Schutzschichten.

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A letter from … Dr. Walther Michl. Der Akademische Rat am Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Europarecht der LMU München ordnet die Flüchtlingskrise in den geltenden Rechtsrahmen ein.

In der öffentlichen Diskussion zur Flüchtlingsproblematik wird immer wieder der Ruf nach einer „Rückkehr zum Recht“ laut – häufig verbunden mit der Forderung nach einer Grenzschließung.

Und tatsächlich ist es scheinbar simpel: Artikel 16a des Grundgesetzes bestimmt, dass nur politisch Verfolgte Asylrecht genießen. Und auch die können sich nicht darauf berufen, wenn sie über einen EU-Mitgliedsstaat nach Deutschland gekommen sind. Konsequenterweise ordnet das Asylgesetz also eigentlich an, asylsuchende Ausländer an der Grenze abzuweisen, wenn sie aus einem sicheren Drittstaat einreisen wollen. Dass trotz dieser Vorgaben fast alle Menschen ins Land gelassen werden, die an der Grenze zu Österreich behaupten, Schutz in Deutschland zu wollen, wäre demnach ein glatter Rechtsbruch und ein großer Skandal.

Die tatsächliche Rechtslage ist jedoch komplexer.

Neben und teilweise vor das deutsche Recht treten einige völker- und europarechtliche Regelungen mit eigenständigen Vorgaben dafür, wer Anspruch auf Schutz hat und welcher Staat die entsprechenden Voraussetzungen prüfen muss.

Die Genfer Flüchtlingskonvention erkennt zum Beispiel neben dem Gesichtspunkt der politischen Überzeugung auch die Furcht vor Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe als Fluchtgrund an.

Die genannten Tatbestände werden für die gesamte Europäische Union in der Anerkennungsrichtlinie 2011/95 aufgegriffen und näher definiert. Wer sie erfüllt, wird hochoffiziell „Flüchtling“ genannt. In derselben Richtlinie ist darüber hinaus ein weiterer Schutzstatus verankert: der subsidiäre Schutz. Ihn erhält, wem bei seiner Rückkehr in die Heimat ein „ernsthafter Schaden“ droht – das sind die Todesstrafe, Folter oder, man denke an Syrien, „eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit … infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts“.

Damit wird dem Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention Rechnung getragen, der es verbietet, Menschen durch eine staatliche Maßnahme in Lebensgefahr zu bringen oder einer erniedrigenden und unmenschlichen Behandlung auszusetzen.

All diese Aspekte wurden nach und nach ins deutsche Asylgesetz eingearbeitet. Das eigentliche Asylrecht nach Artikel 16a Grundgesetz wird deshalb heute im selben Verfahren wie die Flüchtlingseigenschaft und die Voraussetzungen für den subsidiären Schutz geprüft. Hinzu kommt: Auch abgelehnte Asylbewerber müssen das Land häufig nicht verlassen, etwa weil kein anderer Staat bereit ist, sie aufzunehmen. Diese Menschen leben dann mit einer sogenannten Duldung in Deutschland.

Soll die Zahl der Migranten deutlich reduziert werden, ist das einzig wirklich effektive Mittel also, es erst gar nicht zum Asylverfahren in Deutschland kommen zu lassen.

Auch in dieser Hinsicht wird die deutsche Regelung allerdings verdrängt: Die Dublin-III-Verordnung bestimmt, dass kein EU-Mitgliedsstaat sich schlicht für unzuständig erklären darf. Würde dies jeder Staat tun, bestünde schließlich die Gefahr, dass die Schutzsuchenden nirgends ein faires Asylverfahren bekämen (im Fachjargon: „refugees in orbit“).

Daher gibt es eine Rangfolge an Kriterien, um zu bestimmen, wer zuständig ist. Am häufigsten trifft es das Land, in dem der Antragsteller zum ersten Mal europäischen Boden betreten hat. Das ist so gut wie nie Österreich oder ein anderes Nachbarland. Deutschland darf daher keinen Schutzsuchenden ohne Prüfung an der Grenze zurückweisen, sondern hat nur zwei Möglichkeiten: entweder den tatsächlich zuständigen Staat zu bestimmen und die Überstellung des Asylbewerbers dorthin zu veranlassen. Oder freiwillig das Verfahren selbst durchzuführen (beides ist ausdrücklich in der Verordnung vorgesehen).

Da die humanitären Verhältnisse in Griechenland und entlang der Balkanroute verheerend sind, übernimmt die Bundesrepublik derzeit jedes Asylverfahren, wenn ein Antragsteller hier Schutz will. Das ist nicht rechtswidrig, aber auf Dauer auch nicht tragbar. Eine Lösung wird es wohl nur außerhalb des derzeit geltenden Rechtsrahmens geben. ®