Die Hoffnung wählt mit.

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Der 28. Oktober wird ein Schicksalstag für Brasilien. Das riesige Land mit den Ausmaßen eines Kontinents muss sich in der Stichwahl zwischen zwei Kandidaten für das Präsidentenamt entscheiden. Sie könnten unterschiedlicher kaum sein.


Der linksgerichtete Kandidat Fernando Haddad erzielt nach Umfragen derzeit 43 Prozent der Wählerstimmen. „Das ist ja nicht bei null, aber ehrlich: Ich sehe keine Chance auf seinen Sieg“, sagt André Müller Carioba, Deutsch-Brasilianer und Vorsitzender des Beirats des Unternehmernetzwerks LIDE Deutschland.

„Haddads Partei PT ist noch linker geworden als sie ohnehin schon war. Sie pocht auf Verstaatlichungen, das wäre Gift für die Wirtschaft“, meint er. Zudem habe Haddad bereits in einigen politischen Ämtern gewirkt und dabei versagt: Weder im Amt des Bildungsministers des Landes noch als Bürgermeister von Sao Paulo habe er besonderes Engagement oder erwähnenswerte Leistung gezeigt. „Das sehen sehr viele Brasilianer und vor allem die Bewohner Sao Paulo so“, erzählt Müller Carioba. Obwohl Haddad der Kandidat der armen Bevölkerung ist, ist er doch auch Teil der Partei, die durch Betrugsskandale und den tiefen Griff in staatliche Kassen aufgefallen ist. „Die Brasilianer haben die Nase voll von Korruption, Gewalt und einer politischen Kaste, die den Staat als Selbstbedienungsladen zur Mehrung des eigenen Wohlstands missbraucht“, so Müller Carioba.

Ein neuer Mann soll die Führung übernehmen. Einer, der nicht Teil des Systems ist. Einer, der aufräumt. Einer der Sicherheit verspricht. Dieser Donald Trump Brasiliens heißt Jair Bolsonaro und erhält nach jüngsten Umfragen rund 57 Prozent der Wählerstimmen. Ein politischer Hinterbänkler, der mit ‚Säuberungsaktionen‘ gegen politische Gegner vorgehen will. Der Folter öffentlich gutheißt, die Militärdiktatur verherrlicht und den Umgang mit Frauen und Homosexuellen zurück ins 18. Jahrhundert katapultiert. „Ich bin mir relativ sicher, dass Bolsonaro trotzdem gewinnt“, sagt André Müller Carioba.

Für den Kandidaten des rechtsgerichteten Lagers spricht aus Sicht der Brasilianer vor allem seine Ankündigung, die Sicherheitslage im Land mit harter Hand zu verbessern. „Wer nachts auf die Straße geht, spielt mit seinem Leben. Die Leute haben genug davon“, fasst Müller Carioba die Stimmung in Brasilien zusammen. Auch hat Bolsonaro der Korruption den Kampf angesagt und die Privatisierung staatlicher Unternehmen angekündigt. „In Brasilien haben Stadträte bis Präsidenten in viele Töpfe gegriffen, in allen Parteien, auf jeder Ebene, immer, um eigene Taschen zu füllen. Nun kommt der Bolsonaro von der sozialliberalen Kleinstpartei PSL und sagt: Das muss aufhören. Darum wird er gewählt.“

Erinnerungen an die gut 30 Jahre zurückliegende Militärdiktatur, mit ihrer Willkür und Gewalt, werden verdrängt. „Auch bei den Älteren ist es in Vergessenheit geraten. Das ist naiv“, meint Müller Carioba. Er hofft – und mit ihm wohl ein Großteil der Wähler Bolsonaros, dass der Rechte im Präsidentenamt moderate Töne anschlagen wird. „In Brasilien ist das oft so – die Kandidaten rasseln mit den Säbeln, dass man Angst bekommt. Stehen sie dann in der Verantwortung, sind sie viel besser als befürchtet.“

Was diese Hoffnung nährt, ist das Bekenntnis Bolsonaros, von Wirtschaft keine Ahnung zu haben und einen Wirtschaftsminister zu benennen, der anerkannter Experte ist: Paulo Guedes. Er gehört zu den sogenannten Chicago-Boys, die für eine liberale Wirtschaftspolitik stehen. „Für Unternehmen, den Aktienmarkt und die Währung wäre Bolsonaro die bessere Wahl“, meint deshalb Müller Carioba, der auch ehemaliger Präsident von BMW Do Brasil ist. Er sieht die Landeswährung Real bei einem Sieg Bolsonaros bei einem Kurs von 3,80 zu einem Euro. Derzeit steht sie bei 4,24 Real. „Der Real dürfte stärker werden. Das macht Importe billiger, hilft beim Kampf gegen die Inflation und macht so perspektivisch auch wieder niedrigere Zinsen möglich.“ Vor dem ersten Wahlgang kostete ein Euro noch fünf Real. „Da wird die Tendenz schon sichtbar. Aber zu viel Stärke sollte der Real besser nicht gewinnen, da ansonsten die für Brasilien so wichtigen Exporte zu sehr leiden würden“, sagt Müller Carioba.

Gegen fünf Uhr morgens am 29. Oktober wird Europa relativ sicher wissen, wie der neue Präsident heißt und sich darauf einstellen müssen.