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Anlagestrategie. In den letzten zehn Jahren haben US-Aktien europäische Titel um Längen abgehängt. „Das könnte sich jetzt ändern“, meint     Emmerich Müller, persönlich haftender Gesellschafter des Bankhauses Metzler: „Europas Potenzial wird von vielen noch immer unterschätzt!“

Wenn die Börse ein Gradmesser für die Attraktivität eines Wirtschaftsraumes ist, dann hat Europa das Duell mit den USA in den vergangenen Jahren verloren. Der breite US-Aktienmarkt kletterte seit 2007 um 75 Prozent. Und da auch der US-Dollar deutlich aufwertete, hätten europäische Anleger mit US-Titeln ihr Kapital in Euro gerechnet sogar mehr als verdoppelt. Wer dagegen auf dem alten Kontinent blieb, musste sich mit 25 Prozent Ertrag zufriedengeben.

„Der europäische Aktienmarkt hat sich relativ zur US-Börse seit den 1970er-Jahren in einem Zehnjahreszeitraum nie schlechter entwickelt als in der zurück­liegenden Dekade“, erläutert Emmerich Müller: „Darin spiegelt sich ein extremes Auseinanderklaffen der Ertragsentwicklungen wider. Während US-Unternehmen ihre Gewinne pro Aktie seit 2007 trotz zwischenzeitlicher Finanzkrise um etwa 14 Prozent steigern konnten, gingen die Nettoergebnisse europäischer Firmen um über 40 Prozent zurück.“

Eine derart außergewöhnliche Entwick­lung weckt natürlich die Neugier der Aktienspezialisten. Warum hat sich die Gewinnschere so weit geöffnet? Liegt darin vielleicht eine Chance? Gibt es stichhaltige Gründe zu vermuten, dass sie sich künftig wieder schließen wird?

Das Bankhaus Metzler analysierte die Gewinn-und-Verlust-Rechnungen aller amerikanischen und europäischen Unternehmen, die im betreffenden Zeit­raum in den entsprechenden Leitindizes enthalten waren. Und machte dabei ein paar äußerst interessante Entdeckungen. „Zunächst einmal wurde schnell klar, dass vermeintlich offensichtliche Erklärungen zu kurz greifen“, erklärt Müller. So werde oft argumentiert, der europäische Aktienmarkt hätte aufgrund seiner Indexkomposition mit hohen Gewichten im Finanz- und Rohstoffsektor besonders unter den Folgen des Zinsverfalls und der Rohstoffbaisse der vergangenen Jahre gelitten. „Dies ist zwar nicht ganz verkehrt, lenkt den Blick aber in die falsche Richtung. Denn faktisch können die Krisensektoren Finanzen und Rohstoffe nur rund 30 Prozent der seit 2007 aufgelaufenen Gewinndifferenz zwischen Europa und den USA erklären. Für die übrigen 70 Prozent gibt es andere Ursachen. Die beiden Hauptgründe für die Gewinnlücke waren geringere operative Margen und die Unterschiede beim Umgang mit dem Thema Aktienrückkäufe.“

Während die Ausweitung der operativen Marge in den Vereinigten Staaten seit 2007 etwa elf Prozentpunkte zum Gewinnwachstum beitrug, reduzierte der Margenrückgang in Europa die hiesigen Gewinne um knapp acht Prozentpunkte. Zusammengenommen resultieren damit etwa 19 Prozentpunkte der Gewinndifferenz allein aus den sich divergierend entwickelnden Margen.

„Viel schlimmer kann es eigentlich nicht mehr kommen“, meint der Bankier. Denn die Gewinnspannen der US-Firmen haben mittlerweile Rekordstände erreicht. Von diesem Niveau aus sind weitere Fortschritte unwahrscheinlich.

In Europa dagegen sieht er noch genug Verbesserungspotenzial. „Interessant ist, dass die Rentabilität europäischer Unternehmen stark vom Wachstum in den Emerging Markets abhängt. Der stotternde Konjunkturmotor in den Schwellenländern hat Europas Firmen von 2010 bis 2015 besonders hart getroffen. Schließlich erwirtschaften sie durchschnittlich etwa 30 Prozent ihres Umsatzes dort. In den Vereinigten Staaten liegt der entsprechende Anteil nur etwa halb so hoch.“

Jetzt stehen große Länder wie Brasilien und Russland kurz davor, die Rezession der vergangenen beiden Jahre hinter sich zu lassen und wieder auf einen Wachstumskurs einzuschwenken. „Der Internationale Währungsfonds rechnet vor diesem Hintergrund damit, dass sich der Wachstumsvorsprung der Emerging Markets vor den Industrieländern wieder vergrößern wird – von 2,5 Prozentpunkten im Jahr 2016 auf 3,4 Prozentpunkte im Jahr 2020. Dann dürften auch die Gewinnmargen in Europa wieder steigen.“

Der Haupttreiber für die schlechtere Gewinnentwicklung in Europa sollte also bald an Wirkung verlieren. Müller zählt weitere positive Aspekte auf: „Auch das Wachstum in Europa zieht an. Das sorgt für eine höhere Kapazitätsauslastung. Gleichzeitig bleibt der personalbedingte Kostenanstieg geringer als in den Vereinigten Staaten. Und es gibt Einsparpotenzial bei den Zinsen für Fremdkapital. Denn die durchschnittlichen Zinskosten liegen immer noch deutlich über den aktuellen Refinanzierungskosten. Umschulden lohnt sich also.“

All dies wird die Position Europas gegen­über den USA stärken. „Die Gewinnmargen diesseits und jenseits des Atlantiks sollten sich zukünftig wieder aufeinander zubewegen“, ist Müller zuversichtlich.

Der zweite große Unterschied zwischen den USA und Europa zeigt sich beim Thema Aktienrückkäufe. „In den USA konnten Unternehmen in den vergangenen Jahren auch deshalb ein höheres Gewinnwachstum pro Aktie ausweisen, weil sie zunehmend dazu übergingen, eigene Anteilsscheine zurückzukaufen“, erklärt Emmerich Müller. Da sich das Nettoergebnis bei einem solchen Vorgehen auf weniger Aktien verteilt, erscheinen Firmen gemessen am Gewinn pro Aktie rentabler, obwohl sich der Gesamtgewinn eventuell nicht verändert hat.

In der vergangenen Dekade steigerten US-Unternehmen ihre Gewinne mittels dieser Methode um etwa elf  Prozentpunkte. Europäische Firmen hingegen kauften netto gar keine Aktien zurück, sondern traten sogar als Emittenten neuer Aktien auf. Daraus resultierte ein negativer Effekt auf die ausgewiesenen Ergebnisse. Insgesamt verwässerte die Emissionstätigkeit den Gewinn pro Aktie in Europa um etwa sechs Prozentpunkte. „So lassen sich weitere 17 Prozentpunkte der Differenz in der Gewinnentwicklung erklären.“

Die Entscheidung, eigene Anteilsscheine zurückzukaufen, kann sehr unterschiedlich motiviert sein. Einige nutzen diese Strategie, um nicht benötigte Liquidität an die Aktionäre zurückzugeben – zum Beispiel, wenn sich keine geeigneten Investitionen finden lassen. Andere kaufen allerdings auch Aktien zurück, um ihre Gewinne gezielt zu „tunen“. Schließlich sind steigende Aktienkurse oft im Interesse der Führungsebene, die zum Teil mit Aktienoptionen bezahlt wird.

„Wir wollen an dieser Stelle aber nicht diskutieren, ob Aktienrückkäufe grundsätzlich gut oder schlecht sind. Für uns rückt vielmehr die Frage ihrer Nachhaltigkeit in den Fokus“, erläutert Müller. Fest steht, dass die US-Börse in den vergangenen Jahren von der milliardenschweren Nachfrage nach eigenen Titeln profitierte. Mittlerweile kommen jedoch Zweifel auf, ob sich das Tempo, mit dem US-Unternehmen Cash an ihre Anteilseigner zurückgeführt haben, zukünftig aufrechterhalten lässt.

Allein die im S&P 500 zusammen­gefassten Firmen haben zum Beispiel vom dritten Quartal 2015 bis zum dritten Quartal 2016 unglaubliche 117 Prozent ihrer Gewinne an ihre Aktionäre ausgeschüttet. Die Summe aus Dividenden und Aktienrückkäufen überstieg also den erwirtschafteten Gewinn – und dies nicht zum ersten Mal. Bereits seit 2015 liegt das Verhältnis zwischen den gesamten Ausschüttungen und den Gewinnen bei über 100 Prozent. So etwas ist ungewöhnlich. Denn die Aktienrückkäufe müssen dann entweder durch den Verkauf von Unternehmenssubstanz oder die Aufnahme von Fremdkapital bezahlt werden.

Mittlerweile wird immer deutlicher, dass diese Strategie nicht von Dauer sein kann. Tatsächlich sanken die Aktienrückkäufe der im S&P-500-Index zusammengefassten Unternehmen im dritten Quartal 2016 bereits zum zweiten Mal in Folge – auf den niedrigsten Wert seit Anfang 2013. „Der US-Aktienmarkt dürfte damit in Zukunft von dieser Seite weniger unterstützt werden“, vermutet Müller.

Dass bei den beiden wichtigsten Einflussfaktoren – Gewinnmargen und Aktienrückkäufe – deutliche Veränderungen zu erwarten sind, hat sich allerdings in der Bewertung der europäischen und amerikanischen Aktienmärkte noch nicht hinreichend bemerkbar gemacht. Anleger akzeptieren bei US-Werten ein konjunkturbereinigtes Kurs-Cashflow-Verhältnis von 16,0. Den scheinbar weit unterlegenen und wachstumsschwächeren europäischen Aktiengesellschaften wird nur ein Kurs-Cashflow-Verhältnis von 9,7 zugebilligt.

„Auch das spricht für europäische Aktien“, erklärt der Experte: „Tendenziell werden die Kurs-Cashflow-Verhältnisse in den USA wohl sinken, in Europa dagegen marginal steigen. Zusätzlich profitieren Anleger in Europa von höheren Dividendenrenditen.“ Insgesamt deutet also viel darauf hin, dass europäische Aktien in den kommenden Jahren besser abschneiden werden als US-Werte.

Das sehen mittlerweile offensichtlich auch die amerikanischen Investoren ähnlich. Nachdem sie in elf von zwölf Monaten des Jahres 2016 im ETF-Markt als Nettoverkäufer europäischer Aktien auftraten, kommen sie nun wieder zurück. Im März 2017 wurden sogar die höchsten Nettozuflüsse bei den ETFs seit Oktober 2015 verzeichnet.

„Angesichts unserer Analyseergebnisse ist die strategische Portfolioausrichtung klar“, folgert Emmerich Müller: „Die fundamentalen Gründe sprechen eindeutig für eine Übergewichtung europäischer Werte. Sofern es auf dem alten Kontinent nicht zu einer unvorhergesehenen politischen Krise kommt, sehen wir Europa für die nächsten Jahre als Favoriten im Aktiensegment.“            

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Sonderveröffentlichung:

B. Metzler seel. Sohn & Co.

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