten mit Morbus Fabry das designierte primäre Ziel nicht erreicht hat. Morbus Fabry ist eine seltene, genetisch bedingte Krankheit. Im Lauf der Zeit verursachen Veränderungen im Nervensystem Schmerzen vor allem in Händen und Füßen. Die Symptome der Fabry-Krankheit beeinträchtigen die Lebenserwartung und -qualität der Patienten. Nach sechsmonatiger Behandlung mit Lucerastat konnte keine Verringerung der Schmerzen beobachtet werden, aber es gibt Signale, die auf eine biologische Aktivität hinweisen.
„Unglücklicherweise gibt es in unserem Geschäft eben noch sehr viel Unbekanntes“, nickt Jean-Paul Clozel, „der Mond ist besser erforscht als der menschliche Körper. Deshalb können wir nie sicher sein, was passieren wird. Wir haben immer erst gewonnen, wenn wir den Brief der Zulassungsbehörde mit der Erlaubnis, dass wir das Medikament verkaufen dürfen, in der Hand halten. Aber dieses Spiel ist noch nicht zu Ende. Wir werten nun die Ergebnisse einer Folgestudie aus. Vor Jahresende werden wir dann über Fortführung oder Abbruch entscheiden. Und zwar so wie immer: Wissenschaft vor Business.“
Die mittelfristigen Ziele sieht er dadurch nicht gefährdet. In zwei bis drei Jahren will Idorsia mindestens drei Medikamente an den Markt bringen, eine Pipeline aufbauen, die perspektivisch fünf Milliarden Franken Jahresumsatz liefern soll, und – vor allem – die Gewinnschwelle erreichen.
Aktuell hat die Firma drei wirklich heiße Eisen im Feuer. In der entscheidenden Phase 3 des Zulassungsprozesses ist zum Beispiel ein Medikament gegen therapieresistenten Bluthochdruck – Aprocitentan. „Millionen Menschen leiden darunter, dass existierende Medikamente nicht genügend wirken. Wenn also alle anderen Lösungen zu schwach sind, dann haben wir ein Medikament, das helfen kann“, skizziert Martine Clozel. Dazu hat die Firma noch acht Kandidaten in den verschiedenen Zulassungsphasen.
Große Hoffnungen ruhen auch auf den beiden Produkten, für die Idorsia schon erfolgreiche Wirksamkeitsstudien (Phase 3) vorgelegt hat. So wird die Zulassung von Clazosentan, eines Medikaments gegen eine plötzliche krampfartige Verengung von Gefäßen, gerade von der japanischen Behörde geprüft. Diese Komplikation taucht häufig drei bis vier Tage nach der erfolgreichen Operation einer Gehirnblutung auf. „Die Patienten können dann versterben oder Teile ihres Gehirns verlieren ihre Funktion. Bislang gibt es dagegen kein Medikament. Clazosentan verhindert diesen Krampf nachweislich. Das ist einzigartig“, erklärt Martine Clozel.
Besonders spannend wird es für das Forscherpaar im ersten Quartal 2022. Dann erwarten Martine und Jean-Paul Briefe der amerikanischen Zulassungsbehörden für ihr wichtigstes Produkt – das Schlafmittel Daridorexant. Martine Clozel ist auch deshalb besonders stolz darauf, weil dessen Entwicklung typisch für ihre Art der Medikamentenentwicklung ist. „Wir hatten schon 2011 bei Actelion einen erfolgversprechenden Ansatz, den wir aber stoppten, da es zu Wechselwirkungen mit anderen Arzneien kam. Das war damals keine leichte Entscheidung, weil der Aktienkurs natürlich deutlich fiel. Ein Jahr später hatten wir einen Nachfolger. Der erschien uns aber nicht optimal. Und ich wollte das optimale Medikament. Es hat uns zehn Jahre gekostet, um 30000 Varianten zu testen. Immer gab es irgendetwas, mit dem wir nicht ganz zufrieden waren. Nun haben wir mit Daridorexant die perfekte Lösung.“
„Es ist eben ein bisschen wie bei meinem Hobby“, nickt der passionierte Fliegenfischer Jean-Paul Clozel, „wir brauchen Geduld, müssen optimistisch sein. Und überzeugt, dass eines Tages der Moment kommt, in dem der Fisch die Fliege fängt.“ Bei Daridorexant, sind die beiden sicher, werde der Fisch zuschnappen.
Patienten, die an Schlaflosigkeit leiden, haben drei Probleme: Sie schlafen nicht ein, sie schlafen nicht durch und sie wachen zu früh auf. Wer nicht genug Schlaf bekommt, ist am Tag nicht leistungsfähig. „Die Forschung zeigt, dass ein bestimmter Stoff den Schlaf verhindert“, erklärt Martine Clozel, „es galt also zunächst, ein Molekül zu finden, das seine Aktivität unterdrückt. Es musste schnell genug wirken, damit der Patient rasch einschlafen kann. Die Wirkdauer musste lang genug sein, um eine ganze Nacht durchzuschlafen zu können. Vor allem aber kurz genug, um Katererscheinungen am nächsten Morgen zu vermeiden. Das war eine Optimierungsaufgabe. Wir manipulierten die Molekülstruktur so lange, bis es funktionierte.“ „Daridorexant hat tatsächlich eine Verbesserung der objektiven und subjektiven Schlafmessungen gezeigt. Die Patienten berichten von fast einer Stunde mehr Schlaf – ohne dass sie am Morgen schläfrig sind. Das ist extrem selten. Zum ersten Mal hat sich deren Leistungsfähigkeit am Tag tatsächlich verbessert“, ergänzt Jean-Paul Clozel.
Aktuell bereitet sich Idorsia nicht nur auf einen positiven Bescheid aus Silver Spring im US-Bundesstaat Maryland vor. Auch bei den europäischen, den Schweizer und den kanadischen Zulassungsbehörden sind die Unterlagen eingereicht. In fünf europäischen Schlüsselmärkten – Frankreich, Deutschland, Großbritannien, Italien und Spanien – wurden schon Niederlassungen gegründet. „Wir müssen vorbereitet sein. Denn selbst nach der Zulassung kann noch viel schiefgehen. Es gibt unzählige gute Medikamente, bei denen das Marketing floppte. Die Ärzte müssen es mögen, die Patienten müssen es mögen“, zählt Jean-Paul Clozel auf. Bei seinen Produkten soll der Vertrauensvorschuss helfen, den sich das Forscherpaar in Jahrzehnten erarbeitet hat. „Die Ärzte wissen, dass Idorsia strikt nach den Regeln der Wissenschaft arbeitet, gutes Research macht und vernünftige Entscheidungen trifft. Ich denke, sie respektieren uns dafür.“
Ein Erfolg von Daridorexant wäre ein großer Schritt, um in absehbarer Zeit die Gewinnschwelle und damit auch die finanzielle Unabhängigkeit zu erreichen. Genau das ist die Voraussetzung dafür, dass sich der unternehmerische Traum des Paars erfüllt. „Wir können ja nicht ewig Kapital nachlegen.“ Aktuell sei Idorsia noch nicht bis zum Break-even durchfinanziert. „Aber“, sagt Jean-Paul Clozel, „wir sind nah dran. Sehr bald wird die Frage, wo wir frisches Kapital herbekommen, nicht mehr relevant sein.“ Dann ist das unternehmerische Lebenswerk von Martine und Jean-Paul Clozel gesichert.
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Her way – so forscht Martine Clozel.
Idorsia ist auf die Entdeckung, Entwicklung und Vermarktung kleiner Moleküle spezialisiert. Die Firma adressiert vor allem chronische Krankheiten. „Die sind in der Regel nicht heilbar. Betroffene leiden ihr ganzes Leben darunter. Wir suchen dafür ein völlig neues Medikament, eine kleine Pille, die das Problem löst“, erklärt Marine Clozel.
Am Anfang steht also die Suche nach einem interessanten Ziel. „Das kann zum Beispiel ein bestimmtes Protein sein, das, wenn seine Aktivität moduliert wird, einen biologischen Prozess im Körper normalisieren kann – mit einem positiven Effekt für die Patienten.
Danach suchen wir nach einer Substanz, mit der sich die Aktivität eines an einem pathologischen Prozess beteiligten Ziels verändern lässt. Bei Idorsia verfügen wir über eine Bibliothek mit Hunderttausenden verschiedener chemischer Verbindungen. Die testen wir.“
Der vielversprechendste Ausgangspunkt werde dann optimiert. „Ziel und Wirkstoff gehören zusammen wie Schloss und Schlüssel“, erläutert Martine Clozel weiter: „Wir manipulieren die Molekülstruktur des Wirkstoffs und schicken sie an unsere Biologen oder Pharmakologen zurück, die in einem interativen Prozess testen. Mit jedem Zyklus wird die Verbindung weiter optimiert, bis sie schließlich zu einem neuartigen Arzneimittel wird, das Patienten bei Krankheiten mit hohem ungedecktem medizinischem Bedarf helfen wird.“
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Family Business – der Clozel-Weg.
Idorsia ist zwar börsennotiert, im Geiste aber eher ein Familienunternehmen. Und deshalb auch mit den dort typischen Herausforderungen konfrontiert – wie ist die Nachfolge geregelt, wie funktioniert die Zusammenarbeit in der Familie?
„Bei uns gibt es eine strikte Regel“, erklärt Martine Clozel: „Wenn wir bei der Arbeit sind, vergessen wir, dass wir verheiratet sind. Dann sind wir Mitarbeiter wie alle anderen auch. Und wenn wir zu Hause sind, vergessen wir, dass wir gemeinsam arbeiten.“
Auch in Sachen Nachfolge hat das Paar eine klare Meinung. „Zunächst einmal hasse ich Nachfolgepläne. Planen bedeutet, dass alles vorherdefiniert wird. Sehr selten kommt es aber so, wie Sie es geplant haben. Der wichtigste Aspekt für mich als CEO ist es deshalb, die Firma so aufzustellen, dass sie ohne mich genauso gut funktioniert. Das versuche ich jeden Tag“, erläutert Jean-Paul Clozel.
Dass die erwachsenen Kinder keine Rolle im Unternehmen spielen, erklärt Jean-Paul Clozel so: „Ich finde es nicht gut, mit den eigenen Kindern zusammenzuarbeiten. Das ist eine andere Generation, sie sehen die Dinge anders. Sie sollen ihr eigenes Leben leben. Ich bin sehr stolz darauf, dass sie selbst Firmen gegründet haben und damit erfolgreich sind – und zwar nicht, weil sie die Kinder von Herrn und Frau Clozel sind.“
Eine Frage drängt sich dann natürlich auf: Was geschieht langfristig mit dem Idorsia-Aktienpaket? „Im Moment gehören die Aktien uns, nicht den Kindern. In den nächsten Jahren wird das auch so bleiben. Aber eines Tages werden wir dafür eine Lösung finden müssen. Das Gute an der Schweiz ist ja, dass es keine Erbschaftsteuern gibt. Das erleichtert es uns, das Unternehmen weiterzugeben. Wir haben dazu schon ein paar Ideen. Eines ist aber unumstößlich: Wir werden dafür sorgen, dass diese Aktien nicht verkauft werden können.“
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// How to invest in Idorsia.
Das Schweizer Biopharma-Unternehmen Idorsia feierte im Juni 2017 zu einem Ausgabekurs von zehn Franken sein Börsendebüt. Die erste Notierung lag bei 12,52 Franken. Vor allem aufgrund der massiven Käufe des Ehepaars Clozel stieg der Kurs dann sehr schnell über 25 Franken und erreichte seinen Höchststand im Januar 2020 bei 34 Franken.
Seither geht es mit der Aktie bergab. Zuletzt belastete der Fehlschlag bei Lucerastat, dem Medikament gegen die Fabry-Krankheit. Analysten hatten dessen Wert auf rund drei Franken pro Aktie taxiert.
Beim aktuellen Kurs von rund 16,00 Euro liegt die Marktkapitalisierung der Firma heute nur noch bei rund 2,8 Milliarden Euro. Das ist nicht viel, falls die Pläne des Ehepaars Clozel aufgehen. Eine grobe Idee geben Analysen des Researchhauses Octavian aus Zürich. Sie taxieren allein den möglichen kumulierten Umsatz von Daridorexant und dem Blutdruck-Medikament Aprocitentan – falls dieses die Phase 3 erfolgreich abschließt – ab 2027 auf deutlich mehr als drei Milliarden US-Dollar jährlich.
Kurzfristig dürften Nachrichten über Daridorexant den Trend des Aktienkurses bestimmen. „Ich wusste von Anfang an, dass der Aktienmarkt uns erst dann vertrauen würde, wenn wir der Welt zeigen können, dass wir ökonomisch erfolgreich sind“, kommentiert Jean-Paul Clozel. „Als Aktionär habe ich es auch immer gehasst, wenn das Management sagte: ,Vertraut uns.‘ Der Markt will Resultate sehen. Lasst uns abwarten, was passiert, wenn wir unsere Marketinganstrengungen bei Daridorexant starten und dann viele Menschen mehr darüber erfahren. Wir bereiten uns darauf vor. Keine Sorge – das ist eine Frage von Monaten, nicht von Jahren.“
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Autor: Klaus Meitinger